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Politik: Das Dschungelbaby

Der dreijährige Emmanuel wurde in Kolumbien in Geiselhaft geboren. Sein Schicksal steht für die Wirren des Bürgerkriegs

Er ist erst drei Jahre alt und hat doch bereits diplomatische Spannungen verursacht und das Interesse der Weltmedien auf sich gelenkt: Emmanuel, der Sohn der verschleppten kolumbianischen Politikerin Clara Rojas. Seine Geschichte mutet an wie eine der melodramatischen Seifenopern, die sich in Lateinamerika großer Beliebtheit erfreuen. Doch ob es ein Happy End gibt, ist noch offen.

Gezeugt und geboren wurde Emmanuel im Dschungel – Frucht einer verbotenen Liebschaft der ehemaligen Vizepräsidentschaftskandidatin mit einem Guerillero. Zum Jahresende hätte er mit seiner Mutter freigelassen werden sollen. Das hatte die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) dem linkspopulistischen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez zugesagt. Der hatte daraufhin ein Medienspektakel inszeniert, den Regisseur Oliver Stone, das Rote Kreuz und Diplomaten und Politiker aus der halben Welt mobilisiert – und nichts geschah. Während Chavez und sein Tross kleinlaut abzogen, trumpfte Kolumbiens rechter Präsident Alvaro Uribe und Intimfeind des Venezolaners auf: Emmanuel befinde sich seit zwei Jahren in einem Waisenheim. Die Farc seien zynische Lügner und Menschenrechtsverletzer, sagte Uribe. Die Rebellen warfen Uribe vor, den Jungen entführt zu haben, den sie „vorsorglich aus der Schusslinie gebracht“ zu haben vorgaben, um ihn Chavez auszuhändigen.

Der Junge ist das erste in Geiselhaft geborene Baby in Kolumbien und ein Symbol für die Grausamkeit des kolumbianischen Bürgerkriegs. Dass er überhaupt lebt, verdankt er dem Geschick seiner Mutter, die ihre Schwangerschaft so lange verbergen konnte, bis es für eine Abtreibung zu spät war. Denn die Farc dulden keine Techtelmechtel zwischen Kämpfern und Entführten. Im Juli 2004 kam er irgendwo im kolumbianischen Dschungel auf die Welt. „Per Kaiserschnitt und unter hygienisch prekären Bedingungen“, zitierte die Zeitung „El Tiempo“ Zeugen wie den vor einem Jahr aus der Geiselhaft geflüchteten Polizisten John Frank Pinchao, der eine Zeit lang im gleichen Lager war wie Rojas und ihr Baby. Emmanuel sei hellhäutig gewesen und habe sich bei der Geburt den Arm gebrochen, der von den Rebellenmit einem improvisierten Gips versehen wurde. Einige Monate später habe die Guerilla der Mutter ihr Kind weggenommen. „Sie rief tagelang den Namen des Jungen und bettelte, ihn sehen zu dürfen“, gab Pinchao zu Protokoll. Doch die Guerilla habe sie ignoriert.

Allerdings verblieb Emmanuel wohl weiter im Lager und wurde in die Obhut einer Guerillera mit dem Decknamen „Rosa“ gegeben. Bei Gewaltmärschen durch den Urwald habe er das Baby in Obhut von Rosa gesehen, berichtete Pinchao. Dann verlor sich die Spur des Jungen. Wie jetzt bekannt wurde, erkrankte Emmanuel schwer an Malaria und Parasiten. In einem jämmerlichen Zustand übergab die Guerilla 2005 den Jungen unter dem Namen „Juan Manuel“ dem Kokabauern Jose Crisanto Gomez. Der hatte selber fünf Kinder, kaum Geld und war alles andere als begeistert, wagte jedoch nicht, den schwerbewaffneten Rebellen zu widersprechen, wie „El Tiempo“ berichtete. Emmanuel war unterernährt, blass, halb nackt und hatte den ganzen Tag über Schmerzen, weshalb eine Nachbarin schließlich das Jugendamt einschaltete. Die Behörden brachten den Jungen ins Krankenhaus und entzogen Gomez das Sorgerecht. Der war froh, die Last los zu sein, und erzählte den Farc, eine Verwandte in der Hauptstadt Bogota kümmere sich um den Jungen.

Vor drei Monaten habe ein Farc-Kommandant die Rückgabe des Jungen bis zum 30. Dezember gefordert und ihn bedroht, berichtete Gomez der Staatsanwaltschaft, die den Kokabauern aber erst nach Einschalten des Ombudsmanns anhörte. Den Grund für das wiedererwachte Interesse der Guerilla an Emmanuel – die geplante Übergabe an Chavez – kannte Gomez nicht. Der Kokabauer lebt inzwischen mit seiner Familie unter anderer Identität in Bogota, Emmanuel ist bei einer Pflegefamilie. In den nächsten Tagen soll er der Familie seiner Mutter übergeben werden. Ob und wann Emmanuels Mutter und die anderen Verschleppten freikommen, ist unklarer als je zuvor.

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