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Demjanjuk

© dpa

Der Fall Demjanjuk: Geschichte und Gerechtigkeit

John Demjanjuk könnte bald nach Deutschland abgeschoben werden. Doch noch gibt es ein Tauziehen vor den amerikanischen Gerichten.

Jahrzehntelang führte John Demjanjuk ein beschauliches Leben in den USA. Der Familienvater arbeitete als Automechaniker bei Ford in Cleveland. Nun soll der 89-Jährige nach Deutschland abgeschoben und in München vor Gericht gestellt werden. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord an mindestens 29 000 Menschen. Während des Zweiten Weltkrieges war Demjanjuk Wachmann im Vernichtungslager Sobibor. Doch noch ist nicht klar, ob und wann es zum Prozess kommt: Demjanjuk versucht seit Wochen, vor US-Gerichten seine Abschiebung zu stoppen, und beruft sich auf seinen Gesundheitszustand. Am Karfreitag erlebte er allerdings eine Niederlage vor Gericht. Der Berufungsausschuss der US-Einwanderungsbehörde lehnte Demjanjuks Eilantrag ab, die Abschiebung nach Deutschland vorerst zu stoppen.

Damit sind die deutschen Ermittler ihrem Ziel, Demjanjuk in München den Prozess zu machen, einen Schritt nähergekommen. Es wäre vielleicht der letzte große NS-Verbrecherprozess überhaupt. Das juristische Tauziehen in den USA, das selbst für Fachleute schwer durchschaubar ist, ist aber noch nicht zu Ende. Demjanjuks Angehörige wollen offenbar weitere Gerichte anrufen, um die Ausweisung zu verhindern. Die Abschiebung des schwer kranken 89-Jährigen und der zu erwartende Prozess kämen der Folter gleich, so die Argumentation der Angehörigen und der Anwälte. Ein Satz, der unerträglich sein muss für die Familien der Opfer des Holocaust.

Um eine Auslieferung im eigentlichen Sinne handelt es sich im Fall Demjanjuk nicht. Wegen der ihm zur Last gelegten Verbrechen haben ihm die USA die Staatsbürgerschaft entzogen. Bisher gelang es den US-Behörden jedoch nicht, ihn abzuschieben, weil sich kein Land fand, das ihn aufnehmen wollte. Jetzt hat sich Deutschland zur Aufnahme des staatenlosen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrechers bereiterklärt – schließlich liegt hier ein Haftbefehl gegen ihn vor. Für die Abschiebung selbst und damit die Details der Reise sind die Amerikaner verantwortlich.

Augenzeugen, die sich an den Wachmann Demjanjuk in Sobibor erinnern, gibt es heute leider nicht mehr. Deshalb stützt sich der Fall Demjanjuk auf Indizienbeweise. Der 89-Jährige streitet ab, jemals Wachmann in Sobibor oder einem anderen Lager gewesen zu sein. Von besonderer Bedeutung für die Ermittlungen war daher sein Dienstausweis. Dieses Dokument wurde im Februar aus den USA nach Deutschland gebracht. Experten des bayerischen Landeskriminalamts bestätigten die Echtheit des Ausweises, US-Ermittler waren bereits in zwei anderen Gutachten zum selben Ergebnis gelangt. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft München den Haftbefehl.

Sobald Demjanjuk in Deutschland eintreffe, solle er als Beschuldigter vernommen werden, erklärte die Staatsanwaltschaft. Anschließend soll Anklage gegen den Mann erhoben werden, der am Tod von mehr als 29 000 Menschen mitschuldig sein soll. Es wäre nicht der erste Prozess gegen Demjanjuk. Ein Gericht in Israel hatte ihn 1988 zum Tode verurteilt. Überlebende hatten ihn als „Iwan den Schrecklichen“, einen berüchtigten Wachmann im Vernichtungslager Treblinka, identifiziert. Fünf Jahre später wurde das Todesurteil aufgehoben, als bekannt wurde, dass es sich um eine Verwechslung handelte. Demjanjuk war Wachmann im Dienste der SS, aber eben nicht in Treblinka.

Ob und wann Demjanjuk in Deutschland eintrifft, ist allerdings auch nach dem jüngsten Beschluss in den USA unklar. In Berlin rechnet man daher auch nicht damit, dass Demjanjuk bereits in den kommenden Tagen in München ankommt.

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