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Freundliche Worte reichen nicht: Olaf Scholz (re.) mit Cyril Ramaphosa, dem Präsidenten Südafrikas, beim Outreach-Treffen in Schloss Elmau.

© IMAGO

Deutschland will Führungsmacht werden: Dafür braucht es ein klares Leitbild, Überzeugungskraft und Vorbildcharakter

Doch im Globalen Süden haben doppelte Standards und Eigeninteressen Berlins die Strahlkraft Deutschlands beschädigt. Was sich ändern muss. Ein Gastbeitrag.

Günther Maihold ist Politikwissenschaftler und stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin

Ein Satz aus der Zeitenwende-Rede des SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil hat in seiner Partei und darüber hinaus zu heftigen Diskussionen geführt. Er lautete: „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.“ Die Rede vom 21. Juni war Ausdruck des Verlusts außenpolitischer Gewissheiten bei der größten Regierungspartei und gleichzeitig auch ein Aufruf, sich neu aufzustellen mit einer realistischen Sicht der Dinge.

Das ist angezeigt und sinnvoll, nur verwundert der gehetzte Charakter dieses Suchprozesses, der sich schnell von alten Handlungsmustern absetzen will, sich aber gleichzeitig nicht die Zeit nimmt, neue Grundlagen auf der Basis einer umfassenden Sicht auf sich wandelnde Ordnungsmuster und das Mitdenken anderer zu legen.

Dies zeigt sich bereits an der Ausrichtung auf eine Politik der Stärke, militärisch und im europäisch-transatlantischen Verbund. Viele stoßen sich am Begriff „Führung“, für einige ist damit ein Tabubruch angezeigt, der Deutschlands Rolle in Europa und der Welt dramatisch verschiebt: von einer unterstützenden Rolle des Landes zu einem außenpolitischen Protagonisten, der wenig Rücksicht auf andere nimmt.

Was macht eine Führungsmacht aus?

Wichtig ist in dieser Debatte, welche Erwartungen mit der Rolle einer Führungsmacht verbunden sind und ob Deutschland für dieses Rollenmuster überhaupt die notwendigen Voraussetzungen besitzt. Tragende Konzepte deutscher Außenpolitik wie die anzustrebende regelbasierte Ordnung oder die wertegeleitete Außenpolitik scheinen angesichts der neuen Präsenz des Krieges in Europa und des Zusammenbruchs der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung vom Winde verweht zu sein.

Deutschland und Europa haben damit auch ihr Rollenverständnis als Zivilmacht verloren, ihr normatives Leitbild ist zerbrochen. Resilienz ist zur neuen Richtschnur erwachsen, insbesondere wenn die Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern in den Blick genommen wird.

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Was ist eine Führungsmacht? Führungsmächte verstehen sich und werden von anderen Staaten als maßgebliche Akteure in der internationalen Politik betrachtet. Selbstbild und Fremdbild müssen dabei jedoch nicht notwendigerweise zusammenfallen. Als Führungsmächte können Staaten verstanden werden, die aufgrund ihrer Handlungskompetenz und ihres Leistungsvermögens in der Lage sind, bezogen auf bestimmte Politikfelder in der internationalen Politik Initiativen zu gestalten, Verantwortungsgemeinschaften zu koordinieren und Blockadepotenzial zu mobilisieren, wobei sie für ihr außenpolitisches Verhalten Anerkennung und Unterstützungsleistungen von anderen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in den internationalen Beziehungen einwerben und/oder „erzwingen“ können.

Vorleistungen erbringen und Kosten übernehmen

Zentral ist daher die Fähigkeit, Vorleistungen zu erbringen und Kosten zu übernehmen, damit bestimmte Verhaltensoptionen für andere Akteure attraktiv werden und sich daraus entsprechende Anerkennungsverhältnisse ergeben, die die Folgebereitschaft anderer Staaten erleichtern. Dies kann sich sowohl auf Verhaltensregeln oder Ordnungsfunktionen beziehen, die – wie am Beispiel der internationalen Klimapolitik zu erkennen – immer wieder neu aufgelegt und international verankert werden müssen.

In diesen Wochen gilt das in vielen internationalen Kontexten, sei es im Rahmen der EU, der G7 oder der NATO. Um hier wirksam werden zu können, muss Deutschland über hinreichende Unterstützungs- und Steuerleistungen verfügen. Es stellt sich also die Frage nach der Entwicklung des außenpolitischen Instrumentariums, damit Deutschland zusammen mit anderen Staaten globale und regionale Ordnungspolitik gestalten und neue Verhaltensmuster begründen kann.

Dazu braucht es größere Kohärenz im Regierungshandeln, die heute zwischen den Eigeninteressen der verschiedenen Ressorts verschwimmt. Zwar wird mit der Arbeit an einer Nationalen Sicherheitsstrategie versucht, einen gemeinsamen Rahmen zu definieren, doch bleiben die Handlungsressourcen weiterhin auf verschiedene Stellen verteilt und damit entsprechenden Eigenlogiken unterworfen.

Hohn und Verachtung für Deutschlands Rhetorik in Ländern des Globalen Südens

Für eine Führungsrolle wird Deutschland stabile Beziehungsmuster unterhalten müssen, um andere Staaten von seinen Leitwerten und Zielvorstellungen überzeugen zu können. Aber gemeinsame Interessen reichen nicht, es gilt ein entscheidendes Hindernis zu beseitigen: Deutschland hat seine Bindungsfähigkeit verloren – nicht zuletzt durch eine hohle Partnerschaftsrhetorik, die von vielen Staaten weltweit nicht mehr akzeptiert wird. Diesem Anspruch wird in vielen Ländern des Globalen Südens mit Hohn, ja zuweilen auch Verachtung begegnet, da dort die Erfahrung im Umgang mit Deutschland und Europa eher von einer Praxis doppelter Standards und einseitiger Vorteilsnahme geprägt sind.

Das Standardrepertoire des deutschen Angebots von strategischen Partnerschaften und neuen Allianzen verfängt nicht mehr, sei es bei Rohstoff- oder Entwicklungspartnerschaften, deren Tragfähigkeit angesichts umfassender geopolitischer Konkurrenzen sehr beschränkt ist. Heute eine Erweiterung dieses Musters auf Gesundheit, Technologie, Energie und Klima zu fordern, bleibt so lange leer und unverbindlich, wie wir in diesen Bereichen keinen Vorbildcharakter entwickelt haben, der auch international so anerkannt wird.

Doch diesen Status haben wir eindeutig verspielt, wenn man sich etwa den Erfolg der chinesischen und russischen Impf- und Maskendiplomatie in vielen Staaten der Welt ansieht. Zudem werden die Staaten Afrikas und Lateinamerikas von Berlin außenpolitisch kaum ernst genommen, sie werden nur bei aktuellen Anlässen angesprochen.

Der Krieg in der Ukraine hat trotz aller Bemühungen zum Thema Nahrungsmittelversorgung die Zentrierung auf Europa verstärkt. Und zugleich wird erstaunt zur Kenntnis genommen, dass die Unterstützung der Sanktionspolitik international eher dürftig ausfällt.

Für einen internationalen Auftritt als Führungsmacht muss deutsche Außenpolitik sich verändern: Es gilt einen 360 Grad-Blick zurückzugewinnen und sich neu in die internationale Welt einzubetten. Ohne einen inneren Reformprozess in der Aufstellung des außen- und entwicklungspolitischen Handelns wird das nicht gelingen. Notwendig dafür ist aber auch, sich über den Dialog mit den Staaten der Welt wieder „bindungsfähig“ aufzustellen und von der hohen Warte überlegener Weltsichten herabzusteigen.

Günther Maihold

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