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Politik: Danke schön, Deutschland

Die Türkei freut sich über Schröders Zusagen – und macht sich neue Hoffnungen auf einen Beitritt zur EU

In einem Ballsaal mit Blick auf den Bosporus beschwor der Bundeskanzler die deutsch-türkische Freundschaft. „Unsere beiden Völker sind durch enge Beziehungen – ja, durch eine Freundschaft – verbunden“, sagte Gerhard Schröder vor einem Abendessen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul. Schröder wusste dabei wohl nicht, welche Bedeutung der Raum, in dem getafelt wurde, in den Beziehungen zwischen den beiden Völkern einmal spielte: Im selben Saal hatte Helmut Kohl vor knapp drei Jahren die Vermählung seines Sohnes mit einer Türkin gefeiert – und sich für seine früheren Vorurteile und Fehler gegenüber der Türkei entschuldigt.

Unaufrichtig und unfair wäre es angesichts der deutsch-türkischen Freundschaft, nun vom 40-jährigen Versprechen einer EU-Mitgliedschaft für die Türkei abzurücken, sagte Schröder in seiner Ansprache vor einem Gala-Diner im Ballsaal des Ciragan-Sultanspalastes am Bosporus – und fast klang es wie ein Echo in dem historischen Saal mit der spektakulären Aussicht über die Meerenge nach Asien: Falsch und ungerecht habe er sich den Türken gegenüber verhalten, hatte Altkanzler Kohl hier im Mai 2001 eingestanden, als sein Sohn Peter mit der türkischen Bankerin Elif Sözen getraut wurde. Als Kanzler sei er der Türkei jahrelang mit Vorurteilen begegnet, entschuldigte Kohl sich damals bei den 500 Hochzeitsgästen im Ballsaal – doch nun wisse er es besser.

„Danke schön“, lobte die türkische Presse den aktuellen deutschen Kanzler am Dienstag für sein entschlossenes Eintreten für die türkische EU-Mitgliedschaft – eine Zeitung sogar in einer Balkenüberschrift auf Deutsch. „Es erfordert Mut, im Angesicht der konservativen Opposition in Europa nach Ankara zu kommen und Unterstützung für die Türkei auszusprechen, wie Schröder das getan hat“, hieß es im Leitartikel einer anderen Zeitung. Nicht nur die Presse bewertete den Besuch als Erfolg: „Deutschland ist zur Lokomotive geworden, die die Türkei (in die EU) zieht“, sagte Außenminister Abdullah Gül.

Neben anerkennenden Kommentaren fanden sich in der türkischen Berichterstattung viele atmosphärische Anekdoten über das Auftreten Schröders, der es den Reportern offenbar angetan hatte: Nach der islamischen Viel-Ehe – die in der Türkei allerdings verboten ist – habe sich der deutsche Kanzler interessiert erkundigt, amüsierte sich ein Blatt. Zum Trinkspruch, der seit dem Amtsantritt der islamisch-konservativen Regierung in Ankara immer besonders genau beobachtet wird, erhob Schröder ebenso wie sein moslemischer Amtskollege das Wasserglas; den angebotenen Wein ließ er zurückgehen.

Ungeteilt war die Sympathie dennoch nicht, die Schröder und seiner Wirtschaftsdelegation in der Türkei entgegenschlug. Mit einer Sitzblockade versuchten rund 60 Umweltschützer im südtürkischen Iskenderun, die Einweihung eines von deutschen Firmen gebauten Kohlekraftwerks durch den Bundeskanzler zu verhindern. „Nein zur Kohle, ja zur Sonne“, forderten die Demonstranten, die aber nicht einmal in die nähere Umgebung des Kraftwerks gelassen wurden. Während Schröder und Erdogan im Hubschrauber über sie hinwegrauschten, blockierten die Demonstranten vergeblich eine Zufahrtstraße zu dem Gelände an der Mittelmeerküste. Deutschen Angaben zufolge entspricht das Kraftwerk zwar modernster Umwelttechnik, örtliche Bürgerinitiativen haben dennoch Bedenken gegen die Anlage. Greenpeace befürchtet zudem, dass die geplante Versorgung des Kraftwerks mit Steinkohle aus Südafrika und Kolumbien das östliche Mittelmeer durch hohes Frachteraufkommen belasten werde. Statt mit dem deutschen Kanzler bekamen die Demonstranten es mit der türkischen Polizei zu tun – während Schröder nach Malta weiterflog.

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