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Bundesverfassungsgericht: Karlsruhe zweifelt an Vorratsdatenspeicherung

Das Bundesverfassungsgericht hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. Das ist bei der Verhandlung über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das seit 2008 geltende Gesetz deutlich geworden.

Im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurden die Telekommunikationsfirmen verpflichtet, die Daten von Telefon-, E-Mail- und Internetverbindungen aller Bundesbürger ohne konkreten Anlass jeweils sechs Monate lang zu speichern. Der Abruf der Daten durch die Sicherheitsbehörden ist unter bestimmten Umständen gestattet.

Während die Kläger einen „Dammbruch“ zulasten des Datenschutzes sehen, verteidigte die Bundesregierung die angegriffenen Regelungen. Das Gesetz diene „nicht der flächendeckenden Überwachung der Bevölkerung“, sondern dem legitimen Zweck, Straftaten effektiv zu verhindern und zu verfolgen, sagte der Prozessbevollmächtigte der Regierung, Rechtsprofessor Christoph Möllers. Die Ermittlungsbehörden hätten zudem „bislang keinen übermäßigen, exzessiven Gebrauch„ von den gespeicherten Daten gemacht.

Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKG) wird unter anderem durch eine Massenbeschwerde von fast 35 000 Bürgern angegriffen. Es ist bereits durch zwei Eilentscheidungen aus Karlsruhe stark eingeschränkt worden. Das Urteil in der “Hauptsache„ wird Anfang 2010 erwartet.

Das deutsche Gesetz setzt eine EU-Richtlinie um. Die Kläger - unter denen sich zahlreiche Grünen- und FDP-Politiker befinden - forderten daher das Bundesverfassungsgericht auf, die Sache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zur Vorabentscheidung vorzulegen. Denn das Gesetz sei auch mit europäischem Verfassungsrecht unvereinbar. Aus Kläger-Sicht verletzt die Vorratsdatenspeicherung das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Aus den gespeicherten Daten ließen sich Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen, sagte der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP). Es werde “jeder elektronische Atemzug gespeichert„. Rechtsanwalt Meinhard Starostik sagte, eine „freie, unbefangene Kommunikation“ sei nicht mehr gewährleistet. Der Staat sei nun „allwissend“.

Protokolliert wird, wer wann mit wem und von wo aus per Telefon, Handy, E-Mail, Fax oder SMS in Verbindung gestanden hat. Bei Handys wird zudem der Standort des Benutzers festgehalten. Kommunikationsinhalte dürfen laut Gesetz nicht erfasst werden. Mehrere Verfassungsrichter betonten, dass aus ihrer Sicht “die Frage nach den Grenzen der Speicherung„ nicht beantwortet sei. “Kann man alle Daten aller Menschen in der Bundesrepublik speichern?„, fragte Richterin Christine Hohmann-Dennhardt. Komme es der Bundesregierung “nur darauf an, wie sie genutzt werden?". Richter Johannes Masing, der Berichterstatter in dem Verfahren ist, fragte, ob die Möglichkeit der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen von der Schwere des Grundrechtseingriffs her nicht einer Überwachung der Gesprächsinhalte nahekomme.

Grünen-Chefin Claudia Roth sagte vor der Verhandlung, mit der Vorratsdatenspeicherung habe Deutschland die Grenze zum Überwachungsstaat überschritten. Durch die Speicher-Maßnahmen werde jeder Bürger zum Verdächtigen erklärt. „Das ist nichts anderes als ein Überwachungsstaat“, betonte Roth, die selbst Beschwerdeführerin ist. Das Verfassungsgericht hatte in seinen Eilentscheidungen im Jahr 2008 die massenhafte Speicherung der Daten zwar vorerst gebilligt, aber deren Nutzung durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst an hohe Hürden geknüpft.

Norbert Demuth[ddp]

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