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Im BLICK: Der segelnde Anachronismus

Schon bei ihrer Indienststellung 1958 passte die Gorch Fock nicht mehr in die Zeit. Die Ära der Großsegler war längst vorüber.

Schon bei ihrer Indienststellung 1958 passte die Gorch Fock nicht mehr in die Zeit. Die Ära der Großsegler war längst vorüber. Und selbst dem früheren Leistungsideal hätte nicht entsprochen, von bis zu 220 Männern eine knochenharte Arbeit ausführen zu lassen, für die man auf einem Frachtsegler wie der Rickmer Rickmers 22 brauchte. Aber genau deshalb sollte es die Gorch Fock geben. Als Segelschulschiff. Sie war von jeher ein positiver Anachronismus, stand mehr für Graf Luckner als für Tirpitz. Sie sollte nicht Kriege gewinnen, sondern etwas anderes. Nämlich die Köpfe künftiger Offiziere und Befehlshaber, und die Herzen der Länder, die sie bereiste. Obwohl jeder Marinesoldat, der hier ausgebildet wird, in seiner späteren Laufbahn nicht mehr wissen muss, wie ein Rahsegel aufgetucht und festgezurrt wird, prägen die Monate an Bord dieses Schiffes einen Menschen fürs Leben.

Dabei kann es furchtbar sein in der Enge unter Deck; es ist erniedrigend, angeschrien zu werden und nicht zu wissen, wo der eigene Platz ist in der durch die Ausbildungssituation durcheinandergewirbelten Hierarchie. Und jeder, der Offizier in der Marine werden will, muss da durch. Klagen über zu harte Maßnahmen oder Sicherheitsmängel hat es deshalb immer gegeben. Nach dem Todessturz der Kadettin Sarah Seele Anfang November in Salvador de Bahia haben die Vorwürfe zur vorläufigen Absetzung des Kommandanten Norbert Schatz geführt. Das ist eine neue Qualität. Schatz hatte zuvor bemängelt, dass sein Schiff nicht mehr genügend für die Arbeit in der Takelage geeignetes Personal bekomme. Lässt sich das Ausbildungskonzept des Traditionsseglers mit der körperlichen Robustheit der iGeneration nicht mehr vereinbaren? Dann gehörte die Gorch Fock abgeschafft.

Die Marine war stets besonders stolz auf ihre Menschenführung, darauf, den Übergang vom Zivilisten zum Soldaten durch seine Einbindung in den Teamgeist an Bord ausgesprochen elegant hinzukriegen. Aber es mehren sich die Zeichen, dass das eine Illusion ist. Die Gorch Fock hat kein Nachwuchsproblem. Der Ruf nach Härte, wie er den vom Tod ihrer Kameradin erschütterten Kadetten auf der Gorch Fock jetzt so unangemessen erschien, er wird von einer Offiziersgeneration erhoben, die diese Härte weder selbst authentisch verkörpern, noch ihr irgendeinen Sinn geben kann. Das ist der Kern des aktuellen Problems. Bessere Dienstvorschriften werden es nicht beheben. Man kann junge Menschen nur an ihre Grenzen führen, wenn man sie nicht entwürdigt und ihnen den Rückweg zeigt.

So steht der Gorch-Fock-Fall für eine gefährliche mentale Aufrüstung. Bislang blieb die Marine weitgehend verschont von den Gewaltkonflikten, in die andere Truppenteile der Bundeswehr geschickt werden. Doch das Bedürfnis ist greifbar, auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Und wie der Atalanta-Einsatz im Golf von Aden zeigt, wo eine dänische Fregatte am Mittwoch in die bewaffnete Auseinandersetzungen um ein von Piraten gekapertes Schiff der Bremer Beluga-Reederei hineingezogen wurde, kann es schneller dazu kommen als man denkt. Dann bedarf es Offizieren, auf die man sich verlassen kann. Dafür bräuchten sie Vorbilder, nicht Antreiber mit Durchhalteparolen.

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