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Politik: Der Tod wird sichtbar

Erstmals zeigen US-Medien Särge der im Irak gefallenen Soldaten

Was gibt dem Menschen seine Würde? Er kann sprechen und die Zukunft planen, Dinge um ihrer selbst willen tun und Werte befolgen. Außerdem bestattet er seine Toten. Das kennzeichnet seine Humanität. Beim Militär wird das Bestattungsritual besonders ernst genommen. In den USA ist exakt vorgeschrieben, was zu geschehen hat, wenn ein Soldat stirbt – wie der Sarg drapiert wird, wer ihn trägt, wer salutiert. Nur sehen durfte man das bislang nicht. Im März 2003, kurz vor Beginn des Irakkrieges, verbot das Pentagon jede öffentliche Abbildung von Särgen, die überführt werden und auf dem Luftwaffenstützpunkt Dover im Bundesstaat Delaware ankommen. Die Medien hielten sich daran.

Nun wurde dieses Tabu gebrochen. Entsprechend dick ist die Luft im Pentagon. Am Donnerstag beherrschte das Thema die Abendnachrichten der großen TV-Sender ABC und NBC. Am Freitag druckten die „Washington Post“ und die „New York Times“ Sargbilder auf ihrer ersten Seite. Das ist ein Novum. Bislang waren den Amerikanern solche Szenen erspart worden. Der Krieg war in gewisser Weise aseptisch präsentiert worden. Die „eingebetteten Journalisten“ an der Front erzählten von Widrigkeiten, Heldentum und Opferbereitschaft. Der Tot blieb ohne Anschauung. Sein striktes Verbot des Zeigens solcher Szenen begründete das US-Verteidigungsministerium mit dem Schutz der Privatsphäre der Gefallenen.

Den Anfang hatte am vergangenen Sonntag die „Seattle Times“ gemacht. Sie veröffentlichte ein Privatfoto, auf dem zwanzig Särge in einem Militärfrachtflugzeug zu sehen sind, jeder davon eingehüllt in die US-Fahne. Aufgenommen worden war das Bild Anfang April in Kuwait, kurz bevor das Flugzeug in Richtung Heimat startete. Die Fotografin ist eine 50-jährige Frau namens Tami Silicio. Sie und ihr Mann William Silva arbeiteten bei der Firma „Maytag Aircraft“. Deren Job war es, die Särge in die Flugzeuge zu verladen. Mit der Aufnahme habe sie den Eltern der Getöteten zeigen wollen, „dass ihre Kinder nicht wie Frachtgut“ behandelt würden, sagt Frau Silicio. Anfang der Woche wurde das Ehepaar entlassen. Mit den Fotos habe es bestimmte Regeln verletzt, hieß es.

Fast zeitgleich indes tauchten 361 ähnliche Fotos im Internet auf. Ein Einzelkämpfer, Russ Kick, hatte deren Freigabe erwirkt und die Bilder auf seine Web-Seite www.thememoryhole.org gestellt. Was war passiert? Unter Berufung auf den „Freedom of Information Act“ hatte Kick im vergangenen Jahr eine Freigabe der Fotos beantragt. Beim Luftwaffenstützpunkt in Dover empfahl man die Ablehnung des Antrags. Die Kommandozentrale auf der Luftwaffenbasis in Illinois jedoch autorisierte die Veröffentlichung des Materials. Seitdem kursieren die Bilder im Internet. Allerdings zeigen nicht alle Bilder die Särge getöteter US-Soldaten. Wie die US-Raumfahrtbehörde Nasa am Freitag bekanntgab, sind auf einigen der Fotos die Särge der sieben Opfer des Columbia-Absturzes zu sehen.

Mit der Veröffentlichung der Bilder der Toten aus dem Irak triumphiert die Realität über jene, die sie für unzumutbar halten. Für das Pentagon ist die Geschichte kaum minder peinlich als für die US-Medien. Warum sind sie nicht selbst auf die Idee gekommen, eine Freigabe der Bilder zu beantragen? Wir wussten nicht, dass es solche Bilder gab, lautet die Erklärung. Jane Bright aus Kalifornien ist eine Mutter, die weiß, wovon sie spricht. „Wir müssen aufhören, den Tod unserer Kinder zu verstecken“, sagt sie. Im vergangenen Jahr hat sie im Irak einen Sohn verloren.

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