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Historischer Handschlag: Die Außenminister Irans und der USA am vergangenen Sonntag nach dem - vorläufigen - Abschluss der Atomverhandlungen in Genf.

© AFP

Iran nach Genf: "Das ist ein magischer Moment"

Die Atom-Vereinbarung von Genf war ein Erfolg der neuen Politik von Irans Präsidenten Ruhani. Sie muss ihm nun helfen. Irans katastrophale Wirtschaftslage zu verbessern, sagt der Ökonom und Kommentator Saeed Leylaz. Die italienische Journalistin Marina Forti sprach in Teheran mit ihm.

Die Präsidentschaft des gemäßigten und pragmatischen Hassan Ruhani ist “die einzige Chance, den Iran vor dem Abgrund zu retten“ – davon ist Saeed Leylaz überzeugt. Leylaz, Wirtschaftswissenschaftler und Ökonom um die fünfzig, empfängt mich abends in seiner Teheraner Wohnung, im gleichen großen Vorhof, wo ich ihn vor vier Jahren an einem Morgen traf: Das Radio hatte da gerade gemeldet, dass Mahmud Ahmadinedschad wiedergewählt sei. Leylaz glaubte nicht daran, – aber die Sicherheitskräfte hatten bereits  begonnen, die Büros der Oppositonskandidaten zu umstellen. Wenig später begannen die großen und über Monate anhaltenden Protestdemonstrationen, die den Iran in seine tiefste Krise seit der Revolution stürzten. Leylaz selbst, der sich im Wahlkampf des unterlegenden Mir Hussein Mussawi engagiert hatte, kam ins Gefängnis und verbrachte Monate in Isolationshaft.

Der iranische Ökonom Saeed Leylaz
Der iranische Ökonom Saeed Leylaz

© R/D

Darüber will er jetzt aber nicht reden. Er spricht lieber über den vergangenen Juni. Als das Radio die Wahl Hassan Ruhanis zum Präsidenten verkündete und die Straßen Teherans sich mit feiernden Menschenmassen füllten, habe er vor Freude geweint, sagt Leylaz: „Ich dachte: In vier Jahren ist es dem Regime nicht gelungen, den Willen des Volkes zu unterdrücken. Und dank dieser Leute, wegen uns allen und unserem Widerstand, sehen wir heute einen Wandel.“ Saeed Leylaz hat kürzlich wieder begonnen, Kommentare für die Tageszeitung Shargh zu schreiben („Der Orient“, ein  Blatt, das Reformerkreisen nahe steht, viermal geschlossen wurde, aber immer wieder an die Kioske zurückkehrte). „Wir haben das System nicht attackiert, wir wollen es nicht stürzen. Wir wollen aber eine offene Islamische Republik, die mit der Welt in Frieden lebt und nach innen demokratisch und in der Lage ist, ihre Wirtschaft ohne die verbreitete Korruption zu entwickeln. Und genau dafür steht heute Ruhani.“

Die kollektive Begeisterung, die Ruhanis Wahl ausgelöst hat,  erinnert ein bisschen an das Klima, das im Iran 1997 herrschte, als der Reformer Mohammed Khatami Präsident wurde und die erste Öffnung der iranischen Gesellschaft ermöglichte. „Heute allerdings ist die Situation viel dramatischer“, sagt Leylaz. „Damals ging es darum, einem wohlhabenden Land soziale Freiheiten zu geben. Heute geht es ums Überleben.“ Er greift zum neuesten Bericht der iranischen Zentralbank: 1997 produzierte der Iran 3,6 Millionen Barrel Öl pro Tag und exportierte 2,5 Millionen. Heute exportiert er kaum 800 000 Barrel pro Tag. „Und das liegt nicht nur an den Sanktionen. Noch vor zwei Jahren, also vor den Banksanktionen, die uns mittlerweile die Luft abdrücken, fiel die Produktion auf unter zwei Millionen Barrel pro Tag. Warum? Mangel an Investitionen, schlechtes Management.“ Außerdem “hatten wir zu Zeiten Khatamis gute Beziehungen zu unseren Nachbarn, während Ahmadinedschad das Land in die Isolation geführt hat”.

Leylaz’ Gesicht hellt sich auf, wenn er über den neuen Kurs der iranischen Diplomatie spricht, den Besuch von Präsident Ruhani in New York, das Telefonat mit Barack Obama, die Gespräche in Genf. „In zwei Monaten hat er mehr verändert als die 35 Jahre zuvor.“ Dieser Moment gerade sei magisch, sagt der Ökonom. Man erlebe einen seltenen Augenblick nationaler Einheit. Ruhani hat die Zustimmung des Volkes und die Unterstützung des „Systems“ (der Begriff bezeichnet die Institutionen der Islamischen Republik, nicht einmal der radikalste Oppositionelle spräche von „Regime“). Ruhani leitete früher den Nationalen Sicherheitsrat und war lange persönlicher Vertreter des Obersten Führers Ajatollah Ali Khamenei. Jetzt hat er dessen ausdrückliche Unterstützung, die am Sonntag  in einem Kommentar zur Genfer Einigung mit der 5+1-Gruppe im Atomstreit bekräftigt wurde. „Khamenei weiß, dass Ruhani das System nicht in Gefahr bringt, wie dies einige Falken mit Wahnvorstellungen behaupten. Er weiß außerdem sehr wohl, dass die Wirtschaft des Landes eine Katastrophe ist und dass die Ultrakonservativen den Beweis geliefert haben, dass sie unfähig sind, das Land zu führen. Wenn die Außenpolitik scheitert, die Ruhani begonnen hat,  dann allerdings ist das System tatsächlich in Gefahr.“

Leylaz betont es: Der Zustand der Wirtschaft ist katastrophal. Nach offiziellen Schätzungen hat die Inflationsrate 40 Prozent überschritten, auch wenn sie in den beiden letzten Monaten etwas gefallen ist - auf 32 Prozent – einfach weil die neue Regierung Optimismus auslöste. Die Arbeitslosigkeit schwankt zwischen 16 und 20 Prozent, eine Generation bestausgebildeter junger Männer und Frauen muss sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Und das Wachstum bewegt sich um den Nullpunkt. „Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, die Inflation zu senken und gleichzeitig Investitionen anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. In Europa können Sie Geld in Umaluf bringen und hoffen, dass die Wirtschaft sich erholt. Hier würde das sofort die Inflation anheizen.“

Und dennoch gibt es Leute, die mit dem Sanktionsregime ein Vermögen gemacht haben. „Seit der Iran aus dem internationalen Bankensystem ausgeschlossen wurde und jede Form von Handel schwierig ist, braucht jede Überweisung verschlungene Wege. Die Geschäfte sind weiter voller Waren, aber zehn Prozent des gesamten Import-Export-Geschäfts landen in den Taschen des Zwischenhandels. Manche haben Milliarden Dollar angehäuft.“ Wer sind die neuen Reichen der Sanktionen? „Sagen wir: Leute, die der Macht sehr nahe stehen. Ich glaube, dass Ahmadinedschad nicht nur aus politischer Unfähigkeit veranwortlich für die Sanktionen war, sondern auch, weil sie Interessen bedienen.“ Spielen Sie auf die Revolutionsgarden an, jene paramilitärische Einheit, die auch über soliden Industriebesitz und beträchtliche wirtschaftliche Macht verfügt? „Nicht als Institution, womöglich durch einzelne Personen. Ich wiederhole: Personen, die der Macht nahe stehen.” Könnte man diese Personen Oligarchen nennen? “Das ist das richtige Wort, Oligarchie. Sich mit ihnen aber zum jetzigen Zeitpunkt anzulegen, wäre weder nützlich noch ist es nötig, und es ist auch nicht möglich. Die neue Regierung muss sie dahin bringen, in den Aufschwung der Wirtschaft zu investieren“, sagt Leylaz. Tatsächlich hat Ruhani in diesem Sinne bereits gewirkt, als er im September sagte, die Revolutionsgarden würden „die Lage im Land gut kennen“ und könnten mit einigen „Projekten von nationalem Interesse helfen“ – allerdings „komplementär” zum privaten Sektor.

„Die iranische Wirtschaft hat große Möglichkeiten und die Regierung ist auf der Höhe der Zeit“ sagt Leylaz. „Wenn es Ruhani gelänge, die Sanktionen zu beenden…“ Aber er habe dafür nicht ewig Zeit: „Ruhani kennt die Flure der Macht gut, aber er kontrolliert nicht das ganze System. Solange der Geistliche Führer ihn unterstützt, werden die Institutionen, auf die es ankommt – Justiz, Sicherheitskräfte – nicht wagen, ihn anzugreifen. Aber dieser Zauber wird nicht ewig dauern.“

Aus dem Italienischen von Andrea Dernbach

Marina Forti

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