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Zentralasien: Deutlich höhere Opferzahlen in Usbekistan

Bei den Unruhen im Osten Usbekistans haben Militärs nach Augenzeugenberichten deutlich mehr Menschen als bislang angenommen erschossen. In der Stadt Andischan berichteten Bewohner am Samstag von hunderten Toten, die mit Lastwagen und Bussen abtransportiert worden seien.

Taschkent/Moskau/Berlin (14.05.2005, 17:13 Uhr) - Unter den Opfern seien auch Frauen und Kinder. Krankenhäuser meldeten mindestens 50 Tote. Der Präsident der zentralasiatischen Republik, Islam Karimow, lobte das brutale Vorgehen seiner Sicherheitskräfte und bezeichnete die getöteten Landsleute als «Extremisten» und «Kriminelle». Karimow sprach von «mehr als zehn getöteten Polizisten».

Am Tag nach dem Blutbad von Andischan versammelten sich erneut tausende Menschen auf dem zentralen Platz der Stadt. Die Lage blieb nach Angaben usbekischer Oppositionsmedien den Tag über ruhig. Berichte, wonach es am Samstag auch in zwei weiteren Städten des islamistisch geprägten Fergana-Tals zu Ausschreitungen kam, blieben unbestätigt.

Über das Ausmaß der Gewalt am Freitagabend in Andischan gab es widersprüchliche Berichte. Ein Korrespondent von Deutsche Welle-TV gab die Zahl der Toten mit 200 oder mehr an. Er selbst habe viele Tote auf den Straßen gesehen. Militärs hätten die Stadt abgeriegelt. Das russische Fernsehen zeigte am Samstag erstmals Aufnahmen vom Ort des Schreckens. Es waren die schwersten Konflikte in der Geschichte Usbekistans seit der Unabhängigkeit der Ex-Sowjetrepublik 1991.

«Am Freitagabend haben die Militärs das Feuer auf friedliche Bürger eröffnet. Dabei starben hunderte Menschen», sagte der Leiter der Menschenrechtsorganisation «Apellazija» (Berufung), Saidschachon Sainabitdinow, in Andischan der Agentur Interfax. Die Militärs sollen ohne Vorwarnung gegen die Menschen vorgegangen sein und dabei auch Panzer eingesetzt haben.

Präsident Wladimir Putin äußerte in Moskau seine Sorge vor einer weiteren Destabilisierung in Zentralasien. Der Westen zeigte sich dagegen betroffen von den hohen Opferzahlen. «Insbesondere die Berichte über anhaltende Gewalt und die zugespitzte Lage im südost- usbekischen Andischan und im Fergana-Tal sind beunruhigend», erklärte Bundesaußenminister Joschka Fischer in Berlin.

Für die deutschen Soldaten im Land besteht nach Angaben von Verteidigungsminister Peter Struck keine Gefahr. «Im Süden Usbekistans sind 305 deutsche Soldaten stationiert. Dieses deutsche Kontingent ist nicht von den Unruhen betroffen. Es hält sich 900 Kilometer entfernt auf. Unsere Soldaten sind in Sicherheit», sagte Struck der «Bild am Sonntag».

Am Freitagabend hatten in Andischan Sicherheitskräfte das von bewaffneten Aufständischen besetzte Gebäude der Gebietsverwaltung gestürmt. Dabei schossen die Militärs nach Berichten von Augenzeugen wahllos in die Menschenmenge, die vor dem Sitz der Gebietsregierung gegen das Regime protestierte. Die Unruhen hatten sich an einem Prozess gegen 23 örtliche Geschäftsleute entzündet. Ihnen wurde die Mitgliedschaft in der islamistischen Gruppierung Akryma zur Last gelegt. Bewaffnete Banden hatten die Angeklagten und tausende weitere Häftlinge in der Nacht auf Freitag aus einem Gefängnis befreit.

Der seit 15 Jahren mit autoritären Methoden regierende Karimow gab der Islamistenbewegung Akryma die Schuld an dem Blutbad. Die Rebellen hätten die Freilassung von religiösen Anführern aus Gefängnissen in anderen Regionen des Landes gefordert. «Wir konnten darauf nicht eingehen, sonst hätten wir morgen dutzende ähnlicher Konflikte», betonte Karimow. Religionsexperten betonten dagegen, die Akryma- Bewegung sei keineswegs als extremistisch einzustufen.

Mehr als 600 Usbeken flohen nach dem Blutbad in Andischan über die nahe Grenze in das benachbarte Kirgisien. Einige Flüchtlinge hätten Schussverletzungen, teilte ein Sprecher des südkirgisischen Gebietes Dschalal-Abad mit. (tso)

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