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Justiz: Bundesrichter klagt: Recht unabhängig

Erstmals klagt ein Bundesrichter gegen sein eigenes Gericht – und verliert. Er sei aus politischen Motiven kaltgestellt worden, sagt er.

Berlin/Kassel - Richter sind unabhängig, heißt es im Grundgesetz. Was dort nicht steht: Dass diejenigen an den höchsten Gerichten am unabhängigsten sind. Denn sie müssen sich nicht mehr durch die Mühlen der Justizhierarchie zwingen. Sie haben es ganz nach oben geschafft.

So einer ist Wolfgang Meyer, Richter am Bundessozialgericht (BSG). Unabhängiger geht es kaum: Er hat sein eigenes Gericht verklagt, weil es ihm politisch brisante Verfahren entzogen haben soll. Einen solchen Rechtsstreit gibt es zum ersten Mal in der bundesdeutschen Justizgeschichte. Doch das Kasseler Verwaltungsgericht hat die Klage am Dienstag abgewiesen. Jetzt will Meyer weiterklagen, bis zum Bundesverfassungsgericht, wenn es sein muss.

Am BSG geht es nur scheinbar oft um Kleinigkeiten wie jüngst die Frage, ob die Krankenkassen gepolsterte Unterhosen für Hüftgeschädigte zahlen müssen. Tatsächlich können die Urteile dort sehr teuer werden. Hartz IV, Rentenversicherung, Krankenkassen – ein Einzelfall kann die Beklagten Millionen kosten. Eine Schlüsselstellung, die Richter auch mal politisch denken und reden lässt. So stellte Gerichtspräsident Peter Masuch öffentlich klar, dass auch Hartz-IV-Empfänger von der Abwrackprämie profitieren dürften, ohne dass ihnen die Leistungen zu kürzen seien. Es stehe so im Gesetz. Die Koalition hatte es sich anders gedacht.

Wolfgang Meyer und sein Vierter Senat haben jahrelang Rentenverfahren bearbeitet. Bahn- und Postbeschäftigten aus der DDR gestand der Senat ebenso höhere Renten zu wie Akademikern; Ostdeutsche würden zudem bei der Anrechnung von Unfallrenten benachteiligt. 2006 befand Meyers Richtergremium Abschläge bei jüngeren Invalidenrentnern für rechtswidrig. Die Rentenkassen ächzten, das koste sie bis zu zwei Milliarden Euro im Jahr. Zu ihrem Glück revidierte ein anderer Senat den Spruch.

Oder knickten die Richter ein? So sieht es Meyer, der per Geschäftsverteilung aus den Rentensachen herausbefördert wurde, zunächst tatsächlich fast nichts zu tun bekam und sich jetzt als Vorsitzender des Zweiten Senats um die Unfallversicherung kümmert. Er sei kaltgestellt worden, weil dem Präsidium seine Rentenurteile nicht passten. Nun habe sich das „im Sinne der Wünsche der vollziehenden Gewalt geändert“.

Wer an einem Gericht was zu tun bekommt, ist eine ebenso sensible wie rechtsstaatlich elementare Frage. Einzelne Spruchkörper oder Richter können das Recht auf Jahre prägen. Zugleich schützt das Grundgesetz das Prinzip des „gesetzlichen Richters“. Wann immer eine Klage eingereicht wird, muss zuvor feststehen, wer über sie entscheiden wird. Deshalb erstellen die Gerichtspräsidien jährlich einen neuen Plan, auch mit Rücksicht darauf, wer Expertise besitzt.

Meyer wirft den Rententrägern vor, sie hätten ihn im Zusammenspiel mit dem Präsidium aus seiner angestammten Zuständigkeit gemobbt. Das achtköpfige BSG-Präsidium betont, Meyer selbst habe gebeten, ihn zu entlasten, und weist den Vorwurf in schönster Juristensprache „einhellig als unsubstantiiert zurück“. Eine Ansicht, die das Kasseler Verwaltungsgericht teilt. Präsidiumsbeschlüsse eines Gerichts seien von anderen Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar; dass Meyers Unabhängigkeit verletzt werde, sei nicht deutlich geworden. Zudem hätte der Richter zunächst ein Vorverfahren gegen seinen Dienstherrn anstrengen müssen. Solche Dinge müssten intern geklärt werden, „bevor der Streit in die Öffentlichkeit gelangt“.

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