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CDU: VEB in Erfurt

Still und leise verabschiedet sich die CDU auf ihrer Klausurtagung von zwei ehemals eisernen Prinzipien.

Von Robert Birnbaum

Die Begrüßung fällt, nicht nur der Jahreszeit entsprechend, beiderseits leicht frostig aus. Angela Merkel lächelt so knapp wie möglich zu Horst Seehofer herüber. „Beim Parteitag hatten wir leider nicht die Gelegenheit“, frotzelt die CDU-Chefin ihren Gast an. „Ja, Frau Bundeskanzlerin“, sagt der CSU-Chef. Anschließend beschwören beide noch kurz die Gemeinsamkeit der Union, bevor sie für die nächsten zwei Stunden in der Klausursitzung des CDU-Vorstands verschwinden.

Die kleine Vorführung im Erfurter Hotelfoyer sagt einiges über den Stand der diplomatischen Beziehungen zwischen den Unionsgeschwistern aus. Allerdings soll genau dieser Eindruck leiser Widerborstigkeit ja auch entstehen; schließlich ist Merkel ihrer CDU noch eine Erklärung dafür schuldig, wieso sie wochenlang strikt gegen rasche Steuersenkungen war und plötzlich dafür, bloß weil Seehofer lange genug gequengelt hat. Doch der CDU-Chefin bleibt jedwede kritische Debatte erspart. Auch die strengsten Antisteuersenker in der CDU klingen mittlerweile bayerisch. Ein „Signal an die Leistungsträger“ gehöre selbstverständlich in ein Konjunkturpaket, befindet etwa der Saarländer Peter Müller. „Ich glaube, es war politische Klugheit, das jetzt so zu machen“, kommentiert Merkel die Einigung auf CSU-Linie.

Für diese Kehrtwende gibt es – neben den üblichen taktischen Motiven – auch ein inhaltliches: So groß, wie es Seehofer seit Tagen zur Schau trägt, ist sein Triumph in Wahrheit nicht. Zwar hat sich die Union darauf verständigt, dass sie den Grundfreibetrag auf 8004 Euro anheben und zumindest den Teil an „kalter Progression“, den dieser Schritt zusätzlich verursacht, wieder abbauen möchte. Doch umfasst die Einigung auch die – bisher öffentlich nicht recht bekannt gewordene – Absprache, dass das 2009 wohl erst zur Jahresmitte greifen kann. Maliziös lächelnd rechnen CDU-Spitzenleute zudem vor, dass die „Seehofer-Entlastung“ sich pro Nase und Monat im Schnitt auf acht bis zehn Euro belaufen dürfte – ein Taschengeld, keine Konjunkturspritze. Schon verständlich also, dass Seehofer über Zahlen seit Tagen partout nicht reden mag.

Doch der Steuerstreit ist ohnehin zur bloßen Polit-Folklore geworden angesichts der anderen Kehrtwende, die die CDU in Erfurt vollzogen hat – und auch die ohne nennenswerte Diskussion. Der Tabubruch verbirgt sich hinter einem harmlos klingenden Etikettenklau. „Deutschlandfonds“ war ursprünglich einmal Frank-Walter Steinmeiers Formel für ein Investitionspaket von Bund, Ländern und Gemeinden. Der CDU-Vize und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat den Begriff des SPD-Kanzlerkandidaten gekapert. Doch Rüttgers’ „Deutschlandfonds“ ist etwas völlig anderes: ein Kredit-Schutzschirm für Firmen – direkte Staatsbeteiligung an Unternehmen ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Dahinter steckt die Erkenntnis, dass es wenig nützt, die Banken bloß dazu aufzurufen, endlich wieder Kredite an die Wirtschaft zu bewilligen. Sie tun es nicht, bunkern stattdessen ihre Gelder für den Fall weiterer Erschütterungen am Finanzmarkt. Was für die einzelne Bank vernünftiges Verhalten ist, beschleunigt für die Volkswirtschaft den Abwärtstrend. Nur folgerichtig also die Idee, dass der Staat seine 500-Milliarden-Bürgschaft an die Kreditgeber durch eine zweite Bürgschaftslinie für die Wirtschaft ergänzt.

Rüttgers’ Plan freilich reicht über reine Bürgschaftszusagen weit hinaus. Wenn es nach ihm geht, soll der Staat sich auch direkt an einem bedrohten Unternehmen beteiligen – für die CDU ein glatter Tabubruch. In der Klausursitzung hat allerdings nur einer ausdrücklich davor gewarnt: der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, notabene selbst Anteilseigner bei VW. Die Intervention blieb ohne nennenswerten Wiederhall. Immerhin kann sich Wulff zugute halten, dass im Abschlusspapier jetzt das „Hausbankprinzip“ – also die Kreditvergabe durch Geschäftsbanken statt direkt durch den Staat – hochgehalten und die Möglichkeit der Staatsbeteiligung nicht ausdrücklich genannt wird. Aber dass der Staat „im Notfall“ zum Mitunternehmer werden könnte – nicht nur der Hesse Roland Koch spricht das ganz öffentlich aus.

Bei der SPD werden sie diese Art von Prinzipientreue nur begrüßen können. Schließlich hält die CDU für die Koalitionsrunde zum zweiten Konjunkturpaket am Montagabend auch sonst praktisch alles offen. Selbst beim Reizthema Spitzensteuer ist der Erfurter Beschluss auslegungsfähig: „Steuererhöhungen lehnt die CDU Deutschlands ab“, heißt es dort. Von „ausschließen“ ist nicht die Rede.

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