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Politik: Diäten-Urteil: In den deutschen Parlamenten haben Abgeordnete viele Möglichkeiten, sich höhere Gehälter zu verschaffen

Dieter Spöri, der frühere SPD-Chef und Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, hat sich unter anderem mit folgender Äußerung in die Parlamentsgeschichte eingetragen: "Bei der Hälfte der Themen, über die der Landtag redet, hat er gar nichts zu sagen." Berühmt-berüchtigt sind etwa jene Redeschlachten, in denen sächsische, schwäbische oder friesische Provinzpolitiker in die Rolle von Außenpolitikern schlüpfen.

Dieter Spöri, der frühere SPD-Chef und Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, hat sich unter anderem mit folgender Äußerung in die Parlamentsgeschichte eingetragen: "Bei der Hälfte der Themen, über die der Landtag redet, hat er gar nichts zu sagen." Berühmt-berüchtigt sind etwa jene Redeschlachten, in denen sächsische, schwäbische oder friesische Provinzpolitiker in die Rolle von Außenpolitikern schlüpfen. Aber weil die Länder sich in der Verfassung Mitspracherechte in der Europapolitik haben verbriefen lassen, dürfen Landtage auch über die deutsche Politik gegenüber Brüssel beraten. Weshalb das Ausschusswesen der deutschen Landtage auch die Einrichtung eines Europaausschusses kennt. In Nordrhein-Westfalen hat dieser Ausschuss auch noch eine Zuständigkeit für "Eine-Welt-Politik". Darüber redet dann der Ausschuss, auch wenn er nichts zu sagen hat. Die Faustregel: Jedem Ministerium steht ein solches Gremium gegenüber. Dazu kommt in jedem Parlament ein Petitionsausschuss, der sich mit Bürgeranfragen befasst, ein Wahlprüfungsausschuss, ein Geschäftsordnungsausschuss. In unregelmäßigen Abständen gibt es Untersuchungsausschüsse.

Jeder Ausschuss hat natürlich einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende. Und jeder Ausschussvorsitzende braucht auch einen Stellvertretenden Vorsitzenden. Es sind wichtige und herausgehobene Positionen, weil diese Ausschussvorsitzenden die parlamentarische Beratung von Gesetzesvorlagen fraktionsübergreifend koordinieren müssen. Weshalb alle Fraktionen gemäß ihrer Stärke auch Ausschussvorsitzende stellen. Es sind meist Parlamentarier mit großer Erfahrung oder besonderer Sachkenntnis. Sie sollten auch ein gewisses Ansehen besitzen. So gibt es durchaus Stimmen, die der Ansicht sind, zumindest diese Abgeordneten hätten ein wenig mehr Geld verdient.

Das Zulagenwesen in den Fraktionen stößt da auf weniger Verständnis. Denn es ist nach dem Geist des Karlsruher Urteils von 1975 schlicht verfassungswidrig. Neben den Fraktionschefs (die nach dem neuen Urteil nun besser gestellt sein dürfen) und deren Stellvertretern gibt es die Parlamentarischen Geschäftsführer (die - richtig - auch ihre Stellvertreter haben). Und zu allen wichtigen (und manchmal auch zu den weniger wichtigen) Themen hat jede Fraktion einen Sprecher, der in der Regel den entsprechenden Fraktionsarbeitskreis leitet. Diese sind meist oft auch Obleute ihrer Fraktion in den Ausschüssen. So gibt es Posten und Pöstchen genug, über Funktionszulagen die Abgeordnetendiät zu erhöhen. Ein Drittel der Abgeordneten des Thüringer Landtags kommt so bislang in den Genuss höherer Diäten. Und das ist noch nicht die Spitze: In Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt können mehr als die Hälfte der Volksvertreter ihre Bezüge durch "Funktionen" aufbessern.

Nur ein kleiner Teil der Zulagen wird über die Landtagshaushalte direkt aus der Staatskasse bezahlt. Meist fließen die Mittel aus den jeweiligen Fraktionskassen, die weitgehend aus dem Staatssäckel gespeist werden und nicht aus den Parteikassen. Über die Verwendung der Gelder entscheiden die Fraktionen in eigener Verantwortung. So sind die Unterschiede von Parlament zu Parlament, von Partei zu Partei - ja selbst innerhalb der Parteien groß. Bei kleinen Fraktionen haben oft alle Abgeordneten irgendwelche Funktionen und erhalten damit Zulagen. Außer bei den Grünen im Bundestag: Sie haben auf jegliches Zulagenwesen verzichtet. Nach der letzten Prüfung durch den Rechnungshof zahlte 1998 die SPD ihren Führungskräften in der Bundestagsfraktion rund 1,1 Millionen Mark an Zulagen, die Union 2,2 Millionen Mark, die FDP 865 000 Mark und die PDS knapp 95 000 Mark. Wie es heißt, kommen Fraktionschefs zum Teil auf die doppelten Diäten.

Nach dem Urteil vom Freitag beginnt nun die Debatte über mögliche Konsequenzen. Der Kieler Landtagspräsident Heinz-Werner Arens (SPD) hat angekündigt, "dass das Abgeordnetengesetz in den betroffenen Passagen geändert werden muss". Der Vizepräsident des Mainzer Landtags, Hans-Günther Heinz (SPD), sieht dagegen keine Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung. Zulagen über die Fraktionsfinanzierung seien von dem Urteil nicht betroffen, meint Heinz. Der Bielefelder Rechtsprofessor Joachim Wieland hält dagegen: Zulagen seien auch dann verfassungswidrig, wenn sie aus den Fraktionskassen gezahlt würden. Demnächst sind wohl (fast) alle Abgeordneten gleich - zum Schrecken aller Pöstchenjäger und Pfründenliebhaber.

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