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Chodorkowski: Staatsfeind Nummer eins, die Zweite

Der frühere Ölmagnat Chodorkowski steht in Moskau erneut vor Gericht. Erkennt das Gericht Chodorkowski für schuldig, kommen zu den acht Jahren Haft aus dem ersten Verfahren weitere vierzehn.

Der wie immer sehr kurze Bürstenhaarschnitt ist inzwischen völlig ergraut. Und er ist sichtlich fülliger geworden, was an der ungesunden Ernährung und am Bewegungsmangel liegen dürfte. Sonst aber hat Michail Chodorkowski sich kaum verändert. Mit gefrorenem Lächeln – auch dies ein Markenzeichen aus Tagen, als er noch Chef des Ölgiganten Jukos und der mit Abstand reichste Mann des Landes war – entstieg er am Dienstagvormittag einem jener fensterlosen Gefangenentransporter, die der Volksmund „Schwarzer Rabe“ nennt.

Seit gestern wird dem 2005 wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und anderer Wirtschaftsvergehen zu acht Jahren Haft Verurteilten ein weiterer Prozess gemacht. Der Streitwert ist selbst für russische Verhältnisse astronomisch: Chodorkowski soll Aktien und Rohöl im Werte von 892 Milliarden Rubel – das sind knapp 20 Milliarden Euro – unrechtmäßig erworben und zwischen 1998 und 2003 Erlöse aus dem Ölexport mit fragwürdigen Mitteln legalisiert haben, insgesamt fast 17 Milliarden Euro. Erkennt das Gericht Chodorkowski für schuldig, kommen zu den acht Jahren aus dem ersten Verfahren weitere vierzehn.

Chodorkowski, so hiesige Bürgerrechtler und Demokraten gleich nach dessen Verhaftung vor fünfeinhalb Jahren, werde so lange sitzen wie Putin im Kreml. Denn er hatte oppositionelle Parteien unterstützt und sich mit alternativen Bildungsprogrammen in die Erziehung künftiger Wähler eingemischt. Aus Sicht des Kremls rüttelte er damit an den Grundfesten des Systems Putin. Unfreie Medien, eine marginalisierte Opposition, politische Morde sind nur einige der Wegmarken bei Russlands Rolle rückwärts zum alten Unrechtsstaat sowjetischer Prägung. Und eine Justiz, die ihre Urteile so fällt, wie sie ganz oben bestellt werden.

Nicht nur er hatte bei der verkorksten Privatisierung in der Jelzin-Ära seine Kontakte zu korrupten Beamten genutzt, um Filetstücke der Sowjetwirtschaft zu Dumpingpreisen an sich zu bringen. Und er war später auch nicht der einzige, der mit Steuersparmodellen Gewinnmaximierung betrieb. Vor Gericht landete indes nur er. Die übrigen Oligarchen durften ungestraft weiter raffen.

Damit nicht genug: Die Ermittlungen für den gestern eröffneten Prozess begannen im Herbst 2007, just als Chodorkowski knapp die Hälfte seiner Strafe verbüßt und damit das Recht hatte, den Erlass des letzten Drittels zu beantragen. Diesem wird gewöhnlich stattgeben. Voraussetzung ist allerdings gute Führung des Antragstellers. In diesem Punkt sahen Verteidiger und Sympathisanten von Anfang an tiefschwarz und behielten Recht. Mal hatte Chodorkowski beim Hofgang die Hände nicht vorschriftsmäßig auf dem Rücken verschränkt, mal wurde er an „dafür nicht vorgesehenen Örtlichkeiten“ beim Teetrinken gesehen, mal hatte er sich in der West-Presse mit großen Artikeln zu Wort gemeldet. Ein Mithäftling zeigte ihn sogar wegen sexueller Belästigung an. Diese Klage allerdings wies das Gericht vorige Woche ab.

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