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So wird ein Schuh draus. Emmanuel Macron zu Besuch bei jungen Bürgern seines Landes.

© Christophe Ena/AFP

Kinderbetreuung und Schulpflicht: Das Familienbild in Deutschland passt sich der Realität an

Wie auch in Frankreich wird nun in Deutschland über eine frühere Schulpflicht diskutiert. Die deutsche Mentalität nähert sich dabei der französischen an. Eine Kolumne.

Ab welchem Alter gehören Kinder in die Schule? Emmanuel Macron hat angekündigt, der Schulbesuch werde zukünftig kostenlos und ab drei Jahren verpflichtend sein. Damit formalisiert er nur bereits existierende Tatsachen, denn der überwiegende Teil der kleinen Franzosen geht schon in die école maternelle, die französische Vorschule. Macron möchte die sehr kleine Minderheit jener Kinder in das Schulsystem eingliedern, die zu Hause bleiben. Meist kommen sie aus Migranten-Familien, in denen man wenig oder schlecht Französisch spricht. Sie sollen auf die Grundschule vorbereitet werden und die Chance erhalten, sich zu integrieren.

Eine gute Idee, die diesseits des Rheins, wo Kinder erst zwischen fünf und sechs eingeschult werden, so manchen empören mag. Zumindest im Westen (in eher wohlhabenden Kreisen, in denen ein Einkommen die Familie ernährte) galt es lange als moralisch verwerflich, wenn eine Frau ihr kleines Kind mehrere Stunden am Tag einer Krippe oder Tagesmutter anvertraute. Wie oft habe ich verblüfft Grabenkämpfe zwischen Rabenmüttern und Gluckenmüttern beobachtet, habe ideologische Streitgespräche erlebt, die aus einer vergangenen Zeit zu stammen schienen. Doch zum Glück verändert sich gerade einiges. Das Familienbild passt sich endlich der Realität an. Zwar ist der Kindergartenbesuch freiwillig, doch laut Gesetz hat jedes Kind Anspruch auf einen Platz. Angesichts fehlender Einrichtungen in einigen Gemeinden allerdings ein eher theoretischer Anspruch. Auch in Deutschland macht man sich Gedanken über eine Kindergartenpflicht. Noch ist kein Gesetz in Sicht, doch Umfragen ergeben, dass die meisten Eltern ihre Kinder spätestens mit drei in den Kindergarten schicken möchten. Davon zeugen auch lange Wartelisten.

Das französische Betreuungsparadies

Dabei haben ein deutscher Kindergarten und eine französische maternelle wenig gemeinsam: Im Kindergarten lernen die Kinder vor allem, zusammenzuleben und sollen möglichst ungestört spielen. „Den ganzen Morgen damit zu verbringen, einen Kreis aus einem Blatt Papier herauszuschneiden, ist auch eine Form des Lernens“, erklärte mir einmal eine deutsche Erzieherin. In Frankreich wäre das Zeitverschwendung. Denn die maternelle ist bereits ein wenig wie Schule: Man fängt an, lesen und schreiben zu lernen, zu zählen … Alles spielerisch, versteht sich. Aber auch ernst.

Die (west-)deutschen Frauen, die einen Beruf ausübten, schielten also voller Neid auf das französische Paradies. Es ist zwar weit davon entfernt, perfekt zu sein; in einigen Regionen gibt es nicht ausreichend Plätze in der maternelle. Aber niemand würde die Stirn runzeln, wenn die ganz Kleinen einer Betreuungseinrichtung überantwortet werden. Das Ergebnis: Mit 1,92 Kindern pro Frau steht Frankreich im Ranking der europäischen Länder ganz oben, weit vor Deutschland. Ändern sich die Verhältnisse in Deutschland jetzt ernsthaft? Warum werden mit einem Mal so viele Kinder gezeugt? Immigration spielt eine Rolle, aber auch eine veränderte Familienpolitik. All diese Frauen, die heute zwischen 30 und 37 Jahren Kinder bekommen, wissen, dass sie ihren Beruf nicht aufgeben müssen. Ein anderer, weniger greifbarer, doch ebenfalls entscheidender Faktor: Die Mentalitäten wandeln sich. Mit seinen 1,59 Kindern pro Frau steht Deutschland inzwischen im Vergleich gar nicht so schlecht da. Wird die von so vielen Experten vorausgesagte demographische Katastrophe womöglich bald vergessen sein?

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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