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Politik: Das Sakrament und der Sünder (Kommentar)

Man muss sich diese Szenen noch einmal bildhaft vorstellen: Zweimal - 1987 und 1993 - geht Kanzler Kohl an den Schreibtisch, um je eine Novelle zum neu verschärften Parteiengesetz auch durch seine Unterschrift in Kraft zu setzen. Und was macht er dabei?

Man muss sich diese Szenen noch einmal bildhaft vorstellen: Zweimal - 1987 und 1993 - geht Kanzler Kohl an den Schreibtisch, um je eine Novelle zum neu verschärften Parteiengesetz auch durch seine Unterschrift in Kraft zu setzen. Und was macht er dabei? Lacht er sich ins Fäustchen über den naiven Gesetzgeber, da er doch als Parteivorsitzender die Praxis besser kennt - oder unterdrückt er den Anflug eines schlechten Gewissens, weil er mit höchster Regierungsautorität Regeln ratifiziert, gegen die er regelmäßig und vorsätzlich verstößt?

Der eigentliche Skandal liegt nicht im einfachen Gesetzesverstoß, sondern in der ultimativen Doppelzüngigkeit: Mit der rechten Hand das Rechte anordnen - mit der linken das unrechte Geld einziehen. So etwas hat es in der jüngsten Staatsgeschichte nicht gegeben. Und deshalb wird dieser Abgrund von Verfassungsverrat zwangsläufig zum definierenden Ereignis, zum Lackmus-Test unseres Verfassungsverständnisses werden, auch nachträglich noch - und zwar durch die Art, wie die politische Klasse (und die Justiz) sich dazu stellt; und durch die Art, wie die CDU damit umgeht; die Generalsekretärin stellt die notwendige Einsicht und Unbefangenheit schon unter Beweis. Das von der Opposition gezischelte Stichwort Beugehaft hat, voreilig oder nicht, die Leninsche Frage erhellt, rechtsstaatlich gewendet: Wer wen? In der Tat hat sich der Täter dem Recht - nicht aber das Recht dem Täter zu beugen. Weshalb aber musste dann dieselbe SPD, wie über sich selbst erschrocken, Helmut Kohl sogleich signalisieren, es könne ausreichen, wenn er die Namen der Spender dem Untersuchungsausschuss vertraulich mitteile? Das Gesetz verlangt nichts weniger als die Veröffentlichung solcher Spender und Spenden - und verbietet jede selbstherrliche Rabattgewährung zwischen den Parteien.

Doch: Überwiegen nicht die machtvollen Erfolge Helmut Kohls seine Missetaten bei der Finanzierung derselben bei weitem? Wer so fragt, lässt sich bereits auf Kohls erste Herrschaftsregel ein: "Mir kommt es darauf an, was hinten herauskommt" - oder aktuell umformuliert: es komme darauf an, was hintenherum finanziell für die Partei hereinkommt. Der Zweck heiligt die Mittel - dieser Zynismus wird von allen abgelehnt. Es gibt für den ertappten Politiker auch keinen Saldo, der zwischen Zweck und Mittel - nach Abzug der Unkosten (und Untaten) - übrig bleiben könnte. An dieser Stelle trennen sich die bleibenden politischen Resultate vom vergänglichen Täter, trennt sich der objektive Fakt von der subjektiven Legitimität seines Zustandekommens. Wie in der altkirchlichen Sakramentenlehre: Das Sakrament bleibt gültig, auch wenn der Zelebrant ein schwerer Sünder war, aber das gültige Sakrament macht aus diesem Sünder nimmermehr - keinen Sünder.

Zwei Grundelemente haben das Verfassungsverständnis und die politische Legitimität der zweiten deutschen Demokratie im Ursprung geprägt - beide sind in der Causa Kohl grob verachtet worden. Das eine ist der Vorrang von Recht und Gesetz vor der Macht (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). The supremacy of law, der Primat des Rechts: Kein politischer Akt staatlicher Amtsträger, der rechtswidrig zustandekommt, kann Legitimität beanspruchen - auch nicht dieser Amsträger für sich selber. Das zweite Element betrifft die Parteien und ihre Stellung in der politischen Ordnung: Das Grundgesetz hat der hochnäsigen und heuchlerischen Parteiverachtung widersprochen und beides, die Notwendigkeit wie die Legitimität von politischen Parteien anerkannt; es hat die Parteien aber nicht zu Institutitonen der Verfassung gemacht, schon gar nicht über andere Verfassungsinstitutionen gesetzt.

Gegen beide Prinzipien hätte Helmut Kohl als Kanzler wie als Parteivorsitzender - in sauberen Kategorien gedacht - kaum schärfer verstoßen können: Er hat das Recht verachtet, und er hat das Wohl seiner Partei über den Willen der Verfassung gestellt. Würden Parlament, Parteien und Bürger (und zur Not die Justiz) sich zu diesem Vorgang nicht eindeutig verhalten - sie machten sich mitschuldig am eklatanten Legitimitätsverlust der Republik. Verhalten sie sich aber eindeutig, so zeigen sie: Diese Regeln gelten nicht nur, sie werden auch durchgesetzt. Und dann wüchsen selbst noch aus dem Skandal die Antikörper der Immunisierung - und der wirklichen Legitimität.

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