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Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU).

© Andreas Gebert/picture alliance / dpa

Flüchtlingskrise: CSU-Vize Weber: Aleppo wird zum Testfall für die Europäer

Der stellvertretende CSU-Chef Manfred Weber begrüßt die Ankündigung der Kanzlerin, dass EU-Staaten der Türkei Kontingent-Flüchtlinge abnehmen werden. Vor dem EU-Gipfel sei die Massenflucht aus Aleppo "der Testfall für die Europäer."

Herr Weber, im vergangenen November wurde der bayerische Finanzminister Markus Söder in der Flüchtlingskrise aus dem CSU-Vorstand mit den Worten zitiert: „Die Wahrheit liegt an der Grenze“. Stimmen Sie dem zu?

Die Wahrheit hat viele Facetten. Einerseits geht es in der Flüchtlingskrise um Humanität, andererseits um die begrenzte Belastungsfähigkeit. Meine Heimat Bayern hat in den letzten Monaten seit September Enormes geleistet – denken Sie nur an die Bilder freiwilliger Helfer vom Münchner Hauptbahnhof und die Flüchtlingshilfe von staatlicher Seite. Andererseits spürt beispielsweise jeder verantwortliche Kommunalpolitiker, dass auch Hilfsbereitschaft Grenzen hat. Deshalb muss es jetzt in Deutschland und in Europa gelingen, dies besser auszutarieren und die Flüchtlingszahlen massiv zu reduzieren.

Als Europapolitiker setzen Sie sich vehement für europäische Lösungen in der Flüchtlingskrise ein. Aber überlegen Sie in diesen Tagen nicht gelegentlich auch gleichzeitig, wie ein „Plan B“ – etwa mit verstärkten deutschen Grenzkontrollen oder einer verstärkten Sicherung der mazedonisch-griechischen Grenze – aussehen könnte?

Nein. CDU und CSU arbeiten gemeinsam mit der Kanzlerin an einer europäischen Lösung. Denn nur eine solche Lösung wird auch langfristig Bestand haben und den Schengen-Raum, der die Freiheit auf diesem Kontinent garantiert, erhalten. Schweden und Dänemark haben Grenzkontrollen eingeführt. Aber solche vorübergehenden nationalen Maßnahmen dürfen kein Grund sein, von einer europäischen Lösung abzurücken. Es geht um mehr als nur die Lösung eines einzelnen Problems: Es geht hier um die Selbstbehauptung des europäischen Lebenswegs.

Der kommende Politische Aschermittwoch wird auch wieder ein Barometer für die Stimmung in der CSU sein. Wie viel Geduld hat Ihre Partei noch mit der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Die CSU hat in den letzten Monaten eine wesentliche Rolle gespielt. Wir haben nicht nur Hilfsbereitschaft gezeigt, sondern bereits im vergangenen Herbst auf Grenzen bei der Aufnahmekapazität hingewiesen. Deshalb hat die CSU bewiesen, dass sie im Parteienspektrum Deutschlands einen wichtigen Beitrag zu leisten hat. Am Aschermittwoch wird wieder deutlich werden: Die CSU ist eine eigene, kraftvolle Stimme aus Bayern, die auch kritische Fragen artikuliert. Gleichzeitig ist für die CSU auch immer klar: Wir sind konstruktiv und wollen Teil der Lösung sein. Die Asylpakete I und II tragen ganz wesentlich die Handschrift der CSU. Auch in Brüssel wird dies an vielen Stellen deutlich.

Nach der Verabschiedung des Asylpakets II kommen nun aus der CDU Forderungen nach einer weiteren Verschärfung des Asylrechts. So schlägt der CDU-Vize Thomas Strobl vor, das unbefristete Aufenthaltsrecht für Asylbewerber und Flüchtlinge künftig erst nach fünf statt nach drei Jahren zu gewähren und beispielsweise an Deutschkenntnisse zu knüpfen. Ist das Symbolpolitik oder tatsächlich ein sinnvoller Vorschlag?

Man muss in der Debatte die Dinge auseinanderhalten. Wir haben in Deutschland derzeit keine Probleme mit dem Asylrecht. Das Asylrecht ist eine der großen deutschen und europäischen Errungenschaften. Es sollte nicht leichtfertig zur Disposition gestellt werden. Nur zwei bis drei Prozent der Menschen, die zu uns kommen, beantragen Asyl. Heute kommen vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns. Und was das dauerhafte Aufenthaltsrecht für diese Flüchtlinge anbelangt, unterstütze ich Thomas Strobl ausdrücklich. Bürgerkriegsflüchtlingen sollen lediglich einen temporären Aufenthaltsstatus bekommen. Wir möchten Menschen in Not aufnehmen. Aber sie haben hierzulande nur so lange einen Anspruch auf Schutz, wie in Syrien Krieg herrscht. Und dann müssen sie auch wieder ausreisen. So wurde es auch seinerzeit mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien gehandhabt.

Zu einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise gehört die Einführung von Flüchtlingskontingenten, welche die Europäer von den Nachbarstaaten Syriens wie der Türkei übernehmen. Kanzlerin Merkel hat angekündigt, dass einige EU-Staaten Kontingentflüchtlinge von der Türkei übernehmen werden.

Es ist richtig und notwendig, dass die Kanzlerin diesen Weg aufzeigt. An der türkisch-syrischen Grenze harren 30.000 bis 50.000 Menschen aus. Vor dem EU-Gipfel am 18. und 19. Februar ist die massenhafte Flucht aus Aleppo auch der Testfall für die Europäer: Wir müssen der Türkei einerseits Soforthilfe anbieten und schnell die Summe von drei Milliarden Euro aktivieren, die der Regierung in Ankara für Flüchtlingscamps zugesagt wurde. Und zum anderen müssen die EU-Staaten jetzt damit beginnen, Flüchtlingskontingente aufzunehmen.

Die Europäer sollten der Türkei also weiter entgegenkommen?

Wir können nicht einerseits von der Regierung in Ankara erwarten, dass sie die Flüchtlinge aus Syrien ins Land und gleichzeitig niemanden an der türkisch-griechischen Grenze passieren lässt. Ein solches Vorgehen ist nicht seriös. Die EU-Kommission von Jean-Claude Juncker hat ein Resettlement-Programm vorgeschlagen, das die Aufnahme von begrenzten Flüchtlingskontingenten vorsieht. Unter denjenigen, die jetzt an der syrisch-türkischen Grenze ausharren, benötigen einige beispielsweise eine medizinische Versorgung. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sollte die Auswahl treffen, welche Flüchtlinge einen erhöhten Schutzbedarf haben und nach Europa kommen sollten. Es dürfen nicht Schlepper entscheiden, wer zu uns kommt, sondern die EU-Staaten müssen ihre Handlungshoheit zurückgewinnen. Wir brauchen dann aber auch einen Verteilungsmechanismus in der Europäischen Union.

Daran hapert es aber im Moment. Faktisch sind erst 481 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten umverteilt worden. Eigentlich sollen in den kommenden zwei Jahren 160.000 Flüchtlinge umverteilt werden.

Es ist in der Tat sehr ernüchternd, was wir dort in den letzten Monaten erlebt haben. Die Umverteilung der 160.000 Flüchtlinge, die im Europäischen Parlament und im EU-Ministerrat beschlossen wurde, funktioniert in der Praxis nicht. Es ist das alte, egoistische und nationalstaatliche Europa, das sich derzeit nicht einigen kann und das leider Gottes ein schlechtes Bild abgibt.

Polen hat im Zuge dieser Umverteilung bislang noch keinen einzigen Flüchtling aus Griechenland oder Italien aufgenommen.

Das gilt nicht nur für Polen, sondern für alle Staaten, die sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge zurückhalten. Jeder muss jetzt einen Beitrag leisten und einen Schritt gehen. Ich werbe für einen Erfolg beim nächsten EU-Gipfel. Auch in Osteuropa spüren die Politiker: Wenn es uns nicht gelingt, eine europäische Antwort zu geben, dann wird Schengen zur Disposition stehen.

Kommen wir noch einmal zum Krieg in Syrien. Wie bewerten Sie in dem Konflikt die Rolle Russlands, das mit Kampfflugzeugen die Regierungstruppen des Präsidenten Baschar al Assad unterstützt?

Russland hat leider in den letzten Tagen durch diese entsetzlichen Bombardements dazu beigetragen, dass die Friedensbemühungen in Genf gestoppt wurden. Es wurde eine Pause erzwungen, weil man versucht, militärische Fakten am Boden zu schaffen. Die russische Regierung leistet hier oder auch in der Ostukraine einen sehr destruktiven Beitrag.

War es dann richtig, dass der CSU-Vorsitzende Horst Seehofers in dieser Situation in der vergangenen Woche den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau besucht hat?

Die Reise war richtig. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass Russland und die Europäer nicht mehr miteinander reden. Wir brauchen einander – trotz der vielen Meinungsverschiedenheiten. Für die CSU ist klar, dass wir als Teil der Bundesregierung mit schwierigen Partnern wie Russland auch weiterhin in einem kritischen Dialog bleiben.

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