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Der Fall Uli Hoeneß: Widersprüche, Halbwahrheiten, Grauzonen

Der Ex-Bayern-Präsident ist längst verurteilt, doch es tauchen immer neue Ungereimtheiten auf. Hat das Gericht richtig entschieden?

Mitte März wurde der damalige Präsident von Bayern München, Uli Hoeneß, vom Landgericht München zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Seither gibt es immer neue Vorwürfe und Verdachtsmomente gegen Hoeneß – und etliche Hinweise darauf, dass er vor Gericht nicht die Wahrheit gesagt haben könnte. So enthüllte ein Schweizer Wirtschaftsmagazin jetzt, dass der 62-Jährige selbst viel aktiver bei seinen finanziellen Transaktionen war, als er vor Gericht zugab.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es über Hoeneß’ Finanzgebaren?

„Bilanz“, so heißt das Schweizer Wirtschaftsmagazin, bezeichnet Hoeneß als den über lange Zeit „berühmtesten deutschen Trader schlechthin“ am Börsenplatz Zürich. Zeitweise habe Hoeneß mit Sicherheiten von 200 Millionen Euro agieren können. Was die Summe von 155 Millionen Euro, die als vermeintlicher Spitzenwert aus den Bankunterlagen von Vontobel hervorgehen, unwahrscheinlich macht. Mit 200 Millionen Euro Sicherheiten im Rücken, also nur fiktivem Geld, müsse er, so das Blatt weit mehr Geld auf dem Konto gehabt haben. Zudem grübeln Schweizer Finanzexperten über die gleichartigen und gleichzeitigen Finanzgeschäfte nach, die Hoeneß sowohl bei Vontobel als auch offiziell versteuert bei der Münchner Reuschel-Bank tätigte. „Backuped Deals“ heißen solche Geschäfte, bei denen der Trader im Ausland auf Gewinn setzt, daheim aber auf Verluste. Er macht dadurch einen doppelten Gewinn: Der Gewinn im Ausland bleibt unversteuert, der Verlust im Inland wird steuerlich geltend gemacht. Dem Gericht waren am Ende des Prozesses diese merkwürdigen Geschäfte keine Rede oder gar Nachforschung mehr wert. Schweizer Rechtsanwälte hingegen sagen mit einiger Bestimmtheit, dass sich mit solcherart Geschäften hervorragend Geld waschen lasse, Korruption verschleiert werden könne und Scheingeschäfte getätigt werden könnten.

Wie hatte sich Hoeneß vor Gericht zu seinen Geschäften geäußert?

Es war gleich am ersten Verhandlungstag, als Richter Rupert Heindl den Angeklagten, der gerade in einer persönlichen Erklärung zugegeben hatte, dass er weit mehr als die 3,5 Millionen Euro aus der Anklageschrift hinterzogen habe, mächtig in die Mangel nahm. Erst ging es um Geschäfte mit Futures, dann um den Einfluss von Hoeneß auf die einzelnen Geschäfte. Hoeneß antwortete wie ein ertappter Schulbub, „von Futures verstehe ich nichts“, flüsterte er und die Schweizer Banker hätten ansonsten auf eigene Faust gehandelt. Was den Richter schon damals eher belustigte. „Sie können mit Ihrem Geld machen, was Sie wollen – aber ich kann das nicht nachvollziehen!“ Dass Hoeneß selbst keine Order erteilt haben wollte, glaubte ihm keiner.

„Bilanz“ schildert denn auch sehr detailliert, wie „Hochfrequenzkunde Hoeneß“, einer der wichtigsten Privatkunden der Schweizer Vontobel-Bank, an einem immer größeren Rad drehte, in Termingeschäften und mit Tagesdeals oftmals dreistellige Millionenbeträge einsetzte. Im Jahr 2003 erwirtschaftete Hoeneß auf den Vontobel-Konten 52 Millionen Euro Gewinn, 2005 bereits 78 Millionen Euro. Hoeneß sei beim Prinzip „Execution only“, das für jede Order einen persönlichen Kundenauftrag verlangt, geblieben. Er musste also, anders als er vor Gericht behauptete, am Telefon jede Order durchgeben, oft zehn Aufträge am Tag. 52000 Transaktionen waren es insgesamt.

Kann eine solche Falschaussage für ihn nachträglich juristische Folgen haben?

Da ist Hoeneß fein raus, das Verfahren ist abgeschlossen, die Falschaussage dürfte in die Überlegungen zur Höhe des Urteils eingeflossen sein. Und dass es eine Falschaussage war, wie „Bilanz“ nun darstellt, hat nie jemand bezweifelt. Das kommt ja öfter vor, dass es Angeklagte mit der Wahrheit nicht so genau nehmen und bei der Wahrheitsfindung nicht automatisch dienlich sind. Wegen Falschaussagen in einem Prozess können nur Zeugen und Sachverständige belangt werden, aber nicht die Angeklagten selbst.

Und es gibt noch weitere Ungereimtheiten

Welche weiteren Widersprüche und Ungereimtheiten gibt es im Fall Hoeneß?

Ist des denkbar, dass ein Mann einem anderen Mann, einem möglichen Geschäftspartner, mal eben 20 Millionen Mark rüberschiebt, ausdrücklich zum Zocken? Robert Louis-Dreyfus, damals Adidas-Chef, hatte Hoeneß einen Kredit von fünf Millionen Mark gewährt und für weitere 15 Millionen Mark gebürgt. Und ist es denkbar, dass der Beliehene daraus binnen weniger Jahre mindestens 155 Millionen Euro machen kann? Bankspezialisten sagen unumwunden: Nein. Für einen Einzelnen ist das Geschäft zu kompliziert, dafür bedarf es eines Teams, das täglich 24 Stunden beschäftigt ist, und keinen Mann, der nebenbei noch sehr erfolgreich einen großen Fußballklub managt. Und so, die Experten, die Gewinnmargen sind bei diesen Devisentermingeschäften viel zu gering für solche immensen Geldflüsse. Aber dieses Fachwissen interessierte das Gericht auch nicht mal am Rande. Aber Hoeneß war ja auch wegen Steuerhinterziehung angeklagt und nicht wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Korruption.

Gab es Einflussnahmen auf den Prozessverlauf?

Wäre Uli Hoeneß kein Prominenter, sondern ein der Öffentlichkeit nicht bekannter Steuerhinterzieher, so hat es Richter Heindl gesagt, dann wäre in den vier Tagen des Prozesses „exakt das Gleiche passiert“. Der renommierte Strafverteidiger Rainer Pohlen aus Mönchengladbach bezweifelt das massiv. „In 30 Jahren habe ich es noch nie erlebt, dass ein solch bedeutender Prozess so schnell und ohne jede Pause über die Bühne gebracht wurde“, sagte Pohlen dem Tagesspiegel. Für ihn ist nicht erklärbar, warum das Verfahren nicht unterbrochen wurde, um etwa die plötzlich aufgetauchten 70000 Seiten zu Hoeneß’ Schweizer Finanzspekulationen gründlicher zu sichten.

Auch erkennt Pohlen „keine Verteidigungsstrategie“ bei Hoeneß-Anwalt Hanns Feigen. So hatte dieser weder Beweis- noch Verfahrensanträge gestellt. „Dafür ist das Ergebnis großartig: Nur dreieinhalb Jahre Gefängnis für 28,5 Millionen Euro Steuerhinterziehung. Das muss man erst einmal schaffen.“ Ohne direkte oder auch indirekte Verabredungen, so lautet seine Spekulation, hätte der Prozess nicht auf diese Weise laufen können.

Merkwürdig mutet ebenso an, dass sich keiner der Beteiligten bemüht hatte, etwa Zeugen von der Schweizer Bank Vontobel zu hören – von denen aber zumindest einer offenbar zur Verfügung gestanden hätte, wie Schweizer Medien berichten. „All das sieht sehr nach Inszenierung aus“, sagt Rainer Pohlen.

Für „rechtlich völlig unvertretbar“ hält es der Experte, dass das Gericht bei horrenden 28,5 Millionen Euro keinen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung sieht, wie es die Anklage beantragt hat. Dann wäre Hoeneß wesentlich härter bestraft worden. Damit habe Richter Heindl die Staatsanwaltschaft „völlig desavouiert“. Dennoch verzichtete diese auf Revision. Alle, so scheint es, wirken recht froh darüber, dass der Prozess im Blitztempo wieder vom Tisch war.

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