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Die CDU strebt eine Phase der "inhaltlichen Weiterentwicklung" an.

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CDU-Klausurtagung in Erfurt: Die Angst vor zu viel Ruhe

Die CDU-Spitze versucht sich in der großen Koalition neu aufzustellen. Am dauerhaften Erfolg der Politik der ganz, ganz ruhigen Hand gibt es einige Zweifel. Bei ihrer Klausurtagung in Erfurt fordert Kanzlerin Merkel nun eine inhaltliche Weiterentwicklung.

Von Robert Birnbaum

Matthias Jung hat der CDU-Spitze schon öfter frohe Botschaften überbringen können. Diesmal hat der Chef der Forschungsgruppe Wahlen immerhin Trost im Gepäck: Dass die CDU seit der Regierungsbildung nicht so richtig wie der große Sieger der Bundestagswahl wirkt, müsse die Partei, fand der Demoskop, nicht nachhaltig beunruhigen. Auf längere Sicht werde die Kanzlerinnen-Partei von Erfolgen der Regierung auch dann profitieren, wenn diese Erfolge konkret von SPD-Ministerin verantwortet würden. Der CDU-Vorstand nahm den Vortrag in einem Erfurter Hotel am Freitagabend mit gewisser Erleichterung zur Kenntnis. Überzeugt hat er trotzdem nicht jeden. Dass die CDU als Partei der ganz, ganz ruhigen Hand auf Dauer reüssieren kann, das glauben etliche schon mit Blick auf die anstehenden Europa- und Kommunalwahlen nicht.

Von Unruhe zu reden wäre weit übertrieben. Aber die kleinen Ausschläge auf den Skalen der Meinungsforscher werden genau registriert. Der Außenminister Frank-Walter Steinmeier steht in den Beliebtheitsumfragen plötzlich vor der jahrelang einsamen Spitzen-Kanzlerin? Interessant, mindestens. „Das dauert bei den Leuten natürlich ein paar Wochen“, sagt ein Vorständler. „Aber irgendwann fangen die an zu sagen: Diese Sozen, die können ja auch was.“

Impulse von den Jungen

In der engeren Parteiführung machen sie sich solche Gedanken durchaus auch. Dass drei stellvertretende Parteivorsitzende seit diesem Wochenende einen Zweitjob haben, ist eindeutig eine Reaktion auf die großkoalitionären Macht- und Bedeutungsverschiebungen. Merkel sagt das für ihre Verhältnisse auch erstaunlich offen: Die erste Hälfte der Legislaturperiode müsse für die CDU eine Phase der „inhaltlichen Weiterentwicklung“ werden – denn es sei immer wichtig, in diesen ersten zwei Jahren die programmatischen Weichen für die nächste Bundestagswahl zu stellen. Die drei Vizes sollen die Felder beackern, die die Kanzlerin in der Regierung der SPD überlassen musste: Der Baden-Württemberger Thomas Strobl die Wirtschafts- und Arbeitspolitik, der Nordrhein-Westfale Armin Laschet Integration und Bürgergesellschaft, die Rheinland-Pfälzerin Julia Klöckner das „nachhaltige Leben“.

Wer das Schicksal solcher Parteikommissionen kennt, müsste freilich wissen: Für einen leibhaftigen Minister ist so ein Parteikommissionsvorsitzender keine wirkliche Konkurrenz. Immerhin sind diese Arbeitsaufträge ein Versuch, zentrale Themenfelder nicht brach liegen zu lassen. So wie die beiden Pilotprojekte für eine Online-Mitgliederbeteiligung, die der neue Generalsekretär Peter Tauber starten darf, ein tastender Versuch ist, die größte Volkspartei im Inneren lebendig zu halten. Was das angeht, kommen die Anstöße im Moment ohnehin von den technikaffinen Jungen. Der Student Jounes Ouaquasse hat zum Beispiel in der Debatte über das Europawahlprogramm darauf hingewiesen, dass sich alle wichtigen Parteien inzwischen mit Internet-Angeboten um die zwei Millionen Auslandsdeutschen kümmern, während die CDU dieses Wählerpotenzial noch nicht einmal technisch erschlossen habe.

McAllister Spitzenkandidat für Europawahl

Aber erst muss die CDU mal wieder das inländische Wählerpotenzial erschließen. Für die Europawahl im Mai hat der Parteivorstand David McAllister zum Spitzenkandidaten der CDU nominiert. Der Posten ist ein eher informeller, weil sich damit kein konkreter Anspruch verbindet – was, außer frischem Hinterbänkler in Straßburg, der einstige niedersächsische Ministerpräsident denn bei einem guten Abschneiden werden soll, ist eine unbeantwortete Frage. Sein SPD-Widersacher Martin Schulz ist immerhin Spitzenmann aller Euro-Sozialisten und würde mit der Wahl im Rücken gerne zum EU-Kommissionspräsident aufrücken.

Aber andererseits ist allen klar: Geheime CDU-Spitzenkandidatin für diese Europawahl ist, wieder einmal, ohnehin Merkel selbst. Das Zutrauen, das die Deutschen im Herbst in die Euro-Kanzlerin bewiesen haben, soll im Frühjahr noch mal ziehen. Auch deshalb fehlt so etwas wie ein ausdrückliches Anti-Programm gegen die Eurokritiker von der „Alternative für Deutschland“ in der CDU-Aufstellung – anders als bei der kleinen Schwester CSU, die die Populisten durch Populismus zu neutralisieren trachtet.

In dieses Kapitel, glauben sie bei der CDU, fällt auch die jüngste Brüllattacke von Horst Seehofer gegen die Netzausbau-Pläne für die Energiewende; nur dass der Bayer diesmal seine Kommunalwahlen im März im Auge habe. Gewählt wird da schließlich auch in den Gegenden im Freistaat, durch die demnächst eine Hochspannungsleitung Windstrom aus dem Norden in Bayerns Industrieregionen bringen soll. Merkel hat die bayerische Forderung nach einem „Moratorium“ für die Netzausbaupläne kühl zurückgewiesen – verbunden mit dem Hinweis, die komme gar nicht von Seehofer, sondern bloß von dessen Staatskanzleichefin Christine Haderthauer. Ansonsten werde man den Netzausbau ständig an den aktuellen Planungsstand der Energiewende anpassen müssen – nur: „Das wird nicht dazu führen, dass wir plötzlich keine Hochspannungs-Gleichstromübertragung mehr brauchen.“

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