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Bessere Zeiten: König Abdullah II mit seiner Frau Rania 2009 beim 10. Thronjubiläum.

© PICTURE-ALLIANCE/ DPA

Trügerische Stabilität in Jordanien: Der offene Streit in der Königsfamilie ist ein Alarmsignal

Die innenpolitischen Spannungen sind stark - dabei will Jordanien am Wochenende feiern: 100 Jahre eines eigentlich lebensunfähigen Staates. Eine Analyse.

So hatte sich wohl kein Zeremonienmeister das Jubiläum vorgestellt: Pünktlich zum Auftakt der Feierlichkeiten zu 100 Jahren Existenz eines eigenständigen Gebildes auf dem Territorium des heutigen Jordaniens, haben sich König Abdallah II. und sein Halbbruder Hamza öffentlich bekriegt, von Putsch ist die Rede und mehrere hochrangige Personen wurden festgenommen.

Das Video, das der 41jährige Hamza diese Woche über eine Satellitenverbindung aus seinem Palast in Amman der britischen BBC zuspielte, ist dramatisch: Er stehe mitsamt seinen kleinen Kindern unter Hausarrest, dürfe nicht twittern oder kommunizieren, seine Sicherheitsleute seien abgezogen. Doch nicht er sei verantwortlich „für den Zusammenbruch der Governance, die Korruption, die Inkompetenz, sie seit 15 , 20 Jahren jedes Jahr schlimmer wird.“ Wofür er unmissverständlich seinen Halbbruder, König Abdallah verantwortlich macht, der seit 1999 an der Macht ist und ihn 2004 als Kronprinz absetzte.

Ein derartiger öffentlicher Schlagabtausch und das massive Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen ein Mitglied der Königsfamilie sind absolut einmalig in der jüngeren Geschichte Jordaniens, das vom Westen wegen seiner Stabilität in einer politisch äußerst instabilen Region geliebt und gepampert wird.

Bei innenpolitischen Spannungen schaut der Westen gerne weg

Doch pünktlich zum 11. April, der einmalig zum Feiertag ausgerufen wurde, sind die innenpolitische Spannungen durch diesen Bruderzwist öffentlich geworden. Dies erinnert auch den Westen daran, das vermeintliche Ruhe nicht immer mit Stabilität zu verwechseln ist – eine Lektion, die der Westen nach den Aufständen und Revolutionen im sogenannten Arabischen Frühling nach eigenen Aussagen eigentlich gelernt hatte.

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Und in Jordanien, das immer als besonders West-affines Musterländle gepriesen wird, wachsen Wirtschaftskrise und Korruption und werden mit stärkerer geheimdienstlicher Überwachung und Einschränkung der Meinungsfreiheit beantwortet. Aber da schaut der Westen doch lieber wieder nicht hin.

Hier scheint die Welt noch in Ordnung: Bei der Hochzeit von Prinz Hamza mit Basma 2012: König Abdallah II. mit seiner Frau Rania und Hamzas Mutter, Königin Nour (re.)

© YOUSEF ALLAN / dpa

Dabei hat Jordanien eigentlich allen Grund zum Feiern. Denn niemand hätte 1921 darauf gewettet, dass dieses merkwürdige geographische Gebilde von Großbritanniens Gnaden lange überlebt. Zu künstlich die von den Protektoratsmächten gezogenen Grenzen – der kuriose Zacken in der Grenze zu Saudi-Arabien wird anekdotisch mit einem Schluckauf des britischen Premiers Churchill erklärt, als er gerade die Linie mit dem Lineal zog.

Dazu Grenzen mit Israel und Palästinensergebieten, Libanon, Syrien, Irak und Saudi-Arabien. Kein Wasser, keine Bodenschätze, fast nur Wüste. Dafür Putsche in den Nachbarländern, die Gründung Israels, die zur Flucht und Vertreibung hunderttausender Palästinenser auf die andere Seite des Jordan führte. 1967 eroberte Israel die von Jordanien administrierte Westbank, weitere 400.000 palästinensische Flüchtlinge kamen und auch die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die sich als Staat im Staate gerierte – was 1970/71im Bürgerkrieg, dem sogenannten Schwarzen September, mündete. Doch das Identitätsproblem Jordaniens war damit nicht gelöst.

Das Land muss jede Gelegenheit zur identitären Selbstvergewisserung ergreifen

So ist verständlich, dass Jordanien jede Gelegenheit zum Feiern und zur Selbstvergewisserung seiner nationalen Identität ergreift – auch wenn der 11. April 1921 zunächst nur die Einsetzung eine Konsultativrates für das britische Mandatsgebiet Transjordanien war – er wird als erste „arabische“ Regierung unter dem Emir Abdullah gefeiert. Amman war ein verschlafenes Dorf, Abdullah musste trotz der noblen Abstammung vom Propheten Mohammed zunächst im Bahnhofsgebäude residieren – dem repräsentativsten Bau vor Ort. Am 15. Mai 1923 wurde das Emirat Transjordanien von den Briten als unabhängig anerkannt. 1946 folgte dann die staatliche Unabhängigkeit des Haschemitischen Königreichs Jordanien.

Ab 1952 (bis 1999) prägte der „kleine“ König Hussein das Land, der den Spagat zwischen der Stammeskultur und dem Westen relativ gut hinbekam. Er legte die Grundlagen für eine moderne jordanische Gesellschaft und eine Demokratisierung durch Inklusion: Die Nationale Charta von 1989 garantiert Presse- und Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Oppositionsparteien und Gewerkschaften

Jordanien galt als Musterländle im Orient

Und so galt Jordanien zu Recht als westliches Musterländle im Orient. Und der Deal seither lautet: Der Westen gibt Geld und Waffen – dafür vermittelt Jordanien in der Region und nimmt Flüchtlinge aller Kriege aus Nachbarländern auf: Palästinenser, Iraker und seit Jahren auch Hunderttausende Syrer. Eine wirklich bewundernswerte Meisterleistung dieses kleinen Staates. Und er sorgt für Ruhe an Israels Ostgrenze.

Dieser Deal mit dem Westen funktioniert weiter. Aber in Jordanien selbst brodelt es innenpolitisch: Die Jugend leidet unter Massenarbeitslosigkeit, fühlt sich ausgeschlossen vom politischen Prozess, die Korruption nimmt stetig zu. Der Lockdown in der Corona-Pandemie war einer der härtesten weltweit. Politische Reformen stagnieren, die Meinungsfreiheit wird massiv eingeschränkt: Seit 2013 wurden hunderte Webseiten gesperrt, Journalisten werden inhaftiert, das vage Anti-Terrorgesetz wird gegen Journalisten angewandt, die eng vom Geheimdienst überwacht werden und immer öfter wird Berichterstattung zu bestimmten Themen einfach verboten.

König Abdallahs Arabisch wurde anfangs kritisch beäugt

König Abdallah hatte es von Anfang an schwer, in die Fußstapfen seines charismatischen Vaters zu treten: Er sprach nur schlechtes Arabisch und die gesamte Nation verfolgte anfangs ängstlich oder lästernd die Fortschritte ihres Herrschers in der Landessprache. Es war offensichtlich, dass er sich in westlichen Zirkeln heimisch fühlte – mit den wichtigen Stämmen konnte er nie die gleiche Beziehung aufbauen wie sein Vater. Seine Heirat mit der Palästinenser Rania wurde zwar als politisch glückliche Alliance analysiert, kam aber nicht überall gut an.

Prinz Hamza und seine zweite Ehefrau, die Pilotin Prinzessin Basma, bei einem Sportevent im Wadi Rum.

© KHALIL MAZRAAWI/ AFP

Und hier kommt Hamza, der älteste Sohn aus der vierten Ehe König Husseins ins Spiel: Hamza war der Lieblingssohn König Husseins, den er „meine Augenweide“ nannte. Dieser war aber noch zu jung als Nachfolger und so wurde er auf Wunsch seines Vaters „nur“ Kronprinz unter seinem Halbbruder Abdallah. Bis der ihm 2004 den Titel entzog – zugunsten seines eigenen Sohnes. Hamza gilt als fromm und bescheiden und hat einen sehr guten Draht zu den Stämmen. Ob ihm dabei hilft, dass er seinem noch immer verehrten Vater Hussein wie aus dem Gesicht geschnitten ist?

Am Ende vermittelte der Onkel: Hamza schwor Loyalität

Jedenfalls hat Hamza ein offenes Ohr für die Nöte und auch die politischen Reform-Forderungen im Land, sympathisiert offen mit ihnen – seine Kritik im Video an den Zuständen spricht wohl vielen Jordaniern aus dem Herzen. Und wenn er wieder anknüpfen will an die Vorbildfunktion, die Jordanien in der Region lange hatte, dann macht er unmissverständlich klar, dass er die Arbeit seines Vaters besser fortsetzen könne. Das ist gefährlich für Abdallah, der die Krise dank der Vermittlung des gemeinsamen Onkels Hassan noch einmal beilegen konnte: Hamza bekannte seine Loyalität gegenüber dem Monarchen.

Es ist verständlich, dass die USA, der Westen und die Regime in der Region rasch König Abdallah ihre Solidarität aussprachen (nur Israels Premier Benjamin Netanjahu schwieg) – Jordanien muss ruhig bleiben. Aber seit dem Arabischen Frühling weißt der Westen eigentlich, dass Ruhe nicht mit politischer Stabilität zu verwechseln ist.

Der ungewöhnliche öffentliche Streit im Königshaus hat die innenpolitischen Spannungen im Lande weltweit sichtbar gemacht. Hinter den Kulissen muss daher die viele Wirtschaftshilfe mit Forderungen verbunden werden, die 2011/12 angestoßenen politischen Reformen wie Dezentralisierung oder proportionelles Wahlrecht für die Parlamentswahlen fortzusetzen und wirtschaftliche Verbesserungen zu schaffen. Die jungen Jordanier könnten ihren „Arabischen Frühling“ sonst eines Tages nachholen.

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