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Christian Lindner: "Wir müssen den Herbst nutzen"

FDP-Generalsekretär Christian Lindner im Tagesspiegel-Interview über den Neustart der Koalition, die Energiepolitik und die Restlaufzeit von Guido Westerwelle.

Herr Lindner, haben Sie manchmal Mitleid mit Guido Westerwelle?

Nein, er braucht kein Mitleid. Die FDP ist in einer schwierigen Phase. Wir hätten nach der Bundestagswahl mehr Demut und Übersicht zeigen müssen. Wir wollten aber unbedingt unsere Zusagen einhalten, dabei haben wir eine Veränderung der Stimmungslage übersehen. Nun ist ein Schaden entstanden. Es braucht Zeit, ihn zu beheben. Aber wir wollen die Bürger durch gute Sacharbeit wieder von uns überzeugen.

Warum machen die Wähler vor allem Westerwelle für den Mangel an Demut und Übersicht verantwortlich?

Eine Partei wird vorwiegend mit ihrem Vorsitzenden identifiziert und umgekehrt. Alle wesentlichen Entscheidungen haben wir aber gemeinsam in den Gremien getroffen.

Wird Guido Westerwelle ungerecht behandelt, wenn nun so vieles bei ihm abgeladen wird?

Alle Entscheidungen wurden von Parteitagen, Bundesvorstand oder der Bundestagsfraktion getroffen. Jetzt schauen wir nach vorn. Wir werden den Herbst nutzen, um über Themen und konkrete Entscheidungen zweierlei deutlich zu machen. Erstens: Wir sind für faire Regeln und nicht für punktuelle Staatseingriffe, wo es Politikern populär erscheint. Rainer Brüderle hat ja bei Opel gezeigt, dass die FDP die Partei der Ordnungspolitik ist. Zweitens: Es macht einen Unterschied, dass die FDP an der Regierung beteiligt ist. Nach elf Jahren Schwarz- Rot-Grün hat erst Sabine Leutheusser- Schnarrenberger einen Richtungswechsel bei den Bürgerrechten eingeleitet. Seit unserem Regierungseintritt gab es keine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen mehr.

Besteht der größte Unterschied zwischen Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb nicht darin, dass bis 2009 einigermaßen routiniert regiert wurde, während heute das Chaos herrscht?

Das ist mir zu einfach. Es ist nicht allein entscheidend, was in den Zeitungen steht, sondern was im Bundesgesetzblatt für die Menschen geregelt wird. Alle wirtschaftlichen Indikatoren zeigen nach oben. Wir stehen nach der Krise besser da als die meisten anderen europäischen Länder. Die jetzt von der SPD geplanten Steuererhöhungen zulasten des Mittelstands würden diesen Aufschwung zunichte machen.

Für die FDP und ihren Chef lohnt sich die Regierungsbeteiligung nicht. In den Umfragen ist Ihre Partei auf fünf Prozent zurückgefallen. Schließen Sie aus, dass Westerwelle den Parteivorsitz im Lauf der Legislaturperiode niederlegt?

Wir würden unsere Gestaltungsmöglichkeiten in der Koalition erheblich reduzieren, wenn der Vizekanzler nicht zugleich auch Parteivorsitzender wäre. Die FDP war unter Guido Westerwelle erfolgreich und das wird sie auch wieder werden.

Als Westerwelle kürzlich mit Blick auf den Wirtschaftsaufschwung Steuerentlastungen gefordert hat, erklärte die Kanzlerin: Kommt nicht infrage. Besonders groß scheint die Durchschlagskraft Ihres Vorsitzenden nicht mehr zu sein.

Wolfgang Schäuble hat am Freitag fast dasselbe wie Guido Westerwelle gesagt. Unsere Position ist klar: Wir wollen zuerst raus aus den Schulden. Das ist die Lehre aus der Euro-Krise. Und wir werden schon zum kommenden Jahr die Steuererklärung für jeden spürbar vereinfachen. Dazu wird es mehr Pauschalregelungen geben. Bestimmte Daten kann das Finanzamt selbst suchen und eintragen. Und warum sollte jeder Steuerzahler nicht auf Wunsch für zwei Jahre auf einmal eine Erklärung abgeben können? Mittelfristig wollen wir dann die Bürger an den Sparerfolgen unserer Politik beteiligen. Durch Haushaltsdisziplin erarbeiten wir eine Perspektive für die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen. Die haben das verdient.

Ist Guido Westerwelle für die FDP unersetzlich?

Wir wollen ihn nicht ersetzen.

Welche Spuren hat die Dauerkritik an Westerwelle hinterlassen, wie hält er aus, der Buhmann der deutschen Politik zu sein?

Er hat sein Stehvermögen immer wieder bewiesen.

Manche Ihrer Parteifreunde sagen, Westerwelle befinde sich in einer Phase tiefer Niedergeschlagenheit.

Ich erlebe ihn als ernsthaften und selbstkritischen Arbeiter. Deshalb bin ich sicher, dass wir die schwierige Lage der FDP bewältigen werden.

Wie?

Es kommt jetzt darauf an, dass wir den entscheidungsreichen Herbst nutzen. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht, der Reform von Hartz IV zugunsten von Kindern, dem Energiekonzept, der Bildungspolitik und der Steuervereinfachung steht ein Bündel von Entscheidungen an, die wir als FDP mit prägen werden. Die Botschaft an unsere enttäuschten Wähler muss sein: Ihr habt nicht falsch gewählt. Ihr seid vielleicht verunsichert, es hat Zeit gebraucht, bis die FDP sich gefunden hat, aber wir setzen das um, was ihr erwartet habt. Eine Politik nämlich, die die engagierte Mittelschicht nicht vergisst.

Woran zeigt sich, dass Westerwelle den Willen hat, etwas an sich selbst zu verändern?

Solche persönlichen Fragen müssen Sie ihm bitte selbst stellen. Mich beeindruckt sein Engagement in der Außenpolitik. Er hat eine Reihe von Akzenten gesetzt, von der Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks mit Polen und Frankreich über die neue Afghanistanstrategie bis hin zu seinem Engagement für die Pakistan-Hilfe. Auch in Europa gibt es viel für ihn zu tun, damit sich eine Griechenlandkrise nicht wiederholt.

Welche Fehler hat die FDP seit der Regierungsbildung gemacht?

Wollen Sie eigentlich das ganze Interview nur mit dem Blick in den Rückspiegel führen? Bitte nicht. Ich glaube auch nicht, dass sich Ihre Leser nur für die Vergangenheit interessieren.

Wir hatten Sie so verstanden, dass Sie bei der Planung der verbleibenden drei Jahre aus dem lernen wollen, was im ersten Jahr nicht so gut lief …

Wir haben gelernt, wir gehen mit Realitätssinn und unserem klaren ordnungspolitischen Kompass an die politischen Probleme heran. In diesem Herbst wollen wir zum Beispiel eine rationale Entscheidung für die Zukunft unserer Energieversorgung treffen. Wir werden die Laufzeiten für die sicheren Kernkraftwerke in Deutschland um einen mittleren Zeitraum verlängern, damit die Energiewende hin zu den Erneuerbaren bezahlbar wird. Sonst kommt das die Stromkunden teuer zu stehen.

Was macht Sie so sicher, dass die Koalition den Herbst der Entscheidungen tatsächlich nutzt und sich nicht erneut in Streitigkeiten erschöpft?

Ich kann nur für die FDP sprechen. Wir arbeiten mit Seriosität und Augenmaß an den Problemen, die wir bis Jahresende entscheiden werden. Diese Ernsthaftigkeit erwarte ich von allen in der Koalition. Die Probleme sind schwer genug. Niemand will eine Regierung, die Stil vermissen lässt und keine Orientierung bietet.

Das heißt, am chaotischen Bild, das die Regierung etwa in der Atomdebatte abgibt, ist nicht die FDP schuld, sondern die Union?

Wir stehen zu dem, was im Koalitionsvertrag angelegt ist. Wir werden die Laufzeiten der Kernkraftwerke um einen mittleren Zeitraum verlängern. Die Dauer wird auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise festgelegt und bemisst sich danach, wie lange wir brauchen, um das Zeitalter der regenerativen Energien zu erreichen. Sicher länger als zehn Jahre. Andere auf der Welt machen uns das vor. Die Zusatzgewinne der Stromkonzerne aus der Laufzeitverlängerung werden wir in erheblichem Maße abschöpfen und in die Entwicklung erneuerbarer Energien investieren.

Leidet die FDP als kleinere Partei stärker unter dem Zustand der Regierung als die Union?

Alle Beteiligten sind nicht gerade in einem Umfragehoch ... Deshalb wollen wir mit Seriosität und Offenheit für neue Lösungen die politischen Probleme des Landes anpacken.

Im Stammland der FDP, in Baden-Württemberg, wird im März gewählt. Kann Schwarz-Gelb in Berlin überleben, wenn Schwarz-Gelb in Stuttgart abgewählt wird?

Baden-Württemberg gehört zu den erfolgreichsten Bundesländern. In jeder Beziehung. Bei meinen Besuchen dort höre ich viel Lob für die schwarz-gelbe Landesregierung.

Herr Lindner, anders als Guido Westerwelle sind Sie in der FDP überaus beliebt. Spiegelt sich in der Zustimmung zu Ihrer Person auch die Unzufriedenheit mit dem Vorsitzenden?

Nein, die Zusammenarbeit in der FDP ist insgesamt kollegial.

Sie nehmen die Forderungen aus einzelnen Landesverbänden nach einem Rücktritt Westerwelles vom Parteivorsitz also nicht ernst?

Das war nur eine einzelne Stimme. Was ich ernst nehme, das ist die Kritik unserer Basis vor Ort. Daher werden wir der Partei auf vier Regionalkonferenzen Rede und Antwort stehen.

Sie sind mit 31 Jahren der jüngste Generalsekretär einer Partei in Deutschland. Erkennen Sie an älteren Politikern Züge, die Sie für sich selbst nicht übernehmen wollen?

In der Politik wie überall gibt es in Führungspositionen hier und da Zyniker. Die streiten um des Streitens willen. So möchte ich nicht werden.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath. Das Foto machte Thilo Rückeis.

JUNGER LIBERALER

Christian Lindner, Jahrgang 1979, ist seit Ende vorigen Jahres Generalsekretär der Bundes-FDP – der jüngste bislang.

Seinen Magister der Politikwissenschaft hatte er drei Jahre davor bekommen. Das erste Führungsamt war der Vorsitz der Liberalen Schüler NRW.

JUNGUNTERNEHMER

Parallel zum Studium war Lindner auch unternehmerisch tätig. Er hatte von 1997 bis 2004 eine Werbeagentur, zudem war er Mitgründer einer kurzlebigen Internet-Firma. Ach ja: Zum Oberleutnant

der Reserve hat er es

zwischenzeitlich auch

gebracht.

JUNGPOLITIKER

Parallel zu Studium und Unternehmertum war Lindner von 2000 bis 2009 auch Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, seit 2005 war er zudem stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion. Auch Landes-Generalsekretär seiner Partei in NRW war Lindner. Seit September 2009 sitzt er im Bundestag.

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