zum Hauptinhalt
Unter der Hand: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beantwortet am Mittwoch Fragen zu seiner Promotion - und hat diese vorbildlicherweise auch dabei.

© dpa

Causa zu Guttenberg: Mehr als nur ein Titel

Nach der Blitz-Aberkennung der Doktorwürde ist Guttenberg fein raus aus dem akademischen Betrieb. Der seinerseits muss mit der Tatsache fertig werden, die das breite Unverständnis für die Kritik offen legt: Der Graben zwischen Theoretikern und Praktikern ist immens.

Nein, das sei zunächst allen gesagt, die immer noch glauben, er habe nur falsch zitiert: Auch Fußnoten hätten Karl-Theodor zu Guttenbergs Dissertation nicht geheilt. Ein Doktor wird für intellektuelle Leistungen verliehen, nicht für Geschick am Kopierer. Und nein, es wäre nicht richtig, von diesem vermeintlichen Kavaliersdelikt angesichts der Revolution in Libyen, toter deutscher Soldaten in Afghanistan und der Existenz anderer Politiker, die genau so schlecht oder genau so gut sind wie zu Guttenberg, zu schweigen. Das alles ist kein Grund, am wenigsten die Soldaten, die wissen sollen und hoffentlich auch wollen, wie die Gesellschaft tickt, für die sie sich in Gefahr begeben. Denn was immer am Hindukusch auch verteidigt wird, ist keine Hohlfrucht, es ist ein Staat, der auf die intellektuelle Mündigkeit seiner Bürgerinnen setzt und diese fördert. Um nicht mehr und nicht weniger als diesen Grundwert geht es in der Causa zu Guttenberg. Es geht eben nicht um eine partikulare Ehre in einer elitären Gruppe, sondern um Integrität und den Respekt vor intellektueller Arbeit. Das sei allen gesagt, die nun darauf beharren, dass es nur darauf ankomme, dass zu Guttenberg seinen Job gut mache. Einen Job, für den er zweifellos, wie viele andere Arbeitnehmer, keinen Doktortitel benötigt.

Doch was heißt das eigentlich: seinen Job gut machen? Geht man dieser Frage nach, kommt man schnell zu den Paradoxien der derzeitigen Diskussion, die zunächst einmal – zu Guttenberg hat mit seiner bagatellisierenden „Blödsinn“-Rede und seinem halbherzigen Fehler-, nicht Schuldeingeständnis im Bundestag aktiv dazu beigetragen – dahingeht, den Doktortitel als im Zweifelsfall verzichtbares „sur plus“ einer politischen Karriere hinzustellen. Ein Job besteht meistens darin, ein bestimmtes Problem zu lösen. Bei schwierigen Jobs besteht ein guter Teil darin, eine Idee zu entwickeln, wie man das Problem löst. Bei sehr schwierigen Jobs schließlich geht es darum, ob man dazu steht, das Problem nicht lösen zu können. Zu Guttenberg hat als Wirtschafts- und Verteidigungsminister tatsächlich einen guten Job gemacht. Er hat ein Problem gelöst (Ende der Wehrpflicht), er hat eine Idee entwickelt für ein schwieriges Problem (Opel), er hat dazu gestanden, ein Problem nicht lösen zu können (Krieg). Nur haben wir jetzt entdecken müssen, dass er in seiner Vergangenheit offenbar ein bestimmtes Problem nicht gelöst hat, weil er auch gar keine eigene Idee entwickelt hat, um es zu lösen, und dass er zu allem Übel heute auch nicht wirklich dazu stehen mag. Aber dreht sich jetzt zu Recht alles allein um die Frage, was man mit einem guten Verteidigungsminister machen soll, der ein verlogener Doktorand war?

Jein, die ganze Debatte um Karl Theodor zu Guttenbergs Doktortitel schlägt in die falsche Richtung im Richtigen, um es frivol akademisch auszudrücken. Oder in den klaren Worten Guttenbergscher Prägung: Es geht hier letztlich um weit mehr als die Frage, was ein mögliches Plagiat in der Dissertation für seine Karriere bedeutet. Im Hintergrund schwingt in dieser Debatte die Frage mit, was eigentlich ausgebildete Wissenschaftler Staat und Gesellschaft in der Praxis bringen. Im Gegensatz zur ersten Frage ist diese keine Bagatelle. Sie ist auch keine Frage, die sich mit Blick auf so genannt wichtigere Probleme wegwischen ließe, es ist eine Frage mit erheblicher gesellschaftlicher Sprengkraft: Warum sollten wir Menschen, die nicht an der Universität bleiben, wissenschaftlich so gut ausbilden, wenn dies letztlich für die wesentlichen Jobs unserer Zeit nichts bringt?

Warum denkt eigentlich kein Mensch zur Zeit umgekehrt daran, dass ein Doktor, der am Ende einer wissenschaftlichen Ausbildung steht, die ernsthaft und eben nicht blödsinnig verfolgt wurde, etwas beitragen kann zu dem, was wir von Politikern verlangen? In der Wissenschaft geht es doch gerade um nichts anderes, als Probleme zu analysieren und zu lösen. An der Uni werden Leute ausgebildet, in dem man sie lehrt, unterschiedlichste Probleme mit möglichst vielen Lösungsideen zusammen zu bringen, um damit einen möglichst vollen Rucksack für den Ernstfall zu haben. Wer im Training nicht nur den linken Übersteiger übt, sondern auch den rechten und dazu zwei, drei andere Dribblings, der wird im entscheidenden Moment mehr Möglichkeiten haben, den Ball ins Tor zu tragen. Genauso ist es mit der Bewältigung von Problemen auch; wer schon viele Ideen mitbringt, dem fällt es leichter, in einer Situation rasch zu urteilen und zu handeln. Das Studium ist letztlich vor allem ein Training in Problemlösungskompetenz, sollte das zumindest sein. Wissenschaft, wenn sie forscht und entwickelt, ist Hochleistungssport: Es braucht jahrelanges Training, mitunter in einer Doktorarbeit absolviert, sein Denken zu schulen und zu entwickeln, bis Ideen punkten und andere überzeugen.

Es ist ein wichtiger indirekter Beitrag zu Guttenbergs und eine Lehre aus der derzeitigen Diskussion, dass die deutsche Wissenschaft selbst einiges falsch machen muss, wenn ihr Bild in der Öffentlichkeit so unsportlich, langweilig und unpräsent ist, dass ein Betrug in ihrer Sphäre als Bubentrick durchrutscht. Wissenschaft ist ihrer Idee nach nicht der abgehobene Elfenbeinturm, in den sie inszeniert wird, sie ist vor allem auch die Talentstätte für diejenigen, die im Umgang mit Problemen Verantwortung übernehmen werden. Nur so verstanden macht es Sinn, dass Universitäten Doktoren ausbilden, die danach nicht eine Karriere als Professor machen. Der Doktor darf weder vom Promotionsstudenten noch von der Bevölkerung als schöner Titel und biographischer Zierrat missverstanden werden. Um es einmal im einem Jargon zu sagen, der einem Verteidigungsminister gebührt: Der Doktor ist viel eher ein Rang, den man mit vorbildlicher Leistung erringt; ihn trägt ein Drei-Sterne-General im Erfinden und Beurteilen von Ideen.

Ein Verteidigungsminister, der Verantwortung aus dem von ihm verschuldeten Debakel zieht, tut gut daran, dieses Bild zu unterstützen. Ob in der Armee oder in der Gesellschaft, es braucht Ausbildungen, die Menschen in die Lage setzen, Probleme zu beurteilen und zu lösen. Und wir brauchen Vorbilder, die diese Ausbildungen Ernst nehmen und mit Ehrgeiz trainieren. Die Moral der Debatte betrifft so beide Seiten, Praktiker und Theoretiker: Die Universitäten müssen Sorge tragen, dass ein Doktorstudium zu einer Qualifikation führt, die auch Nicht-Akademiker davon überzeugt, sinnvoll Geld für kompetente Problemlöserinnen ausgegeben zu haben. Die Gesellschaft muss im Gegenzug wahrnehmen und zugestehen, dass es sehr wohl Sinn ergeben könnte, wenn ein Minister die Qualifikation eines Doktors mitbringt. Zu Guttenbergs Doktorklau hat keinen Menschen in Mitleidenschaft gezogen. Das volle Eingeständnis einer Schuld, wie es zu Guttenberg bisher noch nicht erbracht hat, eine Entschuldigung ohne entschuldigende Ausflüchte kann das wieder richten. Vor allem aber vermiede sie, dass eine Errungenschaft unseres Staats in Mitleidenschaft gezogen wird: die Überzeugung, dass anspruchsvolle intellektuelle Leistungen und Politik sich nicht ausschließen, sondern im besten Fall zusammengehören. Guttenberg sollte dann auch im Amt bleiben dürfen; macht er weiter einen guten Job, ist ein Ehrendoktor nicht ausgeschlossen.

Manuel Scheidegger promoviert in Philosophie bei Prof. Dr. Georg W. Bertram an der Freien Universität Berlin. Gleichzeitig ist er Mitgründer eines Internet-Startups, das vom Bundesministerium für Wirtschaft gefördert wird. 

Johannes Schneider ist Diplom-Kulturwissenschaftler und Volontär des Tagesspiegels. Er ist Alumnus der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false