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Politik: Der stumme Papst

Weil Johannes Paul II. zu schwach ist, werden erstmals die Kurienkardinäle die Ostergottesdienste halten

Man kann beinahe die Uhr danach stellen. Eine Minute nur zeigt sich der Papst den Gläubigen. Danach – wie am Mittwochmittag – schieben ihn unsichtbare Helfer vom Fenster weg. Oder die Videoübertragung, gesteuert von der vatikanischen Regie, bricht ab, wenn der abgemagerte Papst vor Schmerz die Hände vor das Gesicht legt. Kardinäle behaupten, „privat“ rede Johannes Paul II. kräftig und verständlich. Öffentlich hat er seit zehn Tagen nicht mehr gesprochen.

Als Gerücht kursiert, dass Johannes Paul II. die zur Infektionsvermeidung hoch dosierten Antibiotika nicht verträgt, dass er mit der Kanüle nicht zurechtkommt, über die er seit dem Luftröhrenschnitt am 24. Februar atmet, dass seine parkinsonbedingten Schluckbeschwerden stark zugenommen haben und er praktisch nichts mehr essen kann. Erklärungen wie „seine Genesung macht nicht die erwarteten Fortschritte“ und Alarmmeldungen wie „betet für ihn, ihm gehts immer schlechter“ wechseln sich derart rasch ab, dass sogar die Vatikanberichterstatter vom „Corriere della Sera“ nicht mehr wissen, was sie nun glauben sollen.

Mit der regulären Generalaudienz hatte für Mittwoch niemand gerechnet; dann erschien der Papst kurz am Fenster seines Arbeitszimmers: das Gesicht verzerrt, mit der rechten, verbundenen Hand die Gläubigen segnend, stumm. Auch ist klar, dass sich seine Präsenz bei den anstehenden großen Kar- und Ostergottesdiensten höchstens auf kurze Video-Einblendungen beschränken wird. Römische Journalisten, die Johannes Paul II. in den über 26 Jahren seiner Amtszeit aus der Nähe begleiteten, befürchten, dass während der religiös hoch aufgeladenen Tage allein die „Haft“ im Krankenzimmer für diesen „Öffentlichkeitspapst von Anfang an“ eine zu große Belastung sein könnte. Schon nach dem stummen Palmsonntags-Segen hat er voll Ärger mit der Faust auf das Lesepult geschlagen, als seine Mitarbeiter ihn vom Fenster wegzogen.

So treten zur Leitung der Hauptgottesdienste des Jahres die ranghöchsten Kurienkardinäle an. Der „Personalchef“ der katholischen Kirche, Giovanni Battista Re, beginnt am Gründonnerstag. Bei der Kreuzesliturgie am Karfreitag folgt James Francis Stafford. Kardinal Joseph Ratzinger, der Leiter der Glaubensbehörde, zelebriert am Samstagabend die Feier der Osternacht, und Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano feiert die Ostermesse am Sonntag auf dem Petersplatz.

Formal ist offen, wer den traditionellen Kreuzweg am Karfreitag beim Kolosseum leitet. Aber dass sich Johannes Paul II., wie in früheren Jahren, unter ein zugiges Zeltdach setzt, glaubt niemand. Bleibt nur noch „Urbi et Orbi“, der Segen „für die Stadt und den Erdkreis“ am Ostersonntag. Der Vatikan hält daran fest, dass der Papst ihn selbst erteilen wird. Noch an Weihnachten hatte sich Johannes Paul II. durch Glückwünsche in über sechzig Sprachen gequält. Diesmal hoffen die Römer, dass er überhaupt sprechen möge.

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