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Was früher gesprochen wurde, wird heute oft geschrieben. Und digital übertragen.

© Zacharie Scheurer/dpa-tmn

Kommunikation in der Politik: Die Chats der Regierenden dürfen für die Öffentlichkeit kein Geheimnis sein

Das Bundesverwaltungsgericht urteilt gegen Transparenz bei Twitter-Direktnachrichten. Die demokratische Kontrolle verpasst die Digitalisierung. Ein Kommentar.

Von all jenen, die die letzte Regierung gebildet haben und die nächste bilden werden, würden es die wenigsten zugeben: Dass ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sie erleichtert. Die Höchstrichter in Leipzig haben entschieden, dass Twitter-Direktnachrichten des Innenministeriums nur in Ausnahmefällen dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) unterliegen (Az.: 10 C 3.20). Für die Öffentlichkeit bleiben sie gesperrt. Sinn des Gesetzes aber ist, Staatshandeln transparent zu machen – nicht zuletzt, um es besser kritisieren zu können. So funktioniert Demokratie.

Alles unwichtig, sagt das Gericht

Die Richter sehen es nun ein bisschen anders. Sie sagen: Das IFG gilt nicht automatisch für alle amtlichen (und damit regierungsamtlichen) Informationen, die aufgezeichnet oder sonst gespeichert sind. Es gilt nur für solche, die für wichtig genug gehalten werden, um sie aufzuzeichnen oder sonst zu speichern. Twitter-Direktnachrichten, eine direkte Kommunikation zwischen Sendern und Empfängern abseits öffentlicher Tweets, gehörten nicht dazu. Sie werden nur bei Twitter gespeichert, nicht im Ministerium. Es seien knappe, inhaltlich unerhebliche Dialoge der Beamten mit Bürgerinnen, Journalisten oder anderen Behörden. Dass sie gespeichert und für das Innenministerium verfügbar sind, sei eine Art Nebeneffekt der Digitalisierung, habe mit der Relevanz der Information aber nichts zu tun. Das IFG sei damit bei solchen vergleichsweise unbedeutenden Kommunikationen nicht anwendbar.

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Dass Transparenzziel des seit 15 Jahren geltenden IFG wird damit empfindlich beschränkt. Ein erheblicher Teil der regierungsamtlichen Kommunikation dürfte sich heute in Chatverläufen elektronischer Medien befinden, einschließlich der SMS der Bundeskanzlerin. Selten findet etwas davon seinen Weg in die amtlichen Akten. Die deutsche Politikgeschichte wird in wesentlichen Teilen auf Servern ausländischer Internetmultis geschrieben, die sie irgendwann löschen. Oder auch nicht. Den Regierenden scheint das gleichgültig zu sein. Kein Wunder, sie nutzen die Chats wie früher das Telefon. Und diese Gespräche wurden ja auch nur selten dokumentiert.

Rückweg in die vermeintlich gute alte Zeit

Das Bundesverwaltungsgericht tritt nun den Rückweg an in diese vermeintlich gute alte Zeit. Und entfernt sich damit von der digitalen Wirklichkeit, in der staatliche Akteure ihr gesamtes Wirken zunehmend verschriftlichen. Im Sinne demokratischer Transparenz und historischer Dokumentation wäre geboten, dass amtliche Informationen, die digital gespeichert sind, auch nach dem IFG zugänglich wären. Außer jene, für die berechtigterweise Geheimschutz besteht.

Die nächste Koalition könnte den Richterspruch korrigieren. Könnte. Doch wahrscheinlich nutzt Olaf Scholz sein Handy wie die Kanzlerin und hat nicht das geringste Interesse, dass jemand später seine Chats liest.

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