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Jörg Meuthen, AfD-Spitzenkandidat, bei einer Wahlparty seiner Partei

© Christoph Soeder/dpa

Zentralrat der Juden zur Europawahl: „Die AfD verliert, wenn sie ihren wahren Kern zeigt“

Zentralrats-Präsident Schuster sieht das Ergebnis der EU-Wahl verhalten optimistisch: Rechtpopulisten könnten ihren Zenit überschritten haben. Ein Interview.

Von Matthias Meisner

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sagt: „Europa wird sich drastisch ändern.“ Zum Guten oder zum Schlechten, Herr Schuster?

So wie die Hochrechnungen europaweit aussehen, haben extrem rechte Parteien zwar einen Zuwachs, aber künftig keine verändernde Mehrheit im Europaparlament. Aus dem Wahlergebnis kann also glücklicherweise keine Änderung der gesamteuropäischen Politik herausgelesen werden. Neu ist, dass die zwei großen Blöcke aus Europäischer Volkspartei auf der einen und Sozialisten und Sozialdemokraten auf der anderen Seite zusammen nicht mehr auf die absolute Mehrheit kommen. Das wird Änderungen bringen, aber nicht so, wie das Alice Weidel jetzt voraussagt.

Die AfD hat laut Hochrechnungen im Vergleich zur Europawahl 2014 zugelegt, aber sie schneidet schlechter ab als bei der vergangenen Bundestagswahl. Anlass zur Entwarnung?

Es gibt noch keinen Anlass zur Entwarnung. Aber vielleicht sind die Resultate doch ein Signal dafür, dass ein Zenit überschritten wurde und ein Teil der Wähler erkannt hat, hinter wem sie da herlaufen, und sich diesmal anders entschieden hat.

Rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien wollen sich zu einer neuen starken Fraktion im Europäischen Parlament zusammenschließen. Welche Gefahr liegt darin?

Starke Fraktion – warten wir das mal ab. Aus den bisher vorliegenden Zahlen kann ich zwar eine stärkere Fraktion erkennen, aber noch keine starke Fraktion. Die Rechten werden so isoliert sein, dass sie eine politische Kraft im eigentlichen Sinne im Europäischen Parlament nicht sein werden.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

© dpa/Arne Dedert

Noch liegen Resultate nicht aus allen europäischen Ländern vor. Aber beispielsweise in Ungarn scheint bereits klar zu sein, dass die Fidesz-Partei von Viktor Orbán die mit Abstand stärkste Partei wird. Was ist Ihre Antwort auf den Rechtsruck in Europa?

Anderen Ländern  Ratschläge zu geben wäre vermessen. Die Frage ist: Welche Politik möchten wir? Möchten wir eine Politik der einzelnen Nationen haben oder  eine europäische Politik? Möchten wir, dass das Projekt Europa gelingt? Oder  dass das Projekt Europa scheitert? Bei den Parteien des rechten Spektrums habe ich die Empfindung, dass sie nur sehr bedingt Interesse an Europa als Gesamt-Projekt haben.

Wie bewerten Sie es, dass in Italien die Lega Partei von Matteo Salvini mit ihrer rigiden Anti-Flüchtlings-Politik stärkste Partei werden konnte?

Es ist besorgniserregend, dass sowohl in Italien als auch in Frankreich die rechtspopulistischen Parteien jeweils stärkste Kraft geworden sind. Denn abgesehen von der Flüchtlingspolitik fahren sie einen nationalistischen Kurs, der die – vermeintlichen – Interessen des Landes über die Europas stellt. In der Flüchtlingspolitik könnte es noch schwieriger werden, in Europa humane und zugleich umsetzbare Lösungen für die EU-Mitgliedsstaaten und die betroffenen Menschen zu finden.

Die FPÖ hat nicht so gut abgeschnitten wie in den Umfragen vor der Wahl. Hat das mit dem Strache-Video zu tun?

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Ibiza-Affäre beim Abschneiden der FPÖ eine sicherlich nicht geringe Rolle gespielt hat.

Welche Lehren ziehen Sie aus dem Ibiza-Gate?

Nun, das ist wiederum eine Frage an die österreichische Politik. Ich hüte mich davor zu sagen, dass das, was da bei der FPÖ geschehen ist, allen rechtsnationalen Parteien so oder ähnlich unterlaufen kann. Allerdings hätte ich diese Geschichte vor zwei Wochen auch nicht der FPÖ zugetraut.

Radikalisiert sich die AfD nach Ihrer Beobachtung immer weiter? Und wenn ja, warum wenden sich die Wähler nicht in ganz anderen Größenordnungen ab?

Diese Radikalisierung trifft auf Teile der AfD zu. Aber das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt Bundesländer, wo das relativ deutlich ist – und wo das, so  hoffe ich, auch der Wähler verstanden hat. Es gibt andere Bundesländer, wo das noch nicht so deutlich ist. Wenn die AfD ihren wahren Kern zeigt, wird das eher zu einem Stimmenrückgang führen. Die AfD wird allerdings absehbar, auch diese Sorge habe ich, noch nicht aus den Parlamenten verschwinden.

In ostdeutschen Ländern, wo die AfD oft besonders radikal auftritt, hat sie am Sonntag besondere Erfolge einfahren können. In Sachsen beispielsweise könnte sie bei der Europawahl erneut stärkste Kraft werden, so wie schon bei der Bundestagswahl 2017. Was ist, wenn nach den Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Brandenburg und Thüringen die Frage einer Regierungszusammenarbeit mit der AfD diskutiert wird?

Die AfD duldet Funktionsträger in ihrer Partei, die den Nationalsozialismus als Vogelschiss bezeichnet haben, die eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad gefordert haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei  im demokratisch-politischen Spektrum mit der AfD eine Regierungskoalition eingehen wird.

Josef Schuster (65) ist seit Oktober 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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