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Rauchschwaden, die sich mit einem größeren Sturmsystem vermischen, ziehen über Sibirien. Durch den heißen und trockenen Sommer ist es 2019 in der sibirischen Taiga zu riesigen Waldbränden gekommen.

© NASA/ZUMA Wire/dpa

Historisches Urteil des Verfassungsgerichts: Die Jüngeren können noch mehr Rechte einklagen

Das jüngste Klimaschutz-Urteil wird auf Jahrzehnte hinaus prägend sein. Und es könnte ganz praktisch große Konsequenzen haben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld

Manchmal prägen neue Begriffe die Ansichten von Menschen für Jahre und Jahrzehnte. Die vom Bundesverfassungsgericht jüngst in seinem Klimaschutz-Urteil formulierten „Freiheitsrechte künftiger Generationen“ haben beste Aussichten, eins dieser Motive zu werden. Wenn die heute aktive politische Generation die Freiheitsrechte ihrer Kinder und Enkel irreversibel schädigt, weil sie zu viel CO2 ausstößt: Tut sie dasselbe nicht auch in der Familien- und Sozialpolitik, mit dem verpassten Corona-Bildungsjahr, der versäumten Rettung der Wälder und Meere, der Bienen und Kräuter?

Als der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof 1995 den „Halbteilungsgrundsatz“ erfand, prägte er damit nicht nur die Finanzpolitik der folgenden zehn Jahre. Er verankerte die Ansicht, der Staat müsse seinen Bürgern in etwa die Hälfte des Einkommens zur freien Verfügung lassen, im Bewusstsein der Gesellschaft. Diese geniale Übersetzung des allgemeinen menschlichen Fairnessempfindens in das Steuerrecht machte rasch über das eigentliche Rechtsgebiet hinaus Karriere, bei Unterhaltsfragen im Familienrecht etwa. Ähnlich wird es mit dem neuen Generationenvertrag sein, den das Verfassungsgericht verlangt hat. Denn wenn die Freiheitsrechte in Klimafragen ein knappes Gut sind, die sich nicht beliebig von Generation zu Generation vererben lassen, gilt das womöglich auch für andere Politik- und Lebensbereiche. Ist die Ausbeutung der Öl- und Gasreserven kein irreversibler Raubbau an den Zukunftschancen? Das Roden eines Eichenwalds? Ist die jüngere Generation auch legitimiert, in vermeintlich unverrückbare Besitzstände der Älteren einzugreifen?

Verrat an der jüngeren Generation

Nur weil die Älteren keine Lust auf bittere Debatten hatten, haben sie der nächsten Generation Sozialbeiträge aufgebürdet, die ein Drittel höher liegen werden als die Lasten derjenigen, die ab 2025 profitieren. Dass die letzten drei Regierungen Angela Merkels in der Rentenpolitik nicht gehandelt haben, kann man in diesem Licht auch als Verrat an der jüngeren Generation interpretieren. Ist er reversibel? Auch darüber werden vermutlich die Verfassungsrichter zu urteilen haben.

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Das bisher gültige politische Credo, nach dem jede Generation ihre Probleme selbst lösen muss, haben die Karlsruher Richter bereits beerdigt. Damit haben sie einen Weg gewiesen, wie die Jüngeren der Interessen-Wucht der Älteren Grenzen zu setzen. In Grundsatzfragen können sie nun darauf verzichten, für ihre Bedürfnisse zu werben und im demokratischen Verfahren zu überzeugen. Sie können die vor Gericht einklagen.

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