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Ein Blick in einen Operationsraum in der Zentrale der National Security Agency in Maryland.

© Reuters

Politik: Codename XKeyscore

In der Affäre um den US-Geheimdienst NSA gibt es fast täglich neue Details, die oft mehr verwirren als klären. Ein Überblick.

Berlin - Seit gut acht Wochen ist es das bestimmende Thema: die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Beinahe täglich kommen neue Details ans Licht, für mehr Klarheit sorgen sie oft nicht – ein Überblick des Spionageskandals:

Enthüllt

Dass die USA und auch die Briten weltweit ihre Ohren haben, war bekannt. Nur hat das Kind jetzt einen Namen. Oder besser gleich mehrere: Prism, Tempora und XKeyscore heißen wichtige Spähprogramme. Prism steht für „Planning Tool for Resource Integration, Synchronization and Management“. Damit verschafft sich der US-Geheimdienst NSA grob gesagt Zugriff auf die Daten großer Internetfirmen und sozialer Netzwerke wie Google und Facebook und kann diese mit einer Schlagwortsuche durchkämen. Allerdings gibt es mindestens drei Programme desselben Namens. Eines wird wie beschrieben von der NSA eingesetzt, ein zweites von der Nato in Afghanistan – was mindestens das Verteidigungsministerium in Deutschland und auch der Bundesnachrichtendienst kannten (BND) – und ein drittes dient nach NSA-Angaben nur der internen Kommunikation. Alle drei seien verschieden, heißt es. Tempora wiederum ist ein Programm des britischen Geheimdienstes GCHQ. Damit werden Daten direkt aus den Glasfaserkabeln abgeleitet. Über diese Kabel läuft im Prinzip der weltweite digitale Telekommunikationsverkehr, also Mails, bestimmte Telefonate, Chats. Die Daten werden zwischengespeichert und mit einer anderen Software ausgewertet. An dieser Stelle könnte XKeyscore ins Spiel kommen. Dies ist ein Programm der NSA, was als Analysewerkzeug und Datenbank eingesetzt werden kann. Mit dessen Hilfe lassen sich verschiedene digitale Quellen übersichtlich auswerten. Gespeist wird das Programm auch mit Informationen, die durch Wanzen gewonnen werden. Tatsächlich wurden in EU-Einrichtungen Wanzen entdeckt. Es ist unklar, wer sie angebracht hat und ob wirklich der NSA verantwortlich ist.

Unklar

Die Unklarheiten überwiegen noch. Offen ist, in welchem Umfang Amerikaner und Briten Daten deutscher Kommunikation absaugen. Der „Spiegel“ hatte unter Berufung auf Snowden-Dokumente berichtet, dass die NSA monatlich 500 Millionen Telekommunikationsdaten abfangen würde. Die Amerikaner haben das weder bestätigt noch dementiert. Die NSA wehrt sich nur gegen den Vorwurf einer flächendeckenden Überwachung. „Flächendeckend“ ist aber Definitionssache: Sieht man nur die Zahl 500 Millionen, dann hört sich das sehr viel an. Vergegenwärtigt man sich, dass in Deutschland im Jahr 2012 etwa 50 Milliarden Datensätze pro Monat zusammenkommen, wirkt die Zahl 500 Millioen weniger gigantisch.

Nicht geklärt ist auch die exakte Funktionsweise der Programme. Dabei steht vor allem XKeyscore im Fokus. Denn auch deutsche Dienste wie der BND und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nutzen ein Programm, das ihnen von den USA zur Verfügung gestellt wird und den Namen XKeyscore trägt. Allerdings behauptet der Verfassungsschutz, dass es mit dem, was in Snowdens Unterlagen beschrieben wird, nicht viel zu tun habe. Auch sei es nur ein Test und der laufe auf einem Rechner, der an keine Datenbank und nicht einmal ans Internet angeschlossen sei. Der BND äußert sich offiziell nicht dazu, der Dienst hat aber vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) zugegeben, dass man ein solches Programm namens XKeyscore nutze, aber dies sei eben auch keines mit solch weitreichenden Möglichkeiten. Tatsächlich ist in Snowdens Unterlagen die Rede davon, dass XKeyscore ein Programm sei, dass mehrere Module habe, die man hinzuziehen könne, aber nicht müsse. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen hat vor dem PKGr die Testversion zwar präsentiert, aber durch die neuen Berichte würden sich auch wieder neue Fragen stellen, heißt es von Parlamentariern. Unklar ist, ob das BfV aus der Testphase einen Live-Betrieb machen wird.

Keine Erkenntnisse gibt es darüber, wo die NSA und die Briten Daten sammeln. Wird nur die Kommunikation abgegriffen, die auch über amerikanische oder britische Server läuft? Sind die privaten Telekommunikationsanbieter, wie es Snowden-Dokumente nahelegen, fest in die Spähaktivitäten involviert? Wird direkt Material an deutschen Internetknotenpunkten abgeleitet? Dafür, so behaupten zumindest die Betreiber, gebe es keine Anhaltspunkte. Die deutschen Dienste verlassen sich auf diese Aussage. Oder ist es ganz anders und der BND gibt Daten direkt an die Amerikaner weiter? Das legen Dokumente nahe, aus denen der „Spiegel“ in seiner jüngsten Ausgabe berichtet. Demnach übermittelt der deutsche Auslandsgeheimdienst Daten aus der eigenen Fernmeldeaufklärung an die USA. Auch da ist wieder von 500 Millionen Datensätze im Monat die Rede. Außerdem säßen beide Dienste in Bad Aiblingen zusammen. Der BND erklärt, dass es sich um rechtlich zulässig erhobene Metadaten handele. Das sind keine Gesprächsinhalte, sondern Angaben darüber, wer wo wann telefoniert oder gemailt hat. Personenbezogene Daten deutscher Staatsbürger würden nicht erfasst. Zwei Ausnahmen habe es gegeben. „Im Jahr 2012 wurden lediglich zwei Datensätze eines deutschen Staatsangehörigen im Rahmen eines derzeit noch laufenden Entführungsfalls an die NSA übermittelt“, heißt es in einer BND-Stellungnahme vom Wochenende.

Justiz

Noch gibt es kein Ermittlungsverfahren wegen Spionage. Aber die Bundesanwaltschaft hat seit Wochen ein Beobachtungsverfahren laufen. Das war bislang mehr eine Art intensives Medienstudium. Daraus haben sich offenbar weitere Fragen für die Bundesanwaltschaft ergeben. Antworten darauf erhofft sich die Karlsruher Behörde von den zuständigen Ministerien und Geheimdiensten. Es ist nicht zu erwarten, dass diese erstens sehr schnell kommen und zweitens, dass daraus tatsächlich ein Ermittlungsverfahren entsteht. Denn die Bundesregierung steht seit Beginn der Enthüllungen auf dem Standpunkt, von den konkreten Ausspähaktivitäten erst durch die Medien erfahren zu haben. Für ein Verfahren wird das kaum langen. Außerdem ist die Regierung selbst auf Antworten aus den USA angewiesen. Nur kommt von dort nicht sehr viel, was auch einige Christdemokraten und Liberale ärgert, weil man damit zur Passivität verdammt ist.

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