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Bundeswehr-Einsatz: Mission unerfüllt in Afghanistan

Verteidigungsminister Jung nennt den Bundeswehreinsatz in Afghanistan einen Erfolg – die Realität sieht anders aus.

15 Kilometer vor Kundus, auf offener Landstraße, liegt hinter einer Kurve ein riesiger Berghang. Er ist komplett schwarz. Gräser, Sträucher, sogar die Erde ist verkohlt. Am Straßenrand steht ein ausgebrannter Tanklaster. „Nachschub für die Nato-Truppen, der nicht ankam“, sagt der afghanische Fahrer Ahmad, der mehrmals die Woche auf der Strecke unterwegs ist. Kurz vor Kundus-Stadt, mitten im Verantwortungsbereich der Bundeswehr in Nordafghanistan, steht ein Polizeihäuschen. Zahlreiche Einschüsse sind von weitem mit bloßem Auge erkennbar. Das Innere ist verwüstet, das Mobiliar zerstört oder geraubt. „Die Polizisten wurden von hinten überrascht und getötet. Ihre Gegner kamen vom Fluss“, sagt Ahmad. Wenig später deutet er durch die Frontscheibe. „Dort wurde gekämpft in den Tagen vor und nach der Wahl, und dort auch. Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften auf beiden Seiten der Straße“, erzählt er.

300 Kilometer sind es von Kabul nach Kundus, auf den ersten 240 nach Baghlan gibt es kaum Spuren von Zwischenfällen. Auf den letzten 60 Kilometer nach Kundus aber fahren nur noch wenige Ausländer, dafür umso mehr Militärkonvois und Patrouillen – Deutsche, Amerikaner, Ungarn. Tatsächlich hat sich etwas verändert auf dem letzten Teilstück. Neuerdings rollen hier Nachschubtransporte der Nato. Zuvor liefen die Versorgungswege über Pakistan. Seit dort Konvois verstärkt Ziele von Angriffen wurden, verlaufen die neuen Routen über Usbekistan und Tadschikistan hinein nach Afghanistan, und die Provinz Kundus liegt mittendrin. „Die Kämpfe entlang der Straße nach Kundus werden daher in den nächsten Monaten eher noch zunehmen“, prognostiziert ein internationaler Sicherheitsexperte. In den vergangenen Monaten hat sich die Konzentration aus Taliban, ausländischen Kämpfern, die Einheimische Al Qaida zurechnen, Gruppen der Hesb-e Eslami von Gulbuddin Hekmatjar und lokalen Gruppen, die einer zuweilen sehr opportunistischen Strategie folgen, verstärkt.

Es seien, so heißt es, vor allem Paschtunen, die zu den Waffen greifen. „Einige, weil sie nicht wollen, das fremde Truppen hier stationiert sind, andere, weil sie sich von der Regierung in Landfragen und anderen Streitigkeiten immer wieder benachteiligt fühlen“, sagt Gulnoor Bakhman, ehemaliger Leiter der Verwaltung von Kundus. Die Veränderung, so erinnern sich viele in der Region, habe vor 18 Monaten begonnen. Da seien erprobte Kämpfer, die noch bis 2001 auf Seiten der Taliban gestritten hätten, zurück nach Kundus gekommen. Die neuen Versorgungswege der Nato zögen ihrerseits Kämpfer aus dem Süden an. All dies beunruhigt nicht nur die deutschen Truppen, sondern auch die US-Regierung. Schließlich geht ein nicht geringer Teil des Nachschubs an US-Truppen in Kabul und dem großen US-Stützpunkt in Bagram, nördlich der Hauptstadt. Sowohl der US-Kommandeur der Nato-geführten Schutztruppe Isaf, General Stanley McChrystal, als auch US-Generalstabschef Michael Mullen bezeichnet die Gesamtlage als „ernst“ und beziehen den ehemals als vergleichsweise ruhig geltenden Norden dabei mit ein. Dies ist im Verteidigungsministerium in Berlin, wie dort zu hören ist, durchaus als Kritik wahrgenommen worden.

In Kundus berichten langjährige Entwicklungshelfer, Deutschland habe am Hindukusch erheblich an Kredit eingebüßt. Die Ausbildung der afghanischen Polizei, zunächst unter deutscher Flagge und jetzt unter EU-Führung, sei von Anfang an in puncto Personal und Geld unzureichend ausgestattet gewesen, das Desaster programmiert gewesen. Im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl am 20. August, deren Sieger offiziell noch nicht feststeht, fehlte es in Kundus an afghanischer Polizei und Armee. 500 Beamte, heißt es in der Stadt, seien zudem nach Kabul abgezogen worden.

Neuerdings ist es sogar in Kundus-Stadt unruhig. Am Wahltag landeten Granaten vor zwei Schulen. Mehrere Erwachsene und Kinder wurden leicht verletzt. Vor der Stadt lieferten sich afghanische Polizei und Armee ein Feuergefecht mit Talibankämpfern. Er habe viele Männer verloren, klagt Polizeichef Yaqubi danach. Die Bundeswehr ist auch draußen, bereit einzugreifen, wenn es die Lage erfordert, heißt es.

Die deutschen Aufbau- und Hilfsprojekte im Raum Kundus laufen wegen der drastisch verschlechterten Sicherheitslage nur „auf Sparflamme“. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) aber versucht gebetsmühlenartig, ein anderes Bild zu vermitteln. Der deutsche Einsatz sei ein voller Erfolg; die Zusammenarbeit mit Innen-, Außen- und Entwicklungsministerium so gut, dass der „vernetzte Ansatz“ der Deutschen von allen Nato-Partnern in Afghanistan übernommen worden sei, sagt Jung stets.

Mit der Wirklichkeit hat dies nicht viel zu tun. So informierte das Verteidigungsministerium die Medien vor wenigen Wochen über eine erfolgreiche Offensive der Bundeswehr zusammen mit afghanischen Sicherheitskräften im der Gegend von Char Dara. Je näher der Wahltag rückte, desto klarer wurde, das der vermeintliche Vorteil schon wieder aufgebraucht war. „Es hat zwar Operationen gegeben. Sie haben auch vorübergehend positive Ergebnisse gebracht. Aber dann sind die Regierungskräfte wieder zurückgewichen und die Taliban kamen sofort zurück nach Char Dara“, erzählt Habib, ein unabhängiger Wahlbeobachter in den Distrikten. Die deutschen Truppen, sagt er, handelten nicht offensiv genug, hielten sich eher zurück. Dies bestätigt ein hoher Offizier der Bundeswehr: „Unsere Aktionen verpuffen. Wir fahren in ein Gebiet rein – und so schnell wie möglich wieder raus. Aber wenn wir das Vertrauen der Menschen gewinnen und mit unseren Projekten helfen wollen, müssen wir ihnen Sicherheit bieten. Das heißt, wir müssen dann auch in der Fläche bleiben.“ Dafür aber fehlt es an Soldaten. Bis zu 4500 lässt das Mandat, das am 13. Dezember ausläuft, zu. 4240 sind aktuell am Isaf-Einsatz beteiligt. Mindestens 6000 bis 6500 aber, schätzen Insider, würden gebraucht, damit die Bundeswehr den ihr zugedachten Job machen kann; außerdem mehr und geeignetere Hubschrauber als der CH-53 sowie bessere Aufklärungsdrohnen. An einer echten Debatte über den Einsatz aber scheinen die Parteien – bis auf die Linke – nicht interessiert, schon gar nicht vor der Wahl.

Der deutsche Offizier fürchtet das Schlimmste für die Lage in Nordafghanistan – und für das sowieso ramponierte Ansehen der Bundeswehr unter den Nato-Partnern. „Wir müssen das so bald wie möglich in den Griff bekommen in Kundus und Umgebung, sonst fährt das gegen die Wand.“ Und die Amerikaner, da ist er sich sicher, werden nicht zulassen, dass auch der Norden den Alliierten völlig entgleitet. „Wenn sich nach der Bundestagswahl nicht entscheidend etwas ändert, machen die Amis das selbst. So schnell können wir gar nicht gucken.“ US-Spezialtruppen sind offenbar bereits zur Unterstützung im Norden.

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