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Politik: Der unbekannte Feind

Die US-Militärs räumen ein, den Irak unterschätzt zu haben. Hunderttausend zusätzliche Soldaten sollen nun die Entscheidung bringen

Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Diese Weisheit über das menschliche Leben bestätigt sich besonders in Ausnahmesituationen. Krieg ist eine solche. Wurde je ein Krieg geführt, der nach Plan lief? Die oberste Regel jeder klugen Strategie lautet daher: Plane sorgfältig, aber sei auf Überraschungen gefasst! Am Ende gewinnt jene Armee, die am mobilsten ist, taktisch am flexibelsten und am schnellsten in der Lage, auf neue Situationen zu reagieren.

Neun Tage dauert der Irak-Krieg nun. Das ist nicht viel. Überwogen hat in dieser Zeit das Unvorhergesehene. Ein fürchterlicher Sandsturm behinderte den Vormarsch der amerikanisch-britischen Truppen, Guerilla-Einheiten greifen Nachschubrouten an, Paramilitärs leisten aus Städten heraus heftigen Widerstand, nur wenige Iraker jubeln über die Invasoren. Es gibt viele Tote und Verletzte, zivile Opfer und die humanitäre Lage spitzt sich vielerorts zu. Kein Zweifel: Amerika hat sich verkalkuliert.

Der erste, der dies offiziell eingeräumt hat, ist William Wallace. Der General, der normalerweise in Deutschland stationiert ist, befehligt zwei Divisionen, die „3rd Infantry“ und die „101st Airborne“. Für seine klare, direkte Sprache wird er geschätzt. „Der Gegner, den wir bekämpfen“, sagte Wallace am Donnerstagabend, „ist ein anderer als der, mit dem wir in unseren Kriegsszenarien gerechnet hatten.“ Auf die Frage, ob der Krieg länger dauern würde, als prophezeit worden war, antwortete Wallace: „Es beginnt, danach auszusehen.“ Das spürt wohl jeder, der den Kriegsverlauf verfolgt. Laut „Wall Street Journal“ ist in Amerika der Verkauf von Antidepressiva in der vergangenen Woche um 20 Prozent gestiegen.

Wie lautet nun die richtige Strategie? Vor dieser Frage stehen die US-Planer jetzt. Das Kosten-Nutzen-Kalkül ist kompliziert. Weg Nummer eins wäre die Befreiung des Iraks von innen heraus. Das heißt: Weiter schnell nach Bagdad vordringen, die Verteidigungsringe der Republikanischen Garden durchbrechen, ins Zentrum vordringen, Saddam Hussein stürzen und dessen Kommandozentrum ausschalten. Dadurch würden die Fedajin, Paramilitärs und die regulären Einheiten führungslos, die Schiiten im Süden des Landes könnten sich erheben. Unterstützt würden sie von britischen und amerikanischen Soldaten. Weg Nummer eins heißt: Konzentration auf Saddam Hussein. Erst wenn die Führung des Landes besiegt wurde, lässt sich der Widerstand brechen.

Weg Nummer zwei wäre die Befreiung des Iraks von außen. Diese Strategie nimmt derzeit an Wahrscheinlichkeit zu. Der Marsch auf Bagdad wird suspendiert, stattdessen wird jede Stadt einzeln erobert. Dadurch können die Nachschubwege besser gesichert und die Menschen effektiver versorgt werden. Außerdem würde Zeit gewonnen, um die Truppe aufzustocken. Bis Ende April sollen bis zu 100 000 weitere US-Soldaten, darunter die 4. Infanterie-Division aus Texas, im Irak eingetroffen sein. Sie gilt als die „tödlichste“ des US-Heeres, ausgerüstet mit schwerem Gerät und modernster Technologie. Ursprünglich sollte sie über die Türkei einrollen. Doch der Nato-Verbündete wollte sein Aufmarschgebiet nicht zur Verfügung stellen – so fehlte bisher die Nordfront.

Die US-Strategen haben sich geirrt. Sie haben die Kampfbereitschaft der Fedajin unter- und die Bereitschaft der Schiiten zum Aufstand überschätzt. Sie haben damit gerechnet, dass Saddam Hussein die Infrastruktur des Landes zerstört, Brücken sprengt und ein humanitäres Debakel anrichtet, um die alliierten Einheiten von ihrem Vormarsch abzulenken. Stattdessen lässt er die Infrastruktur bislang intakt und setzt voll auf städtische Partisanengefechte. Tiefen Eindruck hat in der arabischen Welt hinterlassen, wie schmählich die Amerikaner aus Somalia abzogen, nachdem sie durch Straßenkämpfe in Mogadischu demoralisiert worden waren.

Es gibt den dritten Weg wahrscheinlich nicht. Experten rechnen eher damit, dass die künftige, veränderte Strategie eine Kombination aus erstem und zweitem Weg sein wird. Man müsse sich auf einen „multi-front war“ einstellen. Für die Wahrnehmung des Krieges heißt das nichts Gutes. Je länger Saddam an der Macht bleibt und sich gegen die US-Übermacht behauptet, desto größere Bewunderung zollen ihm viele Araber.

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