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Sozialistischer Nationalist. Hugo Chávez hüllt sich nach dem Wahlsieg in die Fahne Venezuelas.

© Reuters

Venezuela: Der Volkstribun macht weiter

Hugo Chávez hat die Präsidentenwahl gewonnen. Den Armen verspricht er einmal mehr die Revolution. Aber sein Charisma verblasst. Der bürgerliche Wahlverlierer Henrique Capriles will nun an der Spitze der Opposition für die "andere Option" kämpfen.

Kaum hatte die Präsidentin des Wahlrats am Sonntag um 22 Uhr Ortszeit das Ergebnis der Präsidentschaftswahl verkündet, begann das Feuerwerk in den Hügeln der Armenviertel von Caracas. Mit einem klaren Vorsprung von 54 Prozent bleibt der seit 14 Jahren regierende Sozialist Hugo Chávez weitere sechs Jahre im Amt, sieht sich allerdings einer gestärkten Opposition gegenüber. Sein Herausforderer, der Anwalt Henrique Capriles, der für die bürgerliche Opposition antrat, erhielt knapp 45 Prozent der Stimmen, während Chávez im Vergleich zu 2006 fast zehn Prozentpunkte verlor. Sein Wahlziel von zehn Millionen Stimmen verpasste er mit 7,4 Millionen Stimmen deutlich. Chávez ist seit 1999 im Amt und darf nach einer Verfassungsänderung von 2009 unbegrenzt häufig als Kandidat zur Wahl antreten. Während des Wahlkampfes hat er mehrmals gesagt, dass er mindestens bis 2030 im Amt bleiben wolle. Die Armut und die Arbeitslosigkeit wolle er bis 2019 komplett ausradieren, hatte er versprochen. „Es lebe Christus, es lebe die Revolution und es lebe Venezuela“, jubelte Chavez vom Balkon des Präsidentenpalasts, nachdem er minutenlang siegestrunken mit seinen Anhängern patriotische Lieder gesungen hatte.

Der Wahltag war weitgehend ruhig verlaufen, schon in den frühen Morgenstunden gab es lange Schlange vor den Wahllokalen. Die Wahlbeteiligung erreichte einen Rekord von über 80 Prozent.

Capriles beglückwünschte kurz nach Bekanntwerden der offiziellen Resultate den Amtsinhaber und bedankte sich bei seinen über sechs Millionen Wählern. Sie hätten nicht verloren, sondern den Grundstein gelegt für eine andere Option. Er sei stolz und werde sich weiterhin an der Spitze der Opposition für seine Überzeugungen starkmachen. „Fast die Hälfte des Landes ist nicht einverstanden mit dieser Politik“, betonte der 40-jährige Anwalt. Chávez feierte kurz vor Mitternacht und sprach vom Balkon des Präsidentenpalastes zu zehntausenden begeisterter Anhänger. „Dies ist ein Sieg der Völker Lateinamerikas“, sagte der 58-Jährige unter Anspielung auf seine sozialistische, antiamerikanische Bündnispolitik in der Region. Er bemühe sich, jeden Tag noch besser zu werden, gelobte er triumphierend, aber mit deutlichen Zeichen der Erschöpfung. Angriffe auf die Opposition blieben ebenso aus wie konkrete Ankündigungen.

Trotz des deutlichen Vorsprungs stehen Chávez keine einfachen Jahre bevor. Der Präsident hat verkündet, er wolle den Sozialismus vertiefen. So will er die Volksräte stärken, andere Instanzen wie Bürgermeister und Gouverneure – derzeit eine wichtige Bastion der Opposition – sollen mittelfristig entmachtet werden. Das Parlament spielt seit langem kaum noch eine Rolle, da der Präsident per Dekret regieren kann und den Großteil der Staatseinnahmen am ordentlichen Haushalt vorbeidirigiert in Sonderfonds, die keiner Kontrolle unterliegen. Während des Wahlkampfes gelobte Chávez zwar Besserung, besonders bei Themen wie Ineffizienz, Korruption und Misswirtschaft. In seiner Siegesansprache war davon jedoch keine Rede mehr.

Die Wahl hat die Polarisierung des Erdölstaates in zwei Lager konsolidiert, doch während der Rückhalt für Chávez sank, konnte die Opposition aufholen. Eine Annäherung oder Aussöhnung gilt wegen der grundlegenden Differenzen als unwahrscheinlich. Die nächste Kraftprobe steht bereits bei den Regionalwahlen im Dezember bevor. Über Chávez neuer Amtszeit schweben zudem Unwägbarkeiten: der Erdölpreis, der vor allem an der chinesischen Nachfrage hängt, oder die Gesundheit des Präsidenten. Offiziell ist seine Krebserkrankung geheilt, doch während der Kampagne wirkte er erschöpft. Und ein „chavismo“ ohne Chávez ist für die meisten seiner Anhänger undenkbar.

Seit 1992 ist der einstige Oberstleutnant der Armee in Venezuela eine populäre Figur. Damals putschten junge Offiziere gegen das verknöcherte alte Regime. Sie scheiterten zwar, doch als Chávez vor die TV-Kameras trat und die Verantwortung übernahm, katapultierte er sich in die Herzen der Venezolaner. Ein Patriot, jemand, der Verantwortung übernimmt und Mut hat – so sahen ihn viele damals, als die Traditionsparteien täglich tiefer im Sumpf von Korruption und Misswirtschaft versanken und die neoliberale Wirtschaftspolitik sowie der niedrige Erdölpreis das einst reiche Land in den sozialen Abgrund führten. Es war der Beginn einer neuen, politischen Ära.

Nach dem Sieg bei der Präsidentschaftswahl Ende 1998 machte sich Chávez daran, das Land nach seinen sozialistischen Vorstellungen umzugestalten. Betriebe wurden enteignet, Kooperativen gegründet, Sozialprogramme aufgelegt. Er machte aus der Polarisierung eine Strategie und aus der Politik ein Spektakel. Der direkte Kontakt zum Volk ist für den zweimal geschiedenen 58-Jährigen nicht nur Kalkül, sondern eine Art Droge. Allerdings spricht der einstige Marathonredner heute selten länger als eine Stunde, doch seine patriotische, klassenkämpferische Rhetorik trifft noch immer den Nerv vieler Leute.

In seiner Stärke liegt aber gleichzeitig seine Schwäche. Bis heute ist sein politisches Projekt ein vages Konzept, das vor allem von seinen Eingebungen abhängt. Mitarbeiter, die ihn kritisieren, duldet er nicht. Stets will er über alles die Kontrolle behalten, deshalb duldet er Mittelmaß und Korruption. Viele ehemalige Weggefährten haben sich enttäuscht von ihm abgewandt. Landsleuten misstraut er und hat sich vor allem mit kubanischen Beratern und Ärzten umgeben. Deshalb vermissen heute auch Kampfgenossen wie der linke Intellektuelle Rigoberto Lanza den „modernisierenden Impetus“ der Anfangsjahre. mit KNA

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