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Politik: Chinas Hilfe zur Demokratie - Mit Angriffsdrohungen besiegelte Peking ungewollt die Abwahl der Kuomintang (Kommentar)

Manchmal ist es überraschend, dass Demokratie auch bei größten Widrigkeiten funktioniert. Zum ersten Mal in der Geschichte Taiwans sprachen die Wähler am Wochenende der herrschenden Kuomintang-Partei das Präsidentenamt ab.

Manchmal ist es überraschend, dass Demokratie auch bei größten Widrigkeiten funktioniert. Zum ersten Mal in der Geschichte Taiwans sprachen die Wähler am Wochenende der herrschenden Kuomintang-Partei das Präsidentenamt ab. Ein Oppositionspolitiker wird die Insel regieren, der frühere Rechtsanwalt Chen Shui-bian. Ein halbes Jahrhundert Ein-Partei-Herrschaft geht zu Ende, ein weiteres Land hat den friedlichen Wandel vom autoritären Staat zur Demokratie geschafft.

Dabei waren die Bedingungen für Chen und seine Demokratische Fortschrittspartei DPP nicht günstig. Mit ihrem Milliardenvermögen und Beziehungsgeflecht dominierte die Kuomintang den Wahlkampf, ihre Propagandamaschine warnte in grellen Tönen vor "Unruhen und Chaos", falls die DPP an die Macht käme. Der aber kamen ungewollt die Erzfeinde aus Peking zu Hilfe: Um Chen, den China als Verfechter der Unabgängigkeit Taiwans sieht, zu verhindern, drohten Pekings Kommunisten offen mit Krieg. Die Fernsehsender der Kuomintang untermalten die Drohung mit Bildern von Truppenaufmärschen und Raketenabschüssen.

Der plumpe Versuch, Taiwans Wähler einzuschüchtern, ist gescheitert. Die Bürger ließen sich durch Pekings Säbelrasseln nicht von ihren eigenen politischen Interessen ablenken: Der Kandidat der Kuomintang, Lien Chan, bekam nicht einmal ein Viertel der Stimmen, wurde aus dem Amt gejagt. Und mit ihm Korruption und Vetternwirtschaft, für viele Taiwanesen die Symbole der lanjährigen Regierung der Nationalchinesen.

Die Abwahl der Kuomintang wurde für viele Bürger zum letzten Schritt zur echten Demokratie. Nach der Aufhebung des Militärrechts 1987 und den ersten freien Präsidentenwahlen 1996 kommt es nun zum ersten demokratischen Machtwechsel. Taiwan wird davon profitieren: Chen Shui-bian wird die Trennung zwischen Partei und Regierung vorantreiben und den politischen Filz in Taiwans Wirtschaft bekämpfen.

Trotz aller Reformen wird der neue Präsident jedoch berechenbar bleiben. Weil die Kuomintang in Taiwans Parlament noch die Mehrheit hat, muss Chen die neue Regierung im Konsens mit der Altpartei ernennen. Auch personell ist die kleine und unerfahrene DPP auf die Zusammenarbeit mit der Kuomintang angewiesen. Nach dem Muster der Kohabitation in Frankreich wird Taiwan nun von einem Präsidenten und einer Regierung geführt, die konkurrierenden Lagern angehören.

Chens Sieg war ein Votum für den Machtwechsel, nicht für die Unabhängigkeit Taiwans. Zum Auslöser eines Kriegs mit China, wie es in den vergangenen Tagen oft hieß, wird das Wahlergebnis nicht. Die DPP war einst als Partei der Unabhängigkeitsbewegung gestartet, aber inzwischen haben sich die Realpolitiker durchgesetzt: Eine offene Provokation Pekings, etwa eine Verfassungsänderung oder ein Referendum über die Statusfrage, hat Chen bereits ausgeschlossen. Doch wird er wahrscheinlich versuchen, wie sein Vorgänger Lee Teng-hui Taiwans internationalen Spielraum zu vergrößern.

Einfacher wird die Lösung des Taiwan-Problems unter Chen Shui-bian jedenfalls nicht. Die angekündigten direkten Gespräche mit Pekings Führern - wenn sie denn zustande kommen - sind, wie es aussieht, von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Mit dem Votum für mehr taiwanesische Souveränität im Rücken hat Chen noch weniger Verhandlungsspielraum als seine Vorgänger von der Kuomintang. In einer ersten Reaktion hat Peking angekündigt, dem neuen Mann eine Chance zu geben. Wie lange diese Chance aber dauert, darauf möchte auch in Taiwan niemand wetten.

Harald Maass

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