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Politik: „Die erste von 35 Krisen“

Geht das jetzt immer so weiter? Nach dem Start der Beitrittsgespräche mit der EU herrschte am Dienstag in der Türkei mehr Ernüchterung als Freude.

Geht das jetzt immer so weiter? Nach dem Start der Beitrittsgespräche mit der EU herrschte am Dienstag in der Türkei mehr Ernüchterung als Freude. Zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Europa-Strebens in den sechziger Jahren verhandeln die Türken konkret über die Übernahme von EU-Recht. Doch die Tatsache, dass schon das erste Verhandlungskapitel die Beitrittsgespräche beinahe aus dem Gleis geworfen hätte, hat den Türken klar gemacht, wie schwer die Verhandlungen werden. Zudem zeigt sich, dass die Regierung in Ankara die mittlerweile stark gewachsene Skepsis in der EU völlig unterschätzt hat.

Dass gleich die Gespräche über das an sich unstrittige Kapitel „Wissenschaft und Forschung“, dem ersten von 35 Verhandlungsabschnitten, fast am Streit um Zypern gescheitert wären, ließ türkische Kommentatoren am Dienstag mit Sorge in die Zukunft schauen. Das diplomatische Gerangel von Luxemburg sei nur die erste von 35 Krisen gewesen, analysierte die regierungsnahe Zeitung „Zaman“. Schließlich könne das EU-Mitglied Zypern bei jedem weiteren Kapitel wieder mit seinem Veto gegen die Türkei drohen. Ein rechtsnationalistischer Kolumnist der „Hürriyet“ wetterte, das 70-Millionen-Volk der Türken habe sich zu einem „Spielzeug“ des Ministaates Zypern machen lassen.

Offenbar denkt nicht nur „Hürriyet“ so. So sprach Außenminister Abdullah Gül zwar offiziell von einem „Meilenstein“ für sein Land. Er soll aber außer sich gewesen sein, als er von den ersten Formulierungsvorschlägen beim EU-Außenministertreffen erfuhr: Darin sei die Forderung Zyperns nach Anerkennung durch die Türkei enthalten gewesen.

Dabei war die Konfrontation absehbar. Seit die EU die Öffnung türkischer Häfen für zyprische Güter fordert, stellt sich Ankara auf diesem Ohr taub. Selbst die Warnung aus Brüssel vor einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen für den Fall, dass die Türkei bis Ende des Jahres das EU-Mitglied Zypern weiter wie einen Aussätzigen behandelt, bringt Ankara nicht aus der Ruhe. Die Türkei fühlt sich im Zypernkonflikt im Recht, weil die griechischen Zyprer 2004 mit ihrem Nein zum UN-Friedensplan die Wiedervereinigung der Insel verhindert hatten. Von neuen Zugeständnissen in der Zypernfrage oder gar einer diplomatischen Anerkennung des EU-Mitglieds Nikosia spricht in Ankara deshalb niemand.

Selbstsicher und mit einem Schuss Überheblichkeit vertraut die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan darauf, dass die EU den türkischen Beitrittsprozess letztlich nicht am Zypernproblem scheitern lassen wird. Dafür sei Ankara für die Europäer einfach zu wichtig, lautet die Annahme dahinter. Er glaube nicht, dass die EU dem Veto eines „Teils von Zypern“ große Bedeutung zumessen werde, sagte Erdogan. Gül sekundierte, bei einer Krise im Verhandlungsprozess werde nicht nur die Türkei Schaden nehmen.

Dieses Vertrauen auf die eigene Bedeutung kann für die Türkei gefährlich werden. So scheint Erdogans Regierung nicht in Betracht zu ziehen, dass es vielen EU-Staaten ganz recht wäre, wenn die Verhandlungen mit der Türkei wegen des Zypernproblems platzen sollten. Das Fehlen von Fortschritten auch auf anderen Feldern der türkischen EU-Bewerbung macht die Lage noch prekärer. Brüssel beklagt eine Verlangsamung der türkischen Reformpolitik in vielen Bereichen.

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