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© ddp

Schwarz-Gelb: Das 30-Milliarden-Euro-Loch

In ihren Koalitionsverhandlungen sind sich Union und FDP schon jetzt über eines im Klaren: wieviel sie sparen müssen.

Von Robert Birnbaum

Berlin – Zu den Konstanten jeder Koalitionsverhandlung gehört die Erkenntnis: Auch Schulden sind Verhandlungssache. In den schwarz-gelben Gesprächen sind sie es sogar ganz besonders, hängt doch von der erwarteten Haushaltsentwicklung sehr wesentlich ab, wie viel Steuersenkung möglich ist – von anderen kostenträchtigen Wohltaten zu schweigen. Am Donnerstag haben sich die Koalitionsspitzen nach einigem Hin und Her auf ein Finanztableau verständigt, das die Ausgangsbasis für die kommenden Verhandlungsrunden bilden soll. Die entscheidende Zahl aus dem Rechenwerk der Arbeitsgruppe Finanzen: Um die 30 Milliarden Euro beträgt voraussichtlich der Konsolidierungsbedarf. Zu Deutsch: Diese Summe muss die neue Regierung bis 2013 irgendwie auftreiben, um ab 2011 einen Haushalt im Einklang mit der Schuldenbremse zustande zu bringen.

Der Zahl gingen Kontroversen in der Finanz-Arbeitsgruppe voraus. Dort lag ein Finanzpapier von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière vor, in dem der Sparbedarf für die kommenden vier Jahre mit rund 40 Milliarden Euro beziffert wird. Hermann Otto Solms, Oberfinanzverhandler der FDP, zweifelte die Zahl aber an. In dem Papier, das am Ende als gemeinsame Vorlage für die Spitzenrunde herauskam, lag der Sparbedarf nur noch bei 34,4 und bei günstiger Entwicklung sogar bei 30 Milliarden Euro. Diese Zahl basiert auf der Annahme, dass das Wachstum in diesem Jahr etwas weniger stark einbricht und im nächsten etwas stärker ausfällt als zuletzt von der Regierung angesetzt.

Für beide Vermutungen liefern die jüngsten Daten aus der Wirtschaft und vom Arbeitsmarkt plausible Anzeichen, der neue Rahmen ist also nicht einfach aus der Luft gegriffen. Eng ist er immer noch. Woher die 30 Milliarden Einsparungen kommen sollen, weiß bisher kein Mensch – zu schweigen von weiteren Milliarden, die zusätzlich ausgegeben werden sollen. Das öffentliche Wunschkonzert von Koalitionspolitikern der zweiten und dritten Reihe dürfte in den nächsten Tagen wohl etwas leiser werden.

Zumal die Koalitionsspitzen – zweiter wichtiger Beschluss des Donnerstags – eine Prioritätenliste aufgestellt haben: Entlastung der Bürger – vorrangig durch niedrigere Steuern –, Investitionen in Zukunft – vorrangig in Bildung – und Konsolidierung. In dem Dreiklang, fand CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, zeichne sich übrigens auch so etwas wie eine Überschrift über dem neuen Regierungsbündnis ab. FDP-Kollege Dirk Niebel interpretierte die Beschlusslage pragmatischer. Die Zahlen zeigten: „Es gibt Spielraum für Steuersenkungen.“ Wie groß der Spielraum ist, bleibt umstritten. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung meldete sich am Donnerstag sogar mit der erneuten Warnung vor Luftbuchungen zu Wort. Die These, dass sich Steuersenkungen durch höheres Wachstum quasi von selbst finanzierten, gelte höchstens in sehr engen Grenzen. Für „nennenswerte Steuersenkungen“, so die „fünf Weisen“, bestehe in absehbarer Zeit keine Chance, wenn nicht anderswo im Haushalt durch Einsparung gegenfinanziert werde (siehe nebenstehenden Beitrag).

Genau diese Sicht findet aber vor allem FDP-Chef Guido Westerwelle zu eng. In der Spitzenrunde in der NRW-Landesvertretung warb er noch einmal sehr dafür, die schlechten Haushaltsdaten nicht als Bedrohung zu werten, sondern als Herausforderung, jetzt erst recht und vorrangig durch Steuersenkungen das Wachstum in Gang zu bekommen. Es gab, berichten Teilnehmer, von höchster Stelle der Union keinen Widerspruch, sondern vielmehr beifälliges Nicken. Nicht nur Westerwelle, sondern auch die Kanzlerin und CSU-Chef Horst Seehofer sind schließlich bei ihren Wählern im Wort.

Als ersten Schritt haben sowohl Union als auch FDP ihre Zuneigung zu einer Anhebung des Kinderfreibetrags und des Kindergelds schon zum nächsten Jahreswechsel entdeckt. Kinderfreibetrag auf 8004 Euro anheben, Kindergeld auf 200 ist eine Linie, die sowohl Unionspolitiker wie Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer als auch die FDP-Unterhändlerin Cornelia Pieper öffentlich vertreten. Die weitergehende Vorstellung der Union, ab dem zweiten Kind noch einmal 20 Euro draufzulegen, teilt die FDP aber nicht.

Ohnehin dürfte die Entscheidung über ein solches finanzielles Weihnachtspräsent für Familien erst im Licht der übrigen finanzwirksamen Pläne fallen. „Zusammengerechnet wird am Schluss“, sagte ein Haushaltspolitiker, „weggestrichen auch“. In der zuständigen Arbeitsgruppe wird schon erwogen, die Familienentlastung stufenweise zu gestalten. FDP-Mann Solms wies zudem darauf hin, dass die verschiedenen Ziele der Steuerreform miteinander in Einklang gebracht werden müssten. Neben der Familienentlastung ist eine Abmilderung der sogenannten kalten Progression im Gespräch.

Für erste Einigungsmeldungen aus anderen Arbeitsgruppen gilt die Regel ebenfalls, dass die Großen sie noch abnicken müssen. Doch sind die Chancen umso größer, dass ein Punkt ohne weitere Diskussionen gebilligt wird, je weniger Geld er kostet. Die Verständigung darauf, dass deutsche Lebensmittel nicht in den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün als mehr oder weniger gesund gekennzeichnet werden sollen, dürfte deshalb Bestand haben. Ebenfalls bleiben dürfte es bei der Absprache der Verkehrs-AG, dass der Börsengang der Bahn in diesem Koalitionsvertrag nicht festgeschrieben wird. Zwar soll, heißt es aus der Arbeitsgruppe, der Kurs hin auf eine Privatisierung weiter verfolgt werden. Doch angesichts der Finanzkrise sei es nicht vernünftig, ein Zieldatum bis 2013 festzuschreiben.

Andere Arbeitsgruppen sind von Einigungen noch ein Stück entfernt. „Bisher liegen unterschiedliche Positionen auf dem Tisch“, kommentierte FDP-Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor dem zweiten Treffen der Arbeitsgruppe Innen und Recht – und fügte trocken an: „Das sind relativ viele.“ Trotzdem verbreiten Unionsunterhändler wie Fraktionsvize Wolfgang Bosbach Optimismus, selbst in diesem bekanntermaßen stark umstrittenen Feld bis zur Drei-Tage- Klausur der Spitzenrunde Ende nächster Woche Ergebnisse vorlegen zu können. Wo man bis dahin keinen Konsens zustande kriege, sagt Bosbach, sei das auch auch durch noch mehr miteinander reden nicht zu schaffen.

Schwierige Gespräche stehen auch in der Arbeitsgruppe Gesundheit bevor, die sich ebenfalls am Donnerstag traf. Zentrale Frage: Wie wird das Milliardenloch im Gesundheitsfonds gestopft? CDU- Chefunterhändlerin Ursula von der Leyen plädierte dafür, nicht per „Schnellschuss“ mehr Steuern ins System zu pumpen, und kündigte an, über eine „Entlastung der Arbeitskosten von den Gesundheitskosten“ reden zu wollen – was, im Umkehrschluss, auf eine höhere Belastung der Versicherten hinausliefe. Das käme der FDP entgegen, die ebenfalls mehr Eigenbeteiligung fordert.

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