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Perlenkette und Tweed: Rein modisch lassen die AfD-Politiker Alice Weidel und Alexander Gauland es an Bürgerlichkeit nicht fehlen.

© Michael Kappeler/dpa

Burnout der Bürgerlichen: So funktioniert die konservative Selbstlegitimierung der AfD

Viele Menschen sehnen sich nach Konservatismus. Doch ist weder klar, was das ist, noch, wer es vertritt. Die AfD hat reagiert - und zugegriffen. Ein Gastbeitrag.

- Florian Finkbeiner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung

Auf die Bezeichnung ihrer Partei als „populistisch“, „rechts“ oder „nationalistisch“ reagieren AfD-Vertreter dünnhäutig. Das konnte jeder beobachten, der die Berichterstattung über die verschiedenen Landtagswahlen des letzten Jahres im Fernsehen mitverfolgte. Das Mantra, vorgetragen von Alexander Gauland bis zum vergangenen Hinterbänkler, lautete stets: „Die AfD ist eine bürgerliche Partei der Mitte.“

Die ständige Wiederholung dieser Selbstetikettierung verfing offenbar – nicht nur beim Publikum. So irritierte eine MDR-Redakteurin, als sie ein mögliches Bündnis aus CDU und AfD eine „bürgerliche Koalition“ nannte. Tatsächlich tut die AfD beides: Sie vertritt eindeutig national-chauvinistische Inhalte und ist gleichzeitig auf den Ruf der Vertreterin einer bürgerlich-konservativen, aber ungehörten „Mitte“ bedacht.

Die Ambiguität hat Methode. Aber wieso ist ein offensichtlich nicht ganz kleiner Teil der Gesellschaft anfällig für Versprechungen und Verheißungen nationalegozentrischer Barden, die es dabei noch schaffen, sich als Konservative zu verkaufen?

Auch wenn die AfD keine genuin konservative Partei ist, kann sie sehr wohl eine Partei mit konservativen Mitgliedern und vor allem mit bürgerlich-konservativen Wählern sein, wie es auch eine neue Studie zur AfD-Wählerschaft am Beispiel von Niedersachsen belegt. Es geht also – und das scheint wesentlich – nicht um Inhalte, sondern um die Inszenierung.

So weit, so bekannt. Bei der Diskussion dieses Phänomens wird aber der Fokus meist einzig auf die Inszenierenden gerichtet, sprich die AfD mit ihren Strategiepapieren, in denen die Methode zum Anschluss an ein „bürgerliches“ Lager niedergelegt ist. Warum das Publikum auf diese Inszenierung oft mit Beifall reagiert, wird weniger diskutiert – also die Frage, welche gesellschaftspolitischen Dispositionen und Mentalitätsverschiebungen den relativ großen Erfolg der AfD auf der politischen Bühne erklären.

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Die Frage muss eigentlich nicht lauten: Warum kann sich ausgerechnet die AfD als konservative Avantgarde inszenieren? Entscheidender für die Wirkmacht der Rechten ist vielmehr, was Konservatismus heute überhaupt noch sein soll.

Seit Längerem schon ist vom „Burnout des bürgerlichen Lagers“ die Rede. Gemeint ist, dass konservative, traditionalistische und überhaupt kleinbürgerliche Kreise bei parteipolitischen Entscheidungen angeblich unterrepräsentiert sind. Die vermeintliche Zauberformel im politischen Betrieb lautet in diesem Fall zumeist: Die CDU müsse das Bürgerliche und das Konservative zurückholen, um die AfD zu schwächen.

Derartige Zeitdiagnosen suggerieren, dass Parteien wie etwa die CDU mit ein paar Handbewegungen und einer Prise politischer Folklore das Bürgertum einfach zurückgewinnen könnten. Doch die Auseinandersetzung um das politische Selbstverständnis, um Parteiprofil und Wählerklientel ist langwierig und komplex.

Alexander Gauland kann als Exponent des Verfalls gelten

Dem Kern des Problems ist sicher nicht mit oberflächlichen Strategiepapieren oder einer Fokussierung auf das Personal beizukommen. Vielmehr besteht eine auffällige Gleichzeitigkeit zwischen den Ansprüchen der AfD, als konservativ zu gelten, und der Sinnkrise dessen, was man landläufig Konservatismus nennt. Ausgerechnet Alexander Gauland kann als Exponent dieses Verfalls gelten.

Dabei hatte der ehemalige CDU-Politiker Anfang der 1990er Jahre noch selbst vor der Gefahr einer „unheiligen Allianz“ des Konservatismus und des Nationalismus gewarnt und einen „konstruktiven“ aufgeklärten Konservatismus gefordert, der sich am Projekt der Moderne beteiligen und daher von seinen historisch-deutschen Traditionen loslösen müsse.

Das Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach etwas Diffus-Konservativem einerseits und der programmatischen Chimäre eines politischen Konservatismus andererseits durchzieht die politische Auseinandersetzung der vergangenen Jahre. Denn fraglos hat sich der politische Konservatismus spätestens seit den 1990er Jahren grundlegend gewandelt, ja, es lässt sich in Wahrheit von einer tiefgreifenden Sinnkrise des Konservatismus sprechen.

Es gibt zwar weiterhin einzelne Axiome konservativer Politik wie etwa symbolträchtige Themen auf dem Gebiet der Familienpolitik. Aber in theoretisch-programmatischer Hinsicht ist der politische Konservatismus heutzutage kaum mehr in der Lage, ein komplexes Deutungssystem zu sein. Vor diesem Hintergrund verweist die Forderung nach „mehr“ Konservativem grundlegender auf die veränderten Koordinaten zur Konstituierung politischer Bewusstseinsformen und die Aporie solcher romantisch anmutenden Vorstöße, weil man nicht einfach zu einem früheren Zustand zurück kann.

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Die fortlaufende Ausdifferenzierung von Lebenswelten, Milieus und Parteiensystem tut ihr Übriges zur weiteren Erosion vormalig klassischer politischer Vorstellungswelten wie dem politischen Konservatismus, dem für die Legitimation als eigenständiges Deutungssystem heutzutage die gesellschaftliche Basis fehlt.

Seit den 1990er Jahren mangelt es dem, was sich einst als konservatives Lager bezeichnen konnte, an intellektuellen Vordenkern, an gesellschaftlich anerkannten Medien und Bühnen. Wohl nicht zufällig ist es seitdem immer schwieriger geworden, das Konservative zu identifizieren. Schließlich bröckelt seither die bürgerliche Verortung des Konservatismus, die für diesen doch seit dem Ende des Adels im 20. Jahrhundert als Trägerschicht so eminent wichtig war.

Zugleich besitzt der Konservatismus seitdem auch kaum mehr eigenständige politisch-gedankliche Ordnungsstrukturen, und wenn überhaupt, zeigen sich diese nur noch vereinzelt in Rudimenten und Versatzstücken zur verbitterten Abgrenzung vom politischen Gegner.

Es gibt ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Konservativem

Der damit verbundene strukturelle Wandel des Konservatismus hat zu einer Schieflage im politischen Entsprechungsverhältnis geführt: Es gibt offensichtlich ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftliches Bedürfnis nach Konservativem, wie es etwa die Soziologin Cornelia Koppetsch an einzelnen lebensweltlichen Ausdrucksformen schon seit Jahren beobachtet.

Aktuelle Jugendstudien zeigen, dass die Sehnsucht nach materieller Absicherung und Reihenhaus sowie einem biederen und übersichtlichen Leben in einer traditionellen Familie unter den Jugendlichen wieder angestiegen ist. Ihre Lebensvorstellungen ähneln wieder mehr denen der Großeltern als jenen der 68er-Elterngeneration. Doch dieses Bedürfnis findet kaum eine politische Entsprechung, weil das dafür notwendige Deutungssystem und ein sich daraus immer erst ableitbares politisches Programm fehlen.

Dieser strukturelle Wandel des Konservatismus bei gleichzeitigem gesellschaftlichen Bedürfnis ermöglicht es der AfD überhaupt erst, sich als bürgerlich-konservative Partei zu inszenieren. Während die Suche nach „dem Konservativen“ läuft, kann jeder für sich beanspruchen, konservativ zu sein. Das erleichtert der AfD das Manöver der konservativen Selbstlegitimation. Die Partei kann das Konservative usurpieren – denn es weiß ohnehin gerade niemand so genau, was das eigentlich ist.

Aus diesem Grund wird gerade Alexander Gauland – dessen politisch-intellektuelle Biographie nicht nur für einen konservativen Abtrünnigen, sondern auch für den Zer- oder Verfall des politischen Konservatismus selbst steht – nicht müde, die AfD als eine bürgerlich-konservative Partei zu verkaufen.

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Denn obwohl der politische Gegner die Berechtigung dazu zurückweist, verschafft das der AfD Stimmen, verunsichert politische Kontrahenten und sorgt außerdem für ein Rumoren bei christdemokratischen Landesverbänden, wie man es denn nun mit der AfD halten muss.

Was aber folgt aus dem Gesagten? Jedenfalls dürften das Pathologisieren und Moralisieren kaum gegen den Rechtsradikalismus helfen. Um die AfD wirklich zu stellen, muss dem Rest dessen, was man gemeinhin „Bürgertum“ nennt, die Affinität zur Inszenierung genommen werden. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hat in einem Brief an einen fiktiven abtrünnigen Konservativen zur Besinnung gemahnt. Sicherheitspolitische Ordnungsmaßnahmen seien wichtig. Entscheidend aber sei, das sich das restliche konservative Bürgertum selbst besinnt und erkennt, was die AfD wirklich ist: „Konservativer“ Etikettenschwindel.

Das „Konservative“ ist so wenig konkret, dass es ein imaginärer Sehnsuchtsort geworden ist, ein Ort des Rückzugs und der Geborgenheit in einer vermeintlich besseren, früheren Welt. Es muss aber immer klargemacht werden, in welche frühere Welt die AfD wirklich zurück möchte.

Florian Finkbeiner

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