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Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).

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Exklusiv

Der hessische Ministerpräsident im Interview: Bouffier: "Keine Seite kann sich eines Wahlsiegs sicher sein"

"Wir müssen transparent machen, nach welchen Regeln die befreundeten Nachrichtendienste arbeiten", sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im Tagesspiegel-Interview. Außerdem spricht er über Schwarz-Gelb in Hessen, Schnittmengen mit den Grünen und verhinderte Terroranschläge.

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Wenn Sie mal ein wirklich wichtiges Gespräch führen wollen, gehen Sie dann zum nächsten Münzfernsprecher?
Nein, das mache ich nicht. Wir unterhalten uns ganz normal auf den Kanälen, die wir bisher auch genutzt haben.

Ist die Aufregung über die Abhör-Vorwürfe gegen die USA also übertrieben?
Ich kann schon verstehen, dass viele besorgt sind. Es muss aufgeklärt werden, ob Regeln überschritten worden sind. Solange es Staaten gibt, gibt es Spionage. Daran wird sich auch nichts ändern. Denn Politik muss die bürgerlichen Freiheiten schützen, aber auch den Bürger vor Anschlägen bewahren. Ich war selbst lange Innenminister in Hessen und weiß: Dies ist nicht nur Theorie.

Können Sie das etwas genauer sagen?
Wir haben aus Überwachungsmaßnahmen rechtzeitig Hinweise bekommen, um Anschläge zu verhindern, und das nicht nur einmal. Die berühmte Sauerlandgruppe ist öffentlich bekannt.

Mithilfe der Amerikaner sind weitere Anschläge verhindert wurden?
Da bitte ich um Verständnis, dass ich nicht ganz konkret werden kann. Aber wir haben hier im Raum Frankfurt den größten Flughafen des Kontinents, ein internationales Finanzzentrum und eine einzigartige Hochhauskulisse. Daraus ergeben sich natürlich sicherheitsrelevante Fragen. Ich bin deshalb der Überzeugung: Ein Staat darf sich nicht künstlich blind machen.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verteidigt nach seinen Gesprächen in den USA das Spähprogramm „Prism“. Hat er recht?
Wenn dieses Programm so funktioniert, dass es in erster Linie Anschläge verhindert und damit Menschenleben rettet, so hat es seine Berechtigung. Eine ausufernde Datensammlung ohne Sinn und Zweck lehne ich dagegen ab.

Sind Sie zufrieden mit Friedrichs Reise?
Die Reise war richtig und wichtig und nach meiner ersten Einschätzung auch erfolgreich. Dass die Opposition jetzt mäkelt, war nicht anders zu erwarten, hat aber mit einer realistischen Einschätzung und echtem Interesse an Aufklärung nichts zu tun.

Trotzdem geht gerade viel Vertrauen in die Dienste verloren, wenn wir täglich von flächendeckender Abhörerei lesen. Lässt sich Vertrauen zurückgewinnen?
Wir müssen transparent machen, nach welchen Regeln die befreundeten Nachrichtendienste arbeiten. Da fehlt es bisher an einem einheitlichen Maßstab. Zuerst müssen wir dabei die Frage klären: Wie sollen in Europa diese Regeln aussehen? Denn selbst zwischen Frankreich, Großbritannien, Deutschland und anderen Staaten sind die Vorstellungen ja bisher sehr unterschiedlich. Aber ich glaube, wir brauchen eine gemeinsame europäische Position, um gestärkt in die Diskussion mit unseren amerikanischen Freunden gehen zu können.

Auf nationaler Ebene hat die CSU die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung noch mal eröffnet. Sehen Sie Bedarf für eine Neujustierung der Unionsposition?
Nein, das sehe ich nicht. Es gilt nach wie vor der Grundsatz: Freiheit und Sicherheit müssen beide gewährleistet sein. Im Moment liegt der Ball auf europäischer Ebene. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung wird auch für die politische Diskussion hierzulande entscheidend sein.

Sollte es bei den von der EU-Richtlinie vorgesehenen mindestens sechs Monaten Speicherfrist bleiben?
Ich bin kein Fanatiker in dieser Frage. Es ist nicht entscheidend, ob Kommunikationsdaten nun sechs Monate gespeichert werden sollen oder vielleicht bloß drei Monate lang. Ausschlaggebend ist die Grundsatzentscheidung, dass wir uns für die Vorratsdatenspeicherung als wichtige Möglichkeit entscheiden, die Kontakte von hochgradig Verdächtigen auch noch rückwirkend verfolgen zu können. Wenn es an der konkreten Ausgestaltung nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs noch Modifizierungen gibt, dann ist das für mich auch okay.

Von Europa noch mal vor ihre Haustür: Wissen Sie etwas von einem Neubau des US-Geheimdiensts NSA in Wiesbaden?
Nein. Davon wissen wir nichts. Es gibt viele Spekulationen, wie insgesamt bei dem Thema. Soweit es um inneramerikanische Einrichtungen geht, sind wir aber nicht beteiligt.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Volker Bouffier den Bundestagswahlkampf beurteilt

Müssen Sie nicht davon ausgehen, dass dieses Thema den Wahlkampf prägen wird?
Nein, ich glaube nicht. Die Themen sind klar: Es geht um die unterschiedlichen Positionen in der Bildungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik.

In Hessen wird parallel zum Bund gewählt. Ist die stolze hessische CDU auf den Windschatten der Kanzlerin angewiesen?
Wissen Sie, die Zusammenlegung der Wahltermine hat ursprünglich die hessische Opposition gefordert, auch aus Kostengründen. Jetzt wirft uns die gleiche Opposition ihren eigenen Wunschtermin vor. Nein, wir haben eine eigene Stärke: 57 Prozent der Hessen sind laut neuesten Umfragen mit der Arbeit meiner Regierung zufrieden. Darauf lässt sich aufbauen. Aber wir sind natürlich nicht traurig über Unterstützung aus dem Bund. Und das hohe Ansehen der Kanzlerin schadet uns sicher auch nicht.

Was macht die SPD richtig, dass sie in Ihrem Land besser dasteht als im Bund?
In einem Stammland der Sozialdemokraten finde ich 27 bis 30 Prozent, je nach Umfrage, nicht wirklich berauschend. Die SPD ist hier auf so niedrigem Niveau wie noch nie, wenn man die Phase nach Andrea Ypsilanti von 2009 mal außen vor lässt.

Für Schwarz-Gelb wird es trotzdem eng. Sie liegen weiter knapp hinter Rot-Grün.
Die CDU wird mit großer Sicherheit und weitem Abstand stärkste Partei werden. Richtig ist auch, dass Schwarz-Gelb in den vergangenen Monaten gut zehn Prozentpunkte aufgeholt hat. Der Trend geht in die richtige Richtung. Aber es stimmt, das Ergebnis insgesamt wird knapp, weshalb sich alle anstrengen müssen. Keine Seite kann sich eines Wahlsiegs automatisch sicher sein.

Ihr Bekenntnis zur FDP als künftigem Partner steht unverrückbar?
Wir haben eine CDU/FDP-Regierung, genau wie im Bund. Und ich will diese Koalition fortsetzen. Aber natürlich werbe ich überall in Hessen dafür, Erst- und Zweitstimme der CDU zu geben, damit wir so stark werden, wie es nur irgend geht.
In Hessen ist das Wort „Ausschließeritis“ geprägt worden. Würden Sie andere Bündnisse als eines mit der FDP ausschließen?
Die Frage wird sich nicht stellen. Wir werden eine Situation erleben, in der CDU und FDP vorne liegen, und dann werden wir diese Koalition fortsetzen. Kommt es anders, dann wird es Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün. Ich sehe keinen Anlass für andere Spekulationen.

Sie würden es ohne Gegenwehr zulassen, dass Hessen rot-rot-grün regiert würde?
Rot-Rot-Grün wäre für dieses Land ein programmierter Absturz in alle Richtungen. Deshalb würde ich natürlich nicht nur davor warnen, sondern auch etwas dagegen tun. Klar ist schließlich: Ein Bündnis gegen die stärkste Kraft im Parlament ist immer schwierig. Daraus ergeben sich dann Schlussfolgerungen. Fakt ist, dass wir in Frankfurt gut mit den Grünen zusammenarbeiten. Auf Landesebene sieht es anders aus, da sind die Wege viel weiter.

Fragen wir mal umgekehrt: Wo lägen denn inhaltliche Schnittpunkte mit den Grünen?
Die SPD will immer nur Einheitslösungen. Eine Einheitszwangsversicherung, die sie Bürgerversicherung nennen, Einheitsregelungen für den Wohnungsmarkt und Einheitsschulen. Auch beim Thema Gymnasium ist die SPD unbeweglich. Wir als CDU und FDP lassen den Gymnasien die Wahl, ob sie neun Schuljahre anbieten oder acht Jahre. Da haben die Grünen zugestimmt. Das zeigt: In einer so wichtigen Frage wie der Bildungspolitik haben sich die Grünen fortentwickelt und aus meiner Sicht eine bedeutend intelligentere und bürgerfreundlichere Position als die Sozialdemokraten. Ich will aber keinen Zweifel lassen: Die größten Schnittmengen gibt es mit der FDP

Das heißt, bei einem der entscheidenden landespolitischen Themen hätten Sie mit den Grünen gar kein Problem?
In dieser Frage sicher. Beim Thema Flughafenausbau sieht es völlig anders aus. Und ich würde keinen Zweifel daran lassen, dass dieses Land von seiner Infrastruktur, seiner Internationalität lebt.

Könnten Sie sich vorstellen, dass in einer ähnlichen Situation Angela Merkel im Bund auf die Grünen zugehen könnte?
Wenn Sie mich als stellvertretenden Vorsitzenden der Bundespartei fragen, dann habe ich da eine klare Position: Mit einer Politik, wie sie Herr Trittin und die anderen Grünen im Bund beschlossen haben, kann man nicht zusammengehen. Deshalb wird sich das Thema auf Bundesebene auch nicht stellen. Aber das sind derzeit alles noch Spielereien. Jetzt geht es darum, möglichst viele Bürger davon zu überzeugen, dass die Union die richtige politische Alternative ist. Je stärker wir werden, umso mehr können wir auch unsere politische Vorstellung umsetzen. Das wird auch das Maß für den jeweiligen Partner sein.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Christian Tretbar.

Volker Bouffier wurde am 18. Dezember 1951 in Gießen geboren. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Seit 1978 ist er Mitglied im Landesvorstand. Nur war er die meiste Zeit Nummer zwei – hinter Roland Koch. Als dieser 2010 seine Ämter aufgab, rückte Bouffier nach: Er wurde Ministerpräsident, Landesvorsitzender und Bundesvize. Davor war er elf Jahre hessischer Innenminister.

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