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CSU-Parteitag: Guttenberg - Seehofer: Das stumme Duell

Keiner sprach es wirklich aus. Und doch war dieser CSU-Parteitag die Bühne eines Konkurrenzkampfs. Seehofer, der Vorsitzende, bekommt wohlwollenden Applaus. Guttenberg, der Vorsitzende der Herzen, wird bejubelt - und steckt in einem Dilemma.

Die angespannte Miene des Horst Seehofer löst sich nur langsam, eine kleine Ewigkeit braucht das Lächeln auf sein Gesicht. Da haut ihm plötzlich einer von hinten links auf die Schulter. Einen ganzen Parteitag lang hat der CSU-Chef so getan, als säße in der zweiten Vorstandsbank links hinter ihm gar keiner – oder jedenfalls keiner, der sich für eine dieser kleinen Gunstbezeugungen eignet, mit denen ein Parteivorsitzender und Ministerpräsident seine Mitstreiter ihrer Stellung bei Hofe versichert. Links hinter Horst Seehofer sitzt nämlich Karl-Theodor zu Guttenberg. Und jetzt auf einmal dieser Schulterklopfer! Seehofer dreht sich halb nach hinten um. Ein strahlender Guttenberg streckt ihm die Hand hin. Seehofer schlägt lachend ein. Für einen ganz kurzen Moment sitzen in der Münchner Messehalle C1 keine Konkurrenten, sondern zwei mächtig erleichterte große Jungs.

Der Überschwang ist leicht verständlich. Die beiden haben gerade gemeinsam eine Schlacht gewonnen. Es war eine komplizierte Schlacht, weil sie an drei Fronten verlief. In der ersten Schlachtreihe geht es an diesem Freitagabend darum, ob die CSU eine Frauenquote braucht, was relativ einfach klingt, aber in der ehemaligen bayerischen Staatspartei einen Hauch von Stuttgart 21 heraufbeschwört. Zusätzlich kompliziert wird die Entscheidung dadurch, dass Seehofer und sein Vorstand auf der Seite der Quoten-Anhänger stehen. Eine Niederlage wäre die offene Misstrauenserklärung der Partei an den ohnehin schwer angeschlagenen Chef. Und schließlich die dritte Front: An ihr stehen der Verteidigungsminister und die Erwartungen an ihn, die ins Übermächtige wachsen.

Man führt sich, um das alles besser zu verstehen, am besten kurz vor Augen, was die modernen Zeiten mit den Volksparteien angestellt haben. Bei der CSU ist das am deutlichsten zu erkennen, und am allerdeutlichsten in dem kurzen Moment, in dem Edmund Stoiber noch einmal ins Scheinwerferlicht stolpert. Seehofer hat Angela Merkel am Saaleingang abgeholt, die CDU-Chefin wird gleich das traditionelle Grußwort von der großen Schwester abgeben. Auf dem Weg in die Halle steht, bestimmt reiner Zufall, Stoiber am Wegesrand. Freundliche Begrüßung, Merkel lädt ihn ein, ach, wo Sie schon da sind, kommen Sie doch mit uns. Und so kriegt Edmund Stoiber noch einmal einen Einzug in eine Parteitagshalle zu dröhnender Musik, fast so wie früher.

Er ist zu seinen Zeiten ja immer zu den Klängen des bayerischen Defiliermarschs eingezogen. Seehofer hat damit schon länger Schluss gemacht. Er zieht nicht mehr groß ein, schon gar nicht zu Musik, sondern schlendert irgendwann einfach nach vorne zum Vorstandstisch. Dass diesmal der Kamerapulk um ihn herum überschaubar, der um Guttenberg hingegen unübersehbar ausfällt, sei nur schon mal am Rande erwähnt. Wesentlicher ist vorerst etwas anderes. Bis in Stoibers letzte Tage hat die CSU in vielen Details dem Klischee von der Trachtenpartei entsprochen, das sie von sich selbst gepflegt hat. Aber die Partei hat nicht nur die Alleinherrschaft verloren. Sie ist dabei auch zu einer Partei geworden wie andere, bloß etwas unsicherer, weil sie sich hierzulande erst daran gewöhnen müssen.

Zum Beispiel daran, dass eine Debatte über eine Satzungsänderung über mehrere Stunden den Parteitag in Wallung versetzt. Sogar Winfried Scharnagl gibt den grünen Wortmelde-Zettel ab. „Das ist das erste Mal in meinem politischen Leben“, sagt Scharnagl, was einer Sensation gleichkommt, weil der alte Herr einst einer der Vertrauten von Franz Josef Strauß war und bei jedem Parteitag seit 1963 dabei. Scharnagl sagt dann, dass er fünf Parteivorsitzende sich habe abmühen sehen, mehr Frauen in Parteifunktionen zu bringen, und alle vergebens, und dass er deshalb jetzt für die Frauenquote sei. Überdies mögen die Delegierten bedenken, wie wichtig ein Höchstmaß an Geschlossenheit sei. „Es geht um unsere große Volkspartei CSU und deren Fähigkeit, zu alter Kraft und Größe zurückzukehren!“, ruft der Parteiveteran.

Früher wäre an dieser Stelle Schluss gewesen, vielleicht noch ein Alibi-Redner der anderen Seite, dann Abstimmung. Diesmal geht es erst richtig los. Nach Scharnagl kommt eine junge Blondine aus dem Kreisverband Günzburg, die ein Dirndl zur Schau trägt und ein von schlechter Erfahrung noch völlig ungetrübtes Selbstvertrauen. „Brauchen wir eine Quote in der CSU, die Frauen – wirklich gute Frauen – zu Quotenfrauen macht?“, ruft sie empört in den Saal. Die Junge Union jubelt. Die Alten, die ein halbes politisches Leben damit bestritten haben, das Emanzentum für eine Erfindung von Roten, Grünen und sonstigen Quergeistern zu halten, nicken beifällig. Es wird Stunden so weitergehen.

Wir können also in der Zwischenzeit über das stumme Duell nachsinnen, das sich der Parteivorsitzende und der Vorsitzende der Herzen hier liefern. Genau betrachtet, bemühen sich beide, das Duell nicht zu liefern, wodurch sie es aber nur um so wirksamer darstellen. Außer einem kurzen Händedruck am Anfang gehen Seehofer und Guttenberg betont getrennte Wege. Das nimmt durchaus kuriose Züge an. Guttenberg muss den Antrag zur Zukunft der Bundeswehr vorstellen, wozu es ja nun wirklich einiges zu sagen gäbe in einer Partei, deren Vorsitzender vor der Sommerpause die Wehrpflicht zum „Markenkern“ der CSU erhoben hatte. Man einigt sich im Vorfeld: Sieben bis neun Minuten soll der Freiherr reden. Es werden zwölf. Als sich Guttenberg entschuldigt, kann sich Tagungsleiter Joachim Herrmann die Bemerkung nicht verkneifen: „Wir hören dir auch stundenlang zu!“

Das ist frech gegenüber dem Vorsitzenden. Stundenlang reden ist, wie man am Samstag wird miterleben können, dessen Privileg. Guttenberg wiederum sagt, Politik müsse entscheiden und dann stehen und dürfe nicht „in Kürze“ alles wieder korrigieren. Das ist auch frech gegenüber dem Vorsitzenden. Dessen rabiater Schwenk vom Verteidiger zum Aussetzer der Wehrpflicht ist jedem hier im Saal noch sehr präsent. Das Manöver hat Seehofers Ruf eines wankelmütigen Konjunkturritters weiter verstärkt. Dabei liegt der Fall hier eigentlich noch ernster. Seehofer hat seine CSU falsch eingeschätzt. In einem Punkt ist sie sich treu geblieben: „Hoffnungsträger beschädigt man nicht“, sagt einer. Doch selbst wenn die Partei nicht gewittert hätte, dass Seehofers Bekenntnis zur Wehrpflicht darauf hinauslief, dem Konkurrenten eine Niederlage zu bereiten – auch in der Sache selbst war die Partei weiter als ihr Chef. „Was sollen wir denn noch mit sechs Monaten Schnupperwehrdienst?“, fragt einer.

So kommt es, wie es kommen musste – Guttenberg wird bejubelt, zur Sache gibt es keine Aussprache und keine Gegenstimme. Der Freiherr hat übrigens in seiner Rede das Duell selbst angesprochen. „Es kommt auf den Zusammenhalt an, lieber Horst Seehofer, und nicht auf irgendwelche depperten Personaldebatten!“

Das war einerseits wieder frech, weil es das Privileg von Parteivorsitzenden ist, Personaldebatten für bedeutungslos zu erklären. Andererseits darf man Guttenberg getrost unterstellen, dass es selbst ihm allmählich etwas zu viel wird mit der Verehrung. Sie kommt zu früh. Dass ihm der „Spiegel“ eine schmeichlerische Titelgeschichte widmet, dass ihm Applaus entgegenschlägt, wo immer er auftritt, all diese messianischen Erwartungshaltungen kann er im Moment gar nicht befriedigen. Sicher würde dieser Parteitag Guttenberg auf der Stelle zum Vorsitzenden wählen. Aber Wahlen stehen erst in einem Jahr an. Dann wird er antreten müssen: „Der Vorsitz läuft auf ihn zu“, sagen alle. Aber selbst für diese Einschätzung gilt, mit den leicht blasphemischen Worten eines altgedienten CSUlers, dass Guttenberg „viel zu früh in Jerusalem einzieht“. Vom Gipfel der Beliebtheit führt der Weg nur allzu schnell in die Mühen der Ebenen und, wenn man Pech hat, wieder bergab.

Dass der ungewöhnlich charismatische Guttenberg einmal Kanzlerkandidat der Union wird, ist ebenso gut vorstellbar. Aber der CSU-Parteitag erlebt eine sehr aufgeräumte Angela Merkel, die nicht den Eindruck erweckt, dass sie ihren Posten demnächst freiwillig an einen noch nicht 40-Jährigen abtritt. Merkel kommt aus Brüssel. Sie hat die EU-Partner in Richtung ihrer Ideen zur Haftung für Finanzkrisen geschoben. Sie sei „die Hüterin einer stabilen Währung“, schmeichelt Seehofer. Die CDU-Chefin revanchiert sich mit einer Empfehlung an den Parteitag, doch ruhig der Frauenquote zuzustimmen.

Als Merkel freundlich winkend wieder abgezogen ist, geht die Quotendebatte weiter. Als Letzter wird Seehofer sprechen. Vor ihm ruft Herrmann einen anderen auf. Guttenberg wollte eigentlich nicht reden, aber Seehofer war es nur recht. Im Saal wird es still. Guttenberg versichert den Delegierten, dass er nicht hier oben stehe, um sie umzudrehen. Guttenberg gibt den Delegierten zu bedenken, dass man so eine Quote ja auch wieder abschaffen könne, wenn sie sich als Mist erweise. Guttenberg redet und redet. Irgendwann wirft Seehofer seinem Generalsekretär Alexander Dobrindt einen Blick zu. Der Blick sagt: Kocht auch nur mit Wasser, der Baron! Guttenberg kommt zum Schlussappell: Der Parteitag möge doch, bitte, davon absehen, eine geheime Abstimmung zu erzwingen. „Ich finde offenes Visier grundsätzlich besser.“ Er sagt lieber nicht: Tut es mir zuliebe. Der Beifall bleibt zurückhaltend. Seehofer ist der Letzte, ein langer, eindringlicher Appell, der Frauen-Union ihr Herzensanliegen nicht zu verweigern und bei allem, was man tue, immer auch auf die öffentliche Wirkung zu achten. Auch Seehofer sagt nicht direkt: Tut es mir zuliebe.

Der Parteitag stimmt für eine geheime Abstimmung. Der Parteitag stimmt, geheim, für das Frauenquorum, mit 56 Prozent. Das ist also in etwa das Maß an Rückhalt, auf den sich Seehofer im Moment maximal verlassen kann. Der Parteichef atmet auf. Guttenberg auch. Er weiß zwar jetzt, die Partei folgt selbst ihm nicht bedingungslos. Doch wenn Seehofer hier unterlegen wäre – nicht auszudenken.

Am Samstagvormittag hält Horst Seehofer seine Parteichefrede. Er geht mit schweren Schritten auf das Podium. Er spricht lange und ernst und von Bayern. „Lasst euch nicht einreden, die CSU könnte keine Wahlen mehr gewinnen!“, ruft er in den Saal. „Die CSU ist lebendig, sie strotzt vor Kraft!“ Aber Witze macht er keine, nur einen unfreiwilligen: „CSU – das heißt Politik für die Menschen und nicht für die Schlagzeilen!“ Ausgerechnet er muss das sagen. Vielleicht soll das ja ein Versprechen sein: Horst der Kümmerer. Vorne in der ersten Reihe sitzt Edmund Stoiber. Als es dem anfing schlecht zu gehen, hat er auch immer von Bayern geredet. Am Ende applaudiert der Parteitag seinem Vorsitzenden zu, wohlwollend, aber nicht enthusiastisch. Seehofer geht durch den Applaus zurück an seinen Platz, dreht sich um, winkt. Guttenberg macht eine aufmunternde Geste: auf die Bank, dass alle dich sehen können! Diesmal noch.

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