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Im Blick. Martina Bannies kann noch Augen und den linken Zeigefinger bewegen. Behandelt wird sie von Andreas Hermann vom Klinikum Dresden.

© Uniklinikum Dresden

Medizinischer Fortschritt: Die Lebenszeichen einer ALS-Patientin

Unter ihrem Blick formen sich Buchstaben zu Wörtern und Wörter zu Sätzen: „Mich interessiert alles“, sagt dann eine Computerstimme. Martina Bannies ist fast vollständig gelähmt. Wie schafft sie es, so heiter zu bleiben? Unser Blendle-Tipp.

Manchmal hebt Martina Bannies den linken Zeigefinger von der Rollstuhllehne. Man könnte es übersehen. Es bedeutet: ja.

Der linke Zeigefinger ist seltsamerweise nicht gelähmt wie die anderen Finger und die Zehen, wie Arme und Beine, Brust und Bauch, wie fast alles. Die 55-jährige Frau mit dem kurzen grauen Haar leidet an einer schweren Erkrankung des zentralen Nervensystems. Es ist eine der schlimmsten Erkrankungen, die einen Menschen treffen kann, unheilbar und schnell fortschreitend bis zum Tod – und das bei wachem Verstand. Früher hat Martina Bannies gern Quickstepp getanzt. Sie tanzte mit ihrem Mann auf Turnieren in Standard und Latein. Das war lange vorher. Jetzt ist nachher.

Das Haus steht in einer Siedlung bei Radeberg. Neubau an Neubau mit blühenden Apfelbäumen dazwischen. „Moin, moin“, steht auf dem Klingelschild aus Keramik. Die Familie zog in der Nachwendezeit aus Braunschweig nach Sachsen. „Wegen der Halbleiterei“, sagt Wolfgang Bannies.

Er ist heute kurz nach fünf von der Arbeit gekommen, früher als sonst. „Das war unser Wohnzimmer“, sagt er. Neben dem Sofa stehen jetzt ein Pflegebett, eine Art Lift, ein Trainingsgerät für Arme und Beine und der Rollstuhl. Irgendwas klackert leise. Martina Bannies trägt einen schwarzen Pullover, graue Hosen und warme Wollschuhe. Plötzlich sagt eine Frauenstimme: „Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.“ Wie ist das möglich?

Martina Bannies kann nicht mehr sprechen. Außer dem linken Zeigefinger funktionieren nur noch Augen- und Herzmuskulatur. Bewegungsunfähig und stumm sitzt sie in ihrem Stuhl. Und vermittelt doch den Eindruck eines heiteren Menschen. Als sei die Welt mit einem Mal wundersam entschleunigt. Doch ihre Gedanken laufen so schnell wie früher.

Die Krankheit hat den langen Namen Amyotrophe Lateralsklerose: ALS. Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind, funktionieren nicht mehr. Die Lähmung der Muskulatur breitet sich aus, mehr oder weniger schnell. „Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt ab Beginn der Symptome zwischen zwei und fünf Jahren“, sagt Andreas Hermann, Professor am Dresdner Uniklinikum. „Wenn man nicht eingreift.“ Der Astrophysiker Stephen Hawking liefert das sensationelle Beispiel dafür, dass ein langes Leben mit dieser Krankheit möglich ist.

Familie und Pfleger übten Suggestivfragen

Das Klackergeräusch kommt von einem Bildschirm. Er ist in Kopfhöhe neben dem Rollstuhl befestigt. Auf dem Bildschirm stehen wie bei einer Tastatur Reihen mit Buchstaben. Unter dem Blick von Martina Bannies fügen sich die Buchstaben zu Wörtern und die Wörter zu Sätzen. Eine spezielle Infrarot-Kamera übersetzt die Augenbewegung. Die Taste fürs Leerzeichen steht am unteren Rand neben der Aufforderung: sprich. Schaut Martina Bannies dorthin, wird der Satz vorgelesen. Angestrengte grüngraue Augen. Nicht die kleinste Bewegung des Kopfes.

In Deutschland sind etwa 8 000 Menschen von ALS betroffen. Im Internet haben Prominente vor drei Jahren weltweit auf die Erkrankung aufmerksam gemacht. Sie schütteten sich Kübel mit Eiswasser über den Kopf, um Spenden für die Bekämpfung von ALS einzuwerben.

Die Dresdner Hochschulmedizin erhielt Anfang des Jahres 2,6 Millionen Euro Fördermittel aus dem Innovationsfonds der Bundesregierung. Ein Teil geht an das Forschungsprojekt von Andreas Hermann. Mithilfe von Augensteuerungs-Computern können Patienten mitteilen, wie es ihnen geht, was sie wünschen und erwarten. Bei Befragungen zeigte sich, dass sie ihre Situation viel positiver bewerten, als es Familienangehörige tun. Bei diesen steht das Verlustdenken im Mittelpunkt, sagt Hermann.

Anfangs verständigte sich Martina Bannies noch per Tablet. Sie hatte es immer dabei. „Ich habe mir sogar eine ärztliche Bescheinigung geben lassen, falls ich in eine Polizeikontrolle komme.“ Später konnte sie Fragen nur noch mit Ja oder Nein beantworten, mit den Augen oder mit dem linken Zeigefinger. Ihre Familie, zu der zwei erwachsene Kinder gehören, und die Pfleger übten Suggestivfragen. Es ist doch so, dass …? Du möchtest sicher nicht, dass …? Nun kann Martina Bannies selbst erklären ...

Den vollständigen Text lesen Sie für 45 Cent im Online-Kiosk-Blendle.

Karin Grossmann

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