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Eiliger Einsatz. Deutsche Staatsbürger und Bürger anderer Nationalitäten besteigen am 26. Februar 2011 eine Transall C-160 D der Bundeswehr auf einem Flugfeld in Libyen.

© Bundeswehr/Andreas J./dpa

Bundeswehreinsätze: Karlsruhe stärkt Rolle des Parlaments

Das Bundesverfassungsgericht urteilt: Bei Auslandseinsätzen muss der Bundestag zustimmen – außer bei kurzfristiger Rettungsaktionen.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Pflichten der Bundesregierung, vor bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr die Zustimmung des Parlaments einzuholen, erneut verschärft. Nach dem Urteil vom Mittwoch muss auch vor Evakuierungsmaßnahmen unter dem Schutz bewaffneter Soldaten der Bundestag eingeschaltet werden. Das gilt immer dann, wenn bei dem humanitären Einsatz bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten sind. Der Zweite Senat unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle stellte klar, dass die Evakuierungsaktion in Libyen im Februar 2011 ein bewaffneter Einsatz war. Damals wurden auch 132 Zivilisten von bewaffneten Bundeswehrsoldaten gerettet.

Mit der Entscheidung hat die Bundestagsfraktion der Grünen ihre Klage zwar inhaltlich zu einem großen Teil gewonnen. Denn die Bundesregierung hatte argumentiert, bei der humanitären Rettungsaktion in Libyen sei kein Mandat des Bundestages erforderlich gewesen. Allerdings haben die Richter die Klage der Grünen wegen der damaligen Zeitabläufe dennoch abgewiesen. Denn die Evakuierungsaktion in Libyen erfolgte wegen Gefahr in Verzug so eilig, dass sie am Folgetag bereits beendet war. Die Einschaltung des Parlaments war deshalb nicht mehr möglich und, so das Urteil, auch nachträglich nicht mehr geboten. Die Bundesverfassungsrichter zeichnen in ihrem Urteil die damalige Situation in Libyen noch einmal nach.

Die Unruhen im benachbarten Ägypten und Tunesien hatten auch in Libyen zur Folge, dass es zu bewaffneten Aufständen gegen Muammar al Gaddafi – und später zu dessen Tötung – kam. Der Staat zerfiel und die Bundesregierung beschloss die Evakuierung deutscher Staatsbürger. Dazu wurden unter anderem Bundeswehreinheiten des Heeres, der Marine und der Seestreitkräfte zu einem Einsatzverband zusammengeführt. Insgesamt waren 1000 Soldaten bei der „Operation Pegasus“ in Einsatzbereitschaft, um bedrohte deutsche Staatsbürger zu retten.

Aber kurz bevor die Eliteeinheiten einsatzbereit waren, wurde am 24. Februar 2011 entschieden, Mitarbeiter deutscher Firmen aus dem Wüstenort Nafurah auszufliegen. Die Bundesregierung sah akute Gefahr für die Firmenmitarbeiter und informierte unmittelbar vor dem Einsatz der Bundeswehr die Fraktionschefs im Deutschen Bundestag. Die Aktion wurde am 26. Februar 2011 von bewaffneten Soldaten in Transall-Maschinen durchgeführt. Die Maschinen waren mit Flugabwehrraketen bestückt. 132 Personen – darunter 22 Deutsche – wurden außer Landes gebracht. Zu bewaffneten Auseinandersetzungen kam es nicht, im Vorfeld waren dafür allerdings Vorbereitungen getroffen worden.

Ein nachträgliches Mandat des Bundestages wurde nicht eingeholt. Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) argumentierte, es habe sich um eine rein humanitäre Rettungsaktion gehandelt, die keine Zustimmung erfordere. Die Grünen klagten vor dem Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung ihrer Parlamentsrechte.

Das Bundesverfassungsgericht gab den Grünen nun inhaltlich recht. Es habe ein bewaffneter Einsatz vorgelegen, denn bewaffnete Auseinandersetzungen seien konkret erwartbar gewesen. Dafür spreche auch die Einsatzplanung. Allerdings habe unstreitig Gefahr in Verzug vorgelegen.

Das wurde auch von den Grünen nicht in Abrede gestellt. In solchen Ausnahmefällen könne die Bundesregierung eine Eilentscheidung allein treffen. Schon in der Vergangenheit hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass dann aber nachträglich der Bundestag eingeschaltet werden muss und gegebenenfalls den Rückzug der Bundeswehr beschließen kann. Offen war bisher, welche Rechte das Parlament noch hat, wenn die Eilaktion bereits beendet ist und folglich weder eine Fortsetzung noch ein Stopp der Einsätze beschlossen werden kann. So lag der Fall nun in Libyen.

Der Zweite Senat kam jetzt zu dem Ergebnis, dass dann keine nachträgliche Einbindung des Parlaments mehr geboten ist. Denn treffe die Regierung wegen Gefahr in Verzug eine Einsatzentscheidung, so sei diese Eilentscheidung rechtlich wirksam. Das Parlament entscheide im Nachhinein darüber, ob der bewaffnete Einsatz fortgesetzt oder gestoppt werde. Ist der Einsatz aber schon beendet, sei für solch eine Entscheidung kein Raum mehr. Allerdings muss die Regierung dann alle Abgeordneten schriftlich informieren und auch die Dringlichkeit des Einsatzes belegen.

Ein Schlupfloch zur Umgehung des Parlaments bieten solche Eilfälle aber dennoch nicht. Denn nach dem aktuellen Urteil kann die Entscheidung der Bundesregierung, dass „Gefahr in Verzug“ vorlag, voll überprüft werden – und zwar wiederum vom Bundesverfassungsgericht. (Aktenzeichen: Bundesverfassungsgericht 2 BvE 6/11)

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