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Bundeswehreinsatz: "Kundus macht uns am meisten Sorgen"

Immer häufiger verwickeln die Taliban deutsche Patrouillen im Norden Afghanistans in lange Gefechte. Die Bundeswehr stockt deshalb noch vor den Parlamentswahlen am 20. August 2009 seine Afghanistantruppe auf. Aber von einem Krieg will der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) nicht sprechen.

Das Buzkashi-Spiel ist in Deutschland weitgehend unbekannt. In Afghanistan ist es ein Nationalsport. Es geht um einen toten Ziegenbock, dem die mitspielenden Reiter hinterher jagen. Es gibt eigentlich keine Regeln. Nur eines zählt: Vertraue niemanden. Für Brigadegeneral Dieter Warnecke beschreibt dieses Spiel die schwierige Sicherheitslage. Warnecke befehligte das 14. Deutsche Einsatzkontingent Isaf sowie das Isaf Regional Command North (RC N) vom 1. August 2007 bis zum 10. Januar 2008. Die Bildsprache, die er wählt, sagt deshalb um so mehr über die Sicherheitslage in Afghanistan. Seit Warnecke vom Kommandostand in Mazar-e Sharif abkommandiert wurde, berät er den Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zu Fragen des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan.

Die Mehrheit der Deutschen ist gegen den Afghanistaneinsatz. Was Jung für seinen Einsatz in Afghanistan dringend braucht, ist Rückhalt in seiner Partei und vor allem in der Öffentlichkeit. Warnecke stellt sich den Fragen der CDU-Parteibasis am Dienstagabend in Berlin-Zehlendorf. Warnecke versucht zu erläutern, was an diesem Abend im Bendlerblock bereits entschiedene Sache ist. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Bedrohungslage am Hindukusch habe sich für die Bundeswehr verschlechtert.

Taliban konzentrieren Aktionen in Kundus

Angesichts der wachsenden Unsicherheit wird das Bundeswehrkontingent um 600 Kräfte aufgestockt. "200 Soldaten sollen die Präsidentschaftswahlen am 20. August absichern, weitere Soldaten werden die Schnelle Eingreiftruppe verstärken“, sagte Jung der "Frankfurter Rundschau". "Darüber hinaus werden wir Kräfte zum Schutz unserer Truppe in kritische Gebiete schicken." Insgesamt werde die Mandatsobergrenze von 4500 Soldaten aber nicht überschritten. Nach Ansicht des Verteidigungsministers haben die Taliban in Nordafghanistan ihre Taktik umgestellt.

Vor allem im Einsatzgebiet um Kundus werden Bundeswehrsoldaten in lange Gefechte verwickelt. Tote gibt es auf beiden Seiten. Ende April gerät eine deutsche Patrouille außerhalb von Kundus in einen Hinterhalt. In dem Feuergefecht stirbt ein Soldat, vier seiner Kameraden werden verletzt. "Kundus macht uns am meisten Sorge", sagt Warnecke. Das ehemalige "Vorzeigeprojekt" der Bundeswehr ist zunehmend ins Visier der Taliban geraten. Normalerweise gebe es im Norden Afghanistans eine "gewachsene Abneigung" gegenüber den Taliban. Nun konzentrierten sie ihre Aktionen um Kundus gegen die Deutschen. In 2009 gab es 46 offiziell registrierte Zwischenfälle. Darunter fallen Raketenbeschuss, Bombenanschläge und Hinterhalte. Im Norden Afghanistans wurden insgesamt 123 Zwischenfälle von den Einsatzkräften der Bundeswehr verzeichnet. Zum Vergleich: 2008 wurden in Kunduz insgesamt 69 Zwischenfälle registriert.

"Es klemmt noch ein bisschen"

Trotz direkter Gefechte will Jung nicht von einem Krieg in Afghanistan sprechen. "Es ist ein Stabilisierungseinsatz“, betonte Jung. Und er fügte hinzu, dass es im Krieg nicht um Wiederaufbau gehe. Sein Berater Warnecke zeigt auf die Entwicklungserfolge. Der Norden sei bis auf zwei Provinzen vom Drogenanbau befreit. Allerdings hat die Bundeswehr in Afghanistan gar kein Bundestagsmandat, um aktiv gegen den Mohnanbau vorzugehen. Im Süden und Osten geht indes der Kampf gegen den Anbau von Mohn weiter. Das Abfackeln von Plantagen entziehe den Bauern aber ihre Lebensgrundlage. Vor allem die Provinz Helmland sei ein großes Problem. Denn das aus Mohn gewonne Opium und Heroin finanziere die Taliban. Jung äußerte deshalb die Befürchtung, dass sich die Situation im Norden weiter verschlechtern könne, wenn der Druck auf die Taliban im Süden und Osten durch die US-Truppen wächst. Er sprachvon einer "Verlagerung der Terroraktivitäten".

Entgegen der Aktivitäten der Allianzpartner im Süden und Osten Afghanistans sollte aber die Regierung in Kabul, Ordnung und Sicherheit schaffen können. Mittlerweile gibt es eine afghanische Armee mit rund 6000 Mann Stärke, die zunehmend im Kampf gegen Drogen und Terror im eigenen Land eingesetzt werden sollen. So waren diese maßgeblich am KSK-Einsatz am 7. Mai 2009 im Distrikt Varduj beteiligt gewesen. In der Gemeinschaftsaktion rund 60 Kilometer vom deutschen Wiederaufbauzentrum Feyzabad wurde Abdul Razeq, ein Taliban-Führer, der für etliche Anschläge in Afghanistan verantwortlich sein soll, festgenommen. "Es klemmt noch ein bisschen", bewertet Warnecke den Aufbau des afghanischen Militärs.

Vertrauen schenken

Aber wie baut man in der Bevölkerung Vertrauen auf? "Die Afghanen leben im Mittelalter." Erst komme die Sicherheit, danach die Entwicklung. Man müsse aber beides in einer Gesamtstrategie vorantreiben. Diese Strategie verpflichte die Bundeswehr auch auf einen langfristigen Einsatz. Das sei Deutschland allein aus seiner Geschichte heraus dem afghanischen Volk schuldig. Nach dem Zweiten Weltkrieg schenkten die US-Amerikaner den Deutschen großes Vertrauen.

Warnecke sieht mit der Nominierung des neuen Isaf-Oberbefehlshabers Stanley McChrystal die europäische Position zum Wiederaufbau in Afghanistan bestätigt. Überraschend berief US-Präsident Barack Obama am Dienstag den Kommandeur der Isaf-Truppen in Afghanistan David McKiernan vorzeitig von seinem Posten ab. Nun soll Vier-Sterne General McChrystal den von der internationalen Staatengemeinschaft befürworteten "comprehensive approach" umsetzen. Der zivile Wiederaufbau soll gleichberechtigt neben den militärischen Einsätzen stattfinden. Dabei sollen staatliche Aufgaben zunehmend von den Afghanen selbst übernommen werden. Denn Afghanistan sei "keine Aufgabe des Militärs alleine."

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