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Politik: Die ganz große Koalition (Leitartikel)

Die Politik kommt zurück zu den Sachen. Die erste Lesung der Gesetzesvorlage zur Steuerreform im Deutschen Bundestag markiert eine kleine Wende.

Die Politik kommt zurück zu den Sachen. Die erste Lesung der Gesetzesvorlage zur Steuerreform im Deutschen Bundestag markiert eine kleine Wende. Das Parlament besinnt sich darauf, dass neben der Aufarbeitung wichtiger Jahre der Bonner Republik jetzt zugleich Reformen für die Berliner Republik nötig sind. Eine radikale Entlastung des Steuerzahlers und eine Vereinfachung des Steuersystems stehen an erster Stelle auf der Agenda. Die Akteure der Debatte vom Freitag können sich allesamt sehen lassen: Hans Eichel (SPD), Friedrich Merz (CDU) und Christine Scheel (Bündnis90 / Die Grünen) haben deutlich gemacht, dass sie bei allen sachlichen Differenzen auch zu Kompromissen bereit sind. So sind sie eben, die Finanzexperten aller Parteien: ein wenig dröge, dafür aber ergebnisorientierte Arbeiter.

Es war Zufall und Symbol zugleich, dass die Debatte für Merz zur Werbe-Präsentation für das neue Amt wurde. Das ist ihm gelungen. Noch vor einer neuen Grundsatz- und Programmdebatte, welche der Konservatismus in Deutschland zweifellos nötig hat, kann die Arbeit an der Sache zur politischen Nüchternheit beitragen. Nebenbei gelang es Merz auch, auf eine verschüttete Tradition der Union zu verweisen. Der Sauerländer gab sich als Anwalt des Mittelstandes.

Im Detail muss noch viel gestritten werden; die Richtung aber stimmt. Dass die Vorgängerregierung zu einer grundlegenden Steuerreform nicht mehr imstande war, wird man ebenso erwähnen dürfen wie die Kuriosität, dass die SPD in der Opposition vieles von dem blockiert hat, wofür sie sich jetzt feiern lässt. Bislang unerhört ist dabei vor allem das Lob der Industrie. Dass die Lobbyisten nach dem Desaster der CDU ihre Fahne nach dem neuen Wind drehen, reicht als Erklärung nicht hin. Denn mehr noch als die Aussicht auf eine Absenkung der Eingangssteuersätze auf 15 und der Spitzensteuersätze auf maximal 45 Prozent freuen sich die Großunternehmer - allen voran die Banken und Versicherungen - darauf, künftig Veräußerungsgewinne ohne Abzüge für den Fiskus an ihre Aktionäre weitergeben zu können. Zutreffend wird dies auch im Ausland als entscheidender Schritt zur Modernisierung des Standortes angesehen; Verkrustungen und Verflechtungen der Unternehmenslandschaft können endlich aufgebrochen werden.

Es ist deswegen von der Union und Teilen der Grünen weder galant noch sachlich nachvollziehbar, nun doch wieder eine Teilbesteuerung der Veräußerungsgewinne vorzuschlagen. Das ist der falsche Weg. Der bessere Weg wäre es, die Benachteiligung der Personengesellschaften in Eichels Entwurf anzuprangern und auf eine Überarbeitung des Reformpakets zu dringen. Transparenz, Vereinheitlichung und Vereinfachung sind im Steuersystem bekanntlich Indikatoren für Gerechtigkeit. Besser wäre es auch, die fixe Idee des Finanzministers zu attackieren, zwischen guten, weil thesaurierten, und schlechten, weil entnommenen, Gewinnen zu unterscheiden. Denn das widerspricht sogar Eichels eigenem Ansatz einer Dynamisierung der Märkte im Interesse von Profitabilität und Beschäftigung.

Es wird sich nun hoffentlich auch bei den Bundesländern herumsprechen, dass es wenig ratsam ist, aus kurzfristiger Sorge um Haushaltsknappheit eine langfristig angelegte Reform zu verhindern. Damit wäre auch eine zügige Behandlung im Bundesrat gesichert. Gelänge dies alles, man wagt es kaum zu hoffen, vollbrächte die Bundesregierung mit sachorientierter Unterstützung der Opposition die erste wirkliche Reform.

Rainer Hank

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