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Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führen vermummte Polizisten nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug.

© dpa/Boris Roessler

Update

„Reichsbürger“-Szene stark gewachsen: 19 Personen nach bundesweiter Razzia in U-Haft

Mitglieder der Reichsbürgerszene sollen den Umsturz des Staates vorbereitet haben. Innenministerin Faeser warnt vor dem wachsenden Netzwerk.

| Update:

Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen. Rund 3000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Nachmittag in Karlsruhe.

Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat vor einer wachsenden Gefahr durch die sogenannte Reichsbürger-Szene gewarnt, die jüngst Zulauf verzeichnet hat. Die Zahl der Menschen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz aktuell dem Reichsbürger-Milieu zuordnet, sei im Vergleich zum Vorjahr um 2000 auf 23.000 Personen angestiegen, sagte Faeser der „Bild am Sonntag“. Zehn Prozent von ihnen gelten als gewaltbereit, allein im vergangenen Jahr wurden demnach 239 Gewalttaten von Reichsbürgern registriert.

„Wir haben es nicht mit harmlosen Spinnern zu tun, sondern mit Terrorverdächtigen, die jetzt allesamt in U-Haft sitzen“, sagte Faeser mit Blick auf den aktuellen Schlag der Behörden gegen die Szene. Mindestens 1050 Reichsbürgern sei die Waffenerlaubnis bereits entzogen worden, erklärte Faeser und fügte hinzu, die Regierung werde das „Waffenrecht in Kürze weiter verschärfen“.

Das ist bisher bekannt:

22 der Festgenommenen sollen Mitglieder der terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte die Sprecherin. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.

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Gegen wen wird ermittelt?

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Nach Informationen der dpa handelt es sich um einen Unteroffizier. Untersucht wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg).

Festgenommen wurden Personen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben.

25
Personen aus der Reichsbürgerszene wurden festgenommen.

Nach Informationen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ sollen zu den Festgenommenen ein adliger Unternehmer aus Frankfurt am Main, die Richterin am Berliner Landgericht und ehemalige Afd-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, sowie mehrere ehemalige Angehörige des Kommandos Spezialkräfte (KSK) und der Fallschirmjäger der Bundeswehr gehören.

19 der 25 festgenommenen Verdächtigen sind nun in Untersuchungshaft. In den 19 Fällen hätten Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof die Haftbefehle in Vollzug gesetzt, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Abend mit. Damit seien die Vorführungen für Mittwoch abgeschlossen. Planmäßig sollen auch an diesem Donnerstag noch Verdächtige den Richtern vorgeführt werden.

Wie sind die Ermittler auf die Gruppierung aufmerksam geworden?

Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe „Vereinte Patrioten“ sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen. Dort sei man auf einen Adligen aufmerksam geworden: Heinrich XIII. Prinz Reuß, 71 Jahre alt, Immobilienunternehmer mit Wohnsitz in Frankfurt am Main und Gutsherr eines Jagdschlosses im ostthüringischen Bad Lobenstein. Er gelte als Hauptbeschuldigter und sitzt nun in Untersuchungshaft.

Den Ermittlungen zufolge soll der Adlige Vorsitzender des zentralen Gremiums der Gruppe gewesen sein und im Fall des Umsturzes als „zukünftiges Staatsoberhaupt“ gegolten haben. Er soll auch versucht haben, Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen. 

Nach Erkenntnissen der Ermittler planten die Beschuldigten um Prinz Reuß seit November 2021 einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag sowie die Festnahme von Politikern, wie der „Spiegel“ berichtet. Offenbar seien die Männer und Frauen davon ausgegangen, dass daraufhin Unruhen in Deutschland ausbrechen würden.

Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ stehen Polizisten an einem durchsuchten Objekt in Frankfurt am Main.
Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ stehen Polizisten an einem durchsuchten Objekt in Frankfurt am Main.

© dpa/Boris Roessler

In ihrer Vorstellung hätten sich sodann Teile der Sicherheitskräfte solidarisch mit der Terrorgruppe gezeigt, woraufhin es zu einem „Umsturz“ gekommen wäre. Mehrere Verdächtige seien bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen als Aktivisten aufgetreten.

Nach dem „Umsturz“ hätten die Beschuldigten die staatliche Ordnung in Deutschland außer Kraft setzen und durch eine eigene ersetzen wollen. Diese Staatsform sei schon in Grundzügen ausgearbeitet gewesen, teilte die Bundesanwaltschaft mit. „Den Angehörigen der Vereinigung ist bewusst, dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden kann“, heißt es in der Mitteilung. „Hierzu zählt auch die Begehung von Tötungsdelikten.“

Nach Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, waren die Sicherheitsbehörden früh über die Umsturzplanungen der Gruppe im Bilde. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern seien dieser Gruppierung sehr früh auf die Schliche gekommen, sagte Haldenwang am Mittwoch in einem ZDF-„Spezial“. Man habe die Gruppe seit dem Frühjahr dieses Jahres beobachtet und einen recht klaren Überblick über deren Planungen und Entwicklung gehabt. Die Planungen seien dann immer konkreter geworden, und es seien Waffen beschafft worden. „Zu dem Zeitpunkt, an dem wir annehmen mussten, jetzt kann es gefährlich werden, haben wir natürlich auch unmittelbar mit Generalbundesanwalt und den Polizeibehörden zusammengearbeitet“, sagte Haldenwang. Er betonte: „Die deutschen Sicherheitsbehörden insgesamt hatten die Lage jederzeit unter Kontrolle. Doch wenn es nach dieser Gruppe gegangen wäre, dann war diese Gefahr war schon recht real.“

Wie lange existiert die Gruppe?

Spätestens Ende November 2021 sollen die Menschen die Gruppierung gegründet haben. Zentrales Gremium sei ein „Rat“. Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. „Die Mitglieder des „Rates“ haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“, teilte die Bundesanwaltschaft mit.

„Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung“, sagte die Sprecherin. Die Gruppe begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines „tiefen Staats“, regiert werde, hieß es in einer Mitteilung.

Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor. Die russische Botschaft in Berlin weist Verbindung zu „terroristischen“ Gruppen in Deutschland zurück, berichten russische Agenturen.

Der Kreml bezeichnete die Festnahmen als „innenpolitische deutsche Angelegenheit“. Die deutschen Behörden hätten „selber gesagt, dass jedwede russische Einmischung nicht zur Diskussion steht“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber Journalisten.

Was war der Plan der Gruppierung?

Ein „militärischer Arm“ sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen „beseitigen“, hieß es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. „Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten „Systemwechsels auf allen Ebenen“ zumindest billigend in Kauf.“ Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.

Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben. Im Herbst hätten Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des „militärischen Arms“ hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, „um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren“.

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Ein Journalist der Rechercheplattform „Bellingcat“ schreibt auf Twitter, die Gruppierung habe Verbindungen in den Balkan. Dort sollen unter anderem Kampftrainings stattgefunden haben.

Nach den Worten von Generalbundesanwalt Peter Frank hatte die Gruppierung noch kein konkretes Datum für die Verwirklichung ihres Vorhabens gehabt. Innerhalb der Vereinigung habe es aber Diskussionen gegeben, ob bestimmte Anlässe von außen nicht Grund zum Losschlagen hätten sein können, sagte Frank am Mittwochabend in einem ARD-„Brennpunkt“.

„Wir gehen davon aus, dass die Personen in der Vereinigung fest entschlossen waren und auch sicher waren, etwas zu tun“, betonte Frank. Bei den Razzien sei auch militärische Ausrüstung wie Schusswesten gefunden worden. Einige Mitglieder hätten sich zudem bei Schießtrainings vorbereitet. Die Behörden seien sicher, dass es zu einem Losschlagen gekommen wäre. Es sei richtig gewesen, jetzt im Dezember zuzugreifen und der Vereinigung ein Ende zu bereiten.

Wie reagiert die Politik auf die Groß-Razzia?

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach mit Blick auf die mutmaßlichen Umsturzpläne von einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“. „Die heute aufgedeckte mutmaßliche terroristische Vereinigung ist, nach dem Stand der Ermittlungen, von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben“, sagte die SPD-Politikerin. Der Rechtsstaat wisse sich jedoch „gegen die Feinde der Demokratie zu wehren“.

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Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die bundesweite Razzia als „Anti-Terror-Einsatz“. „Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt“, schrieb der FDP-Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter.

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FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle fordert ein härteres Vorgehen gegen extremistische Beamte. „Besonders problematisch ist die erneute Verbindung der Gruppe zu Bundeswehr und Polizei. Wer die staatliche Ordnung in Deutschland ablehnt oder gar beseitigen will, kann kein Beamter sein. Hier muss das öffentliche Dienstrecht schnell nachgeschärft werden“, schrieb Kuhle am Mittwoch auf Twitter.

Er warnte, die „rechtsextreme Szene vernetzt sich untereinander, hortet Waffen und träumt von einem „Umsturz“.“ und schrieb weiter: „Unsere wehrhafte Demokratie wird gegen diese widerliche braune Suppe bestehen!“

Die SPD im Bundestag begrüßt den Polizeieinsatz. „Unsere Demokratie war, ist und bleibt wehrhaft“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Unsere Werte müssen jeden Tag aufs Neue verteidigt werden“, stellte Mast fest. „Es gibt Kräfte, die tagtäglich daran arbeiten, unsere Demokratie zu zersetzen. Und dagegen muss und kann sich unser Rechtsstaat wehren.“

 Es gibt Kräfte, die tagtäglich daran arbeiten, unsere Demokratie zu zersetzen. Und dagegen muss und kann sich unser Rechtsstaat wehren.

Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion

Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) zeigte sich angesichts der bundesweiten Razzia beunruhigt. Diese Vorgänge zeigten, welche Bedrohung diese Szene darstelle, sagte Spranger am Mittwoch am Rande eines Termins. „Die kruden Vorstellungen dieser Szene, die oft mit Verschwörungserzählungen einhergehen, sind eine toxische Mischung, aus der sich konkrete Gefährdungen für unsere Demokratie entwickeln“, so Spranger. „Berlin wird sich diesen Gefährdungen weiterhin mit aller Entschlossenheit entgegenstellen.“

Bundestag soll sich mit den Umsturzplänen beschäftigen

Die Grünen wollen nach den Razzien gegen Beteiligte an Plänen für einen Umsturzversuch in Deutschland die damit verbundene Bedrohung im Bundestag zum Thema machen. „Nun gilt es, die entdeckten Netzwerke weiter auszuleuchten“, verlangten Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic und Fraktionsvize Konstantin von Notz am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Sie hätten daher veranlasst, „dass sich die entsprechenden Ausschüsse und Gremien des Parlaments in der kommenden Sitzungswoche intensiv mit den Razzien befassen“.

Dabei werde es vor allem auch um „die Frage nach der Sicherheit des Deutschen Bundestags“ gehen müssen, betonten sie. Den bisherigen Ermittlungen zufolge wird einer Gruppe vor allem sogenannter Reichsbürger unter anderem vorgeworfen, einen bewaffneten Sturm auf das Parlament geplant zu haben. „Das Herz unserer Demokratie gilt es bestmöglich zu schützen“, verlangten daher Mihalic und von Notz.

Sie wiesen auch daraufhin, dass die Beteiligten an dem offensichtlich rechtsextremen Netzwerk nicht nur „sehr konkrete Pläne für Anschläge erarbeitet“, sondern auch sogenannte „Feindeslisten“ von Andersdenkenden geführt habe. Die Razzien hätten aber auch gezeigt, „dass unsere Sicherheitsbehörden ihre Verantwortung als essentieller Teil unserer wehrhaften Demokratie wahrnehmen“. Sie hätten „sehr wichtige Arbeit geleistet. Ihnen gilt unser Dank“.

Thüringens Verfassungsschutzchef warnt vor Reichsbürgerszene

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer warnt vor „gewalttätigen Revolutionsfantasien“ der Reichsbürgerszene und der Neuen Rechten. „Die vom Generalbundesanwalt formulierten Vorhaltungen zeigen, dass wir die Reichsbürgerszene sehr ernst nehmen müssen, weil eine nicht zu unterschätzende Gefahr von ihr ausgeht“, sagte Kramer dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Auch zeigen die Vernetzungen, dass sich gewalttätige Revolutionsfantasien nicht nur auf die Reichsbürgerszene beschränken, sondern auch ganz offensichtlich die Neue Rechte mit einbeziehen.“

Zugleich sagte Kramer: „Das Wichtigste für mich ist aber, dass die wehrhafte Demokratie wehrhaft ist und die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaften, hier der Generalbundesanwalt, über Ländergrenzen hinweg funktioniert.“ Darüber sollten sich auch die Feinde der Demokratie im Klaren sein.

Thüringen ist seit Jahren ein Rückzugsort für Reichbürgerstrukturen, bei denen sich zuletzt auch neue Treffpunkte verstetigt haben.

Thüringer Linken-Politikerin Katharina König-Preuss

Die Umsturzpläne der Reichsbürgerszene haben sich nach Einschätzung der Thüringer Linken-Politikerin Katharina König-Preuss schon länger abgezeichnet. Es sei gut, dass die Gruppierung gestoppt worden sei, bevor sie ihre Pläne habe in die Tat umsetzen können, erklärte die Landtagsabgeordnete und Rechtsextremismus-Expertin in Erfurt

„Dass die Reichsbürgerszene Umsturzplanungen verfolgt, ist nicht neu, vielfach sind solche Bestrebungen wesentlicher Bestandteil der Ideologie“, stellte König-Preuss fest. „Thüringen ist seit Jahren ein Rückzugsort für Reichbürgerstrukturen, bei denen sich zuletzt auch neue Treffpunkte verstetigt haben, so etwa in Pfiffelbach bei Weimar.“

Polizeigewerkschaft fordert mehr Unterstützung

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert anlässlich der bundesweiten Razzia mehr Unterstützung für Einsatzkräfte. Polizeiliche Erfolge wie dieser dürften nicht „über viele Missstände innerhalb der Polizeien hinwegtäuschen“, erklärte GdP-Chef Jochen Kopelke in Berlin.

Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen.
Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen.

© dpa/Boris Roessler

„Es gibt Personalmangel, es gibt eine bundesweit unterschiedliche Gefahrenzulage der Polizeibeschäftigten sowie weitere föderale Ungerechtigkeiten“, fügte Kopelke an. „Und unsere Kolleginnen und Kollegen verspüren einen rasant zunehmenden Mangel an Respekt vor dem, was sie tun.“ Zugriffe wie die vom Mittwoch seien für die Einsatzkräfte mit großen Gefahren und einem enorm hohen Ermittlungs- und Planungsaufwand verbunden.

„Viele Menschen können sich nicht vorstellen, wie es ist, eine Tür zu öffnen und nicht zu wissen, ob unvermittelt geschossen wird, eine Sprengfalle lauert oder, oder, oder“, erklärte der Gewerkschaftschef.

Der Reservistenverband warnt vor einem Generalverdacht

Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr warnte nach den Razzien vor einem Generalverdacht gegen Mitglieder von Sicherheitsbehörden und Streitkräften. „Es gibt kein strukturelles Extremismusproblem bei den Reservisten oder aktiven Soldaten der Bundeswehr. Davon bin ich überzeugt“, sagte Verbandspräsident Patrick Sensburg der „Rheinischen Post“ (Samstag). Ein Generalverdacht sei vollkommen unangebracht.

Gleichzeitig forderte Sensburg ein „viel konsequenteres Durchgreifen“ gegen Menschen wie einen der Festgenommenen, einen Ex-Offizier. Dieser sei bekannt für seine Einstellungen, gegen ihn gebe es Strafverfahren, „und trotzdem läuft er weiterhin in Uniform durchs Land und verbreitet seine kruden Theorien und dies bei vollen Pensionsbezügen“, kritisierte Sensburg. Solche Personen müssten viel schneller aus dem Dienst entfernt werden samt Streichung der Privilegien, die Staatsbediensteten gewährt werden.

Patrick Sensburg, Präsident des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, bei einem Interview 2014 (Archivbild).
Patrick Sensburg, Präsident des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, bei einem Interview 2014 (Archivbild).

© dpa / Daniel Naupold/dpa

„Zweitens brauchen wir mehr Sensibilisierungsmaßnahmen in den robusten Einheiten von Bundeswehr, Polizei und anderen Sicherheitsbehörden“, sagte Sensburg. „Die Mitglieder des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr und von Sondereinsatzkommandos der Polizei haben einen harten Job, sind schwer bewaffnet und sehen sich zu Recht als Elite. Das kann aber dazu führen, dass sie abheben, sich für etwas Besseres jenseits der üblichen Regeln halten“, warnte der Reservistenverbandschef. Das dürfe nicht passieren. „Wir brauchen bessere Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörden, um eine Radikalisierung solcher Kräfte zu verhindern.“

Wer sind die Reichsbürger?

„Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich häufig, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene „Reichsbürger und Selbstverwalter“ 1011 extremistische Straftaten zu.

Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein sogenannter Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen. (Tsp mit dpa/AFP)

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