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Angela Merkel am 9. November 2014 - an der Gedenkstätte Berliner Mauer.

© dpa

Die Kanzlerin und die Ostdeutschen: Welche Träume hatte eigentlich Merkel am 9. November 1989?

Gehe ins Offene. Das können viele Ostdeutsche, das haben sie erlernt, erlernen müssen, sich auch erkämpft. Am besten könnte es Angela Merkel, gerade jetzt. Deshalb sollte sie etwas für die Ostdeutschen tun: Mehr von ihrer Geschichte erzählen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Robert Ide

Wenn ich mir was wünschen dürft... Was würdest du dir dann wünschen?

Welchen Traum zum Beispiel hätte sie auf einen jener Zettel geschrieben, die mit der leuchtenden Mauer in den Himmel über Berlin geflogen sind? Hat sie überhaupt noch welche, die erste Frau im Kanzleramt, die wohl mächtigste Politikerin der Welt und, ach ja, die Ostdeutsche Angela Dorothea Merkel, geborene Kasner?

Für „gebrauchte DDR-Bürger“, ein Begriff des frühen Merkel-Förderers und letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, für die Familien, die sich noch viele Geschichten zu erzählen haben 25 Jahre nach ihrem wagemutigen Schritt in eine neue Welt, könnte sie etwas Unerhörtes tun: Erzählen. Von sich.

Große Geschichte erzählt sich am besten in kleinen Geschichten

Doch Angela Merkel tut das nicht, noch immer nicht und nicht genug. „Der Mauerfall hat uns gezeigt: Träume können wahr werden“, sagte sie an diesem lichten 9. November 2014 an der Bernauer Straße, zu ihren Füßen die einstmals geteilten Bürgersteige, über die Blut floss für den Drang nach Freiheit. Über ihrem Kopf der nie geteilte Himmel, in den Stunden später die Ballons aufstiegen.

Aber welche Träume haben sich für die Ostdeutschen erfüllt auf dem rasenden Weg zur Einheit? Welche Träume hatte die Physikerin Merkel eigentlich am 9. November 1989, als sie den Mauerfall zunächst in der Sauna verschwitzte? Warum ist das überhaupt wichtig? Weil sich große Geschichte am besten in kleinen Geschichten erzählt. Weil man jetzt, da auf Berlins historischem Pflaster kaum noch Reste der Mauer stehen, den Schritt wagen könnte, sich selbst mehr zu öffnen und sich zu befragen.

Bei der Konferenz der Prominenz im Tagesspiegel, bei der Künstler und Politiker die Sonderausgabe dieser Zeitung gestalteten und diskutierten, berichtete die ehemalige DDR-Sportlerin und heutige Schriftstellerin Ines Geipel, dass sich erst jetzt viele Menschen ihre Vergangenheit erzählen würden. Und der Stasi-Akten-Beauftragte Roland Jahn sagte, dass immer mehr Kinder der Wende nun die Akten ihrer Eltern einsehen wollten. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sprach über zwei Fragen, die sie sonst jedem stellt: Was wolltest du im November 1989 werden? Und was bist du geworden? Bei Ostdeutschen glichen sich die Antworten eigentlich nie.

Es ist ihr gutes Recht. Aber es ist schade, gerade jetzt.

Angela Merkel beantwortet die erste Frage nicht. Sie stellt sie auch nicht, zumindest nicht für alle hörbar. Sie ist die beliebteste Politikerin des Landes geworden und ein Symbol in der ganzen Welt. Zumindest eine Anregung könnte es schon sein: Für die Familien, die am Wochenende an der durchlichteten Grenze entlangflanierten und selbst nachts zu Tausenden – etwa im einstigen Sperrgebiet Mauerpark zwischen Prenzlauer Berg und Wedding – das Gemeinsame am einstmals Geteilten feierten.

Gehe ins Offene. Das können viele Ostdeutsche, das haben sie erlernt, erlernen müssen, sich auch erkämpft. Am besten könnte es Angela Merkel, gerade jetzt. Sie ist bis an die Spitze des (zunächst westdeutschen) Establishments durchmarschiert. Auf ihre (auch ostdeutsche) Art. Dafür hatte sie zunächst ihre Biografie verdeckt, ihr Leben als eine von Millionen irgendwie Angepassten. Es ist ihr gutes Recht. Aber es ist schade, gerade jetzt. Nicht nur für sie.

Wenn ich mir was wünschen dürft. Ein offenes Wort. Es stimmt, Träume können wahr werden. Welche hatten wir?

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