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Politik: Die Farbe zählt

Das oberste US-Gericht muss eines der brisantesten Bürgerrechtsurteile der Geschichte fällen: Dürfen Minderheiten bei der Uni-Bewerbung weiter bevorzugt werden?

Diesen Montagvormittag hat sie sich freigehalten. Mary Sue Coleman ist Präsidentin der Universität von Michigan. Doch zurzeit ist sie in Washington. Dort sitzt das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten. Vielleicht heute, vielleicht erst am kommenden Donnerstag wird der Supreme Court eines der brisantesten Bürgerrechts-Urteile seit Jahrzehnten fällen. Ab 10 Uhr 30 will Coleman auf dem Vorplatz des Gerichtes stehen und das Urteil kommentieren. Entweder wird sie erleichtert sein – oder wütend.

Es geht um das, was seit den späten sechziger Jahren „affirmative action“ heißt, die gezielte Förderung von Minderheiten bei der Uni-Bewerbung. Darf eine Universität durch Bonuspunkte schwarze oder hispanische Studenten bei der Auswahl bevorzugen? Oder ist das eine Art Rückwärtsdiskriminierung der Weißen? Es geht um Chancengleichheit und Gerechtigkeit, Privilegien und das Leistungsprinzip. Moralische, politische und gesellschaftliche Normen kollidieren miteinander. Das Thema spaltet die Nation. Eine große Mehrheit der Minderheiten befürwortet die „affirmative action“. Die Mehrheit der weißen Mehrheit lehnt sie ab.

Geklagt hatten drei Weiße, darunter die mittlerweile 26-jährige Jennifer Gratz. Sie war vor acht Jahren von der Universität von Michigan abgelehnt worden. Gratz witterte Diskriminierung. Ihr Studienplatz, sagt sie, sei aufgrund der „affirmative action“ an weniger qualifizierte schwarze und hispanische Studenten vergeben worden. „Universitäten, die diese indirekte Quotenregelung anwenden, diskriminieren auf Basis der Hautfarbe", meint sie.

Quoten hatte Amerikas oberstes Gericht im Jahre 1978 für verfassungswidrig erklärt, weil es in ihnen eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sah. Doch die Minderheitenförderung an sich wurde für zulässig befunden. Seitdem dürfen Herkunft und Hautfarbe eines Bewerbers bei seiner Zulassung zwar nicht allein ausschlaggebend sein, aber eine Rolle spielen. In der Praxis bedeutet das, dass Bewerber von ethnischen Minderheiten bei der Evaluierung Bonuspunkte erhalten.

Hinter dem System steckt ein löblicher Vorsatz: Wie erhalten benachteiligte Gruppen besseren Zugang zur Bildung? Ursprünglich galt die „affirmative action“ nur für Schwarze. Das historische Unrecht an ihnen – Stichwort Sklaverei – sollte ein Stück weit wieder gutgemacht werden. Das hat auch funktioniert. Ihr Prozentsatz an den Universitäten stieg, eine schwarze Mittelschicht entstand. Überall dort dagegen, wo die Minderheitenförderung abgeschafft wurde, stürzte der Anteil von Schwarzen an den Universitäten rapide ab.

Inzwischen sind die Schwarzen nicht mehr die größte Minderheit in den USA, sondern wurden von den Latinos überholt. Der asiatische Bevölkerungsanteil wächst ebenfalls. In einigen Bundesstaaten bilden die Weißen nicht länger eine Mehrheit. Ausgerechnet im liberalen Kalifornien wurde die „affirmative action“ daher abgeschafft. Sechs weitere Bundesstaaten schlossen sich an. Je bunter Amerika ist, desto schwieriger wird es, eine Minderheitenpolitik zu betreiben, die nicht willkürlich oder ungerecht ist. Sollen asiatische Amerikaner ebenfalls Privilegien erhalten, obwohl sie oft einen weitaus höheren Lebensstandard haben als Schwarze und Latinos? Wie sieht es mit dem „weißen“ Einwanderer aus, der eine mexikanische Mutter und einen japanischen Großvater im Stammbaum hat?

Gegen alle Anwendungsprobleme halten die Befürworter der „affirmative action“ am Ziel der „diversity“ fest – einer möglichst großen Vielfalt an den Hochschulen. Das diene der Integration. Außerdem helfe es, die sozialen Unterschiede auszugleichen. Im Durchschnitt hat eine weiße Familie 20 000 Dollar im Jahr mehr zur Verfügung als eine schwarze. Als unvermeidlich wird akzeptiert, dass die indirekten Quoten am Selbstbewusstsein der Geförderten kratzen können – „nur wegen meiner Hautfarbe darf ich studieren“. Doch wenn schon Vielfalt, dann überall, poltern die meist konservativen Gegner der „affirmative action“ polemisch zurück. Warum nicht auch bei den Professoren? Immerhin wählen fast neunzig Prozent der Akademiker in den USA die demokratische Partei.

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