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Eins zu Eins: So wie in diesem Bild sieht das Betreuungsverhältnis an den Berliner Kitas bei weitem nicht aus. Die Hauptstadt hinkt hinterher.

© dpa/Stephanie Pilick

Zu wenig Kita-Personal, marode Schulen: Die Berliner Bildungslüge

Nichts sei wichtiger als Bildung, sagt die Politik. Doch das, was Eltern und Kinder jeden Tag erleben, straft sie Lügen. Marode Schulen sind Zeugnisse der Unfähigkeit der Bildungspolitiker. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Gerade haben sie es erneut getan, die Berliner Sozialdemokraten, die immer wieder die Notwendigkeit einer besseren Bildung für die Selbstbehauptung der nachwachsenden Großstadtgenerationen beschwören. Der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh, selber Migrantenkind, hat es seinen Genossen bei der Fraktionsklausur in Leipzig mit auf den Weg gegeben. Für die rund 48 000 Krippenkinder in Berlin sollen die Gebühren schrittweise abgebaut werden, damit die Krippenjahre so kostenfrei werden wie die Kita-Jahre.

Die Berliner Politik hat diese hauptstädtische Besonderheit immer wieder mit der besonderen Sozialstruktur und den im Vergleich zu den alten Bundesländern wesentlich schlechteren Einkommensverhältnissen begründet. Gerade Kinder aus Migrantenfamilien sollen nicht durch Kita-Gebühren vom frühen Kontakt mit deutsch sprechenden Kindern und Erzieherinnen abgehalten werden. Besonders wenig Verständnis zeigt dafür traditionell der größte Nettozahler in den horizontalen Finanzausgleich, Bayern.

Nirgendwo ist der Betreuungschlüssel so schlecht

Aus dem schönen Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, wurde die Schul- und Bildungsverwaltung in den vergangenen Wochen aber durch bundesweite Untersuchungen und journalistische Recherchen aufgescheucht: Eine bundesweite Statistik, an deren Erhebung sich Berlin bisher unter fadenscheinigen Begründungen nicht beteiligt hatte, zeigt, dass der Betreuungsschlüssel für Kleinkinder nirgendwo in Deutschland so schlecht ist wie in Berlin.

Zwar wird hier vom Staat pro Jahr und Kitaplatz mit 4600 Euro weit mehr als im Bundesschnitt (3500) ausgegeben, aber dieses vermeintliche Mehr entsteht nur, weil in anderen Bundesländern die Eltern zusätzlich für den Kita-Platz zahlen, in Berlin aber nicht. Die Folge: In Baden-Württemberg kümmert sich eine Kindergärtnerin um durchschnittlich 3,1 Kinder, in Berlin um mehr als doppelt so viele, nämlich 6,6. Berlin erkauft also das kostenlose und umfangreichere Angebot mit einer Reduzierung der Qualität, wie Susanne Vieth-Entus im Tagesspiegel nachwies.

Ein anderer Kollege, Armin Lehmann, hat gerade durch mehrere Beispiele gezeigt, in welch unverantwortlicher Weise die Bezirke die öffentlichen Schulen verrotten lassen. Auch hier klafft zwischen der offiziell propagierten Politik – alles für die Bildung – und der Realität eine große Lücke.

Eine Schule wartet seit sieben Jahren auf eine Sporthalle. In der Sporthalle einer anderen Schule dürfen die Kinder das Wasser nicht trinken, weil es zu eisenhaltig ist. In der einzigen Schule für geistig behinderte Kinder darf das Therapiebad nicht benutzt werden, weil das Leitungssystem von Legionellen befallen ist. Es gibt wohl kaum Eltern in Berlin, die nicht Ähnliches schildern können. Dass der Putz von den Wänden fällt, Fenster aus dem Rahmen kippen und Sanitärräume verschimmelt sind – all das gehört zum Schulalltag in Berlin. Und dabei ist über den Unterrichtsausfall noch kein Wort gesagt.

Auch die DDR war auf diesen egalitären Zug stolz

Eine der Folgen, ausgerechnet im immer noch stark sozialdemokratisch geprägten Berlin: Es kommt zu einer tiefgreifenden Segregation. Eltern, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder auf private, in der Regel konfessionelle Schulen. Die breiten sich auch deshalb aus, weil es hier Religionsunterricht gibt, der in Berlin (und Bremen) traditionell aus den Schulen verbannt ist.

Das aber ist eine gesellschaftliche Fehlentwicklung. Private Schulen haben ihren Platz. Wenn sie aber zum Fluchtpunkt aus einem desolaten staatlichen Schulsystem werden, droht die Gemeinschaft zu kippen. Gerade die Erfahrung, dass die Kinder zusammen unterrichtet werden, gleich, was die Eltern für einen finanziellen oder kulturellen Hintergrund haben, hat die alte Bundesrepublik starkgemacht – auch die DDR war übrigens auf diesen egalitären Zug stolz.

Das Furchtbare in Berlin ist die Diskrepanz zwischen dem, was offiziell propagiert wird, und dem, was Eltern und Kinder erleben. Man sollte die Schulpolitiker des Senats und der Bezirke jeden Monat einmal an diesen Zeugnissen ihrer Unfähigkeit vorbeiführen, damit sie sich schämen – und sich ändern.

Vielleicht stimmt ja doch, worüber auch der Historiker Heinrich August Winkler gerade in einem Interview mit dieser Zeitung sinnierte: dass dem Westen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus die ideologische Herausforderung abhanden gekommen ist, der permanente Druck beweisen zu müssen, dass dieses gesellschaftliche System besser als andere geeignet ist, mit den Herausforderungen der Moderne fertig zu werden.

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