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Europa: Die Einheit des Uneinheitlichen

Schuldenkrise und Euro-Rettung treiben die Entwicklung zur politischen Union voran. Doch sind die EU-Staaten bereit dafür?

Berlin - Es musste nicht erst Ursula von der Leyen kommen, um eine Debatte über den Fortschritt der EU zur Politischen Union zu beginnen. Dass eine Währungsgemeinschaft ein Mindestmaß an zentraler oder gemeinschaftlicher Steuerung in der Wirtschafts-, Steuer- und Haushaltspolitik braucht, ist nämlich ein Gemeinplatz, seit über die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung diskutiert wurde. In den Zeiten vor der Finanzkrise fehlte es jedoch an der nötigen Dringlichkeit. Nun zeigen die Verwerfungen zwischen den einzelnen Euro-Ländern, dass man die Debatte hätte früher führen und auch entscheiden müssen.

Im Kern geht es darum, wer Europa und vor allem die Euro-Kernzone lenkt. Die Regierungen der EU-Staaten sind (noch) nicht bereit, Regierungsmacht an die Kommission und das EU-Parlament zu übertragen. Ihre Chef- und Ministerkonferenzen nehmen derzeit noch den Platz der Europa-Regierung ein, auch wenn die EU-Kommission natürlich ein wesentlicher Teil der Konstruktion ist. Der Grund ist einfach: In den Bevölkerungen fehlt es an Verständnis und Bereitschaft für eine stärkerer Zentralisierung der EU.

Die Schuldenkrise und die Maßnahmen zur Stützung des Euro treiben aber die Entwicklung zur politischen Union voran. Doch sind die EU-Staaten überhaupt bereit dafür? Da gehen die Meinungen weit auseinander. Der Ökonom Daniel Gros, Direktor des Center for European Policy Studies in Brüssel, gehört in der Frage zu den Skeptikern. In einem Beitrag auf der Website „voxeu.org“ kommt er zu dem Schluss, dass die Unterschiede der politischen Systeme zu groß seien, um eine arbeitsfähige politische Union schaffen zu können. Der Unterschied in der Qualität des Regierens und Verwaltens steckt laut Gros auch hinter der Ablehnung von Euro-Bonds in den nördlichen EU-Staaten.

Der Ökonom stützt sein Urteil weniger auf die Verschuldungssituation und die Haushaltswerte als auf eine Datensammlung der Weltbank, den Worldwide Governance Indicator. Dieser misst jährlich, wie effizient die Staaten der Welt regiert werden und wie stabil ihre politischen Systeme sind, wie es weit Demokratie und Bürgerfreiheiten gelten, wie hoch die wirtschaftliche Freiheit ist, wie es um die Rechtssicherheit steht und wie entschieden der Kampf gegen Korruption geführt wird. Addiert man die Weltbank-Zahlen in diesen fünf Kategorien für die einzelnen EU-Staaten, lässt sich eine Rangliste erstellen. Und siehe da: Es gibt in der Tat beträchtliche Unterschiede. Man kann grob drei Gruppen von Staaten unterschieden: die guten, die mittelmäßigen und die eher schlechten (siehe Grafik). Wobei die schlechten natürlich im weltweiten Maßstab, verglichen mit Diktaturen, „failing states“ und labilen Schwellenländern, immer noch sehr gut dastehen. Aber deutlich wird eben, dass auch im Euro-Raum zwischen Finnland und den Niederlanden an der Spitze und Griechenland oder Italien am Ende mehr als nur kleine Welten in der politischen Kultur und Effizienz liegen.

Politische Union heißt mehr überstaatliche Koordinierung durch eine Wirtschaftsregierung, jene Mischung aus Chef- und Ministerkonferenzen plus Brüsseler Bürokratie, wie sie Angela Merkel und Nicolas Sarkozy unlängst für die Euro-Zone skizziert haben. Eine solche koordinierte Politik bedeutet aber, dass die Exekutiven in den Einzelstaaten gut funktionieren und in der Lage sind, die Beschlüsse umzusetzen und zu kontrollieren. Denn ohne gemeinsame Mindeststandards bei Verwaltungshandeln, Rechtssicherheit oder Korruptionskontrolle, das betont Gros, funktioniere eine politische Union nicht. Und da haben einige Länder offenkundig Aufholbedarf.

Vor allem Italien ist ein Problemfall, und das, obwohl das Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft im Gegensatz zu Griechenland und der Slowakei wirtschaftlich durchaus potent ist. Aber bei den drei wichtigsten Indikatoren – Funktionieren von Regierung und Verwaltung, Rechtssicherheit und Korruptionsbekämpfung – sind die Werte Italiens bedrückend schlecht. Besser sieht es bei den „Euro-Sorgenkindern“ Spanien und Portugal aus. Irland steht bei den Staatsstandards dagegen so gut da wie Deutschland, wäre also mit Blick auf eine koordinierte europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik kaum ein Wackelkandidat.

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