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Politik: "Die Nato muß vorsichtig sein"

KIRO GLIGOROV (82) ist seit der Unabhängigkeit Mazedoniens 1991 Präsident. 1995 wurde er bei einem Attentat vermutlich albanischer Separatisten schwer verletzt.

KIRO GLIGOROV (82) ist seit der Unabhängigkeit Mazedoniens 1991 Präsident. 1995 wurde er bei einem Attentat vermutlich albanischer Separatisten schwer verletzt. Zu Beginn seines Staatsbesuchs in Deutschland sprach Christoph von Marschall mit ihm in Berlin.

Die Gespräche über den Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo stocken. Ist der Frieden wieder in Gefahr?

In Kroatien und in Bosnien wurden über 20 Waffenstillstände unterzeichnet, die am nächsten Tag schon wieder gebrochen wurden. Die Nato muß vorsichtig sein.

Der Großteil der Friedenstruppen soll über Mazedonien in das Kosovo einrücken. Begrüßen Sie das oder ist das eine Belastung?

30 000 der 50 000 Soldaten sollen über Mazedonien kommen. Das ist gut, weil es demonstriert, daß diese Soldaten die Sicherheit unseres Landes garantieren. Allerdings waren schon die bisher 16 000 Soldaten bei uns eine wirtschaftliche Belastung. Wir wünschen einen Anhang zum Stationierungsvertrag, der diese Fragen regelt.

Erstattet die Nato nicht die Kosten oder kauft zumindest im Land ein, so daß Mazedonien an der Truppenpräsenz verdient?

Anfangs wurde nicht einmal für Strom und Wasser gezahlt. Unsere Soldaten haben Kasernen geräumt und Ausweichquartiere bezogen, um Platz für die Nato zu schaffen. Und nun sollen weitere 14 000 kommen.

Ein Teil der Bevölkerung hat die Nato-Präsenz als politische Belastung empfunden.

Es gab keine Anti-Nato-Stimmung, sondern nur die Sorge, daß Mazedonien als unmittelbarer Nachbar in den Krieg hineingezogen wird. Wir haben allerdings eine kleine serbische Minderheit - 39 000 Menschen, was etwa zwei Prozent entspricht. Sie haben Anti-Nato-Proteste organisiert und sogar versucht, in die US-Botschaft einzudringen und sie anzuzünden. Seither wird das Gebäude von US-Marines bewacht. Wir sind daran interessiert, ein Kontingent Nato-Soldaten dauerhaft in Mazedonien zu haben.

Wie stehen Sie zu Moskaus Forderung nach gleichberechtigter Präsenz in der KFOR?

Rußlands Beteiligung an der Diplomatie hat zu einem gewissen Grade geholfen. Moskaus Abgesandte haben bei ihren Besuchen bei uns aber auch darauf bestanden, daß Rußland auf dem Balkan präsent bleiben will, um einen offenen Weg zur Ägäis, zum Mittelmeer zu haben. Die Russen finden sich nicht damit ab, auf die Grenzen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückgeworfen zu sein. Sie hatten damals die meisten Opfer zu beklagen. Sie sind ein stolzes Volk, das sich nicht mit einer zweitrangigen Rolle begnügt.

Sind sie für einen doppelten Oberbefehl?

Das kann nicht funktionieren auf einem so kleinen Gebiet. Es erhöht zudem die Gefahr der Teilung des Kosovo, und es würde die Friedenstruppe lähmen, wenn man ständig Zeit mit Absprachen verliert.

Über 200 000 Flüchtlinge sind in Mazedonien. Wann und wie kehren sie zurück?

Nach der jüngsten Zählung 277 000. Weitere 80 000 sind ausgeflogen worden. Zusammen sind das 357 000 oder rund 17 Prozent unserer Einwohnerzahl. Wir wissen aus Erfahrung, daß Albaner, die nach Mazedonien kommen, kaum noch zurückgehen. Alle drei kleinen Nationen haben schwache Wirtschaften, aber der Lebensstandard in Mazedonien ist doch deutlich höher als im Kosovo oder in Albanien.

Mazedonien hatte schon vorher eine starke albanische Minderheit. Was wäre die Folge, wenn eine große Zahl von Kosovo-Flüchtlingen länger bliebe?

Das erfüllt uns mit großer Besorgnis. Aber ich muß auch betonen: Die Albaner mit mazedonischem Paß haben sich an der Gewalt nicht beteiligt. Sie haben ihre Solidarität mit den Kosovo-Albanern friedlich demonstriert. Der Drang zu einem Großalbanien, der alle völkerrechtlichen Normen ignoriert und die Grenzen verändert, würde eine gefährliche Situation heraufbeschwören. Doch viele Kosovo-Albaner sind gebildet, die wollen nicht von Tirana aus regiert werden. Die mazedonischen Albaner ebensowenig.

Welche Gefahr ist für Ihr Land die größere: großserbische oder großalbanische Träume?

Beide Bedrohungen sind sehr real. Serbien hat den Gedanken nicht aufgegeben, Mazedonien zu beherrschen. Belgrads Truppen haben mehrfach an strategischen Stellen unsere Grenze verletzt. Sie haben sich erst zurückgezogen, als die UN-Truppen bewiesen, daß dies mazedonisches Gebiet ist.

Wie es aussieht, bleibt Slobodan Milosevic an der Macht. Ist mit ihm Frieden möglich?

Das ist nur sehr schwer vorstellbar. Dieser Mensch ist von der Idee besessen, daß alle Serben in einem Staat leben sollen. Deshalb hat er Jugoslawien zerstört und führt seit zehn Jahren Krieg: von Slowenien und Kroatien über Bosnien-Herzegowina bis Kosovo. Er hat seine Wünsche nicht verwirklicht, im Gegenteil: Mit jedem Konflikt wird Serbien kleiner. Er hat keinen Zugang zu Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechten.

Sie besuchen eine Woche lang Deutschland. Welche Erwartungen haben Sie?

Deutschland hat uns seit dem ersten Tag der Unabhängigkeit 1991 unterstützt: beim Ziel, Mitglied der UN zu werden, des Europarates, der Nato-Partnerschaft für den Frieden. Die Bundesrepublik hat uns große Wirtschaftshilfe gegeben und jetzt Militärhilfe versprochen. Wir müssen erst eine Armee aufbauen, da die jugoslawischen Einheiten alle Ausrüstung mitgenommen hatten. Wir hatten nicht einmal einen Grenzschutz.

Erwarten Sie eine konkrete Perspektive für die Annäherung an EU und Nato?

Nicht direkt als Belohnung für unsere Haltung im Kosovo-Konflikt. Wir haben uns von Anfang an auf EU und Nato hin orientiert. Alle politischen Kräfte wünschen das.

Versteht der Westen den Balkan oder macht er viele Fehler?

Am Anfang hat der Westen Irrwege beschritten. Die USA und auch Deutschland haben zu lange versucht, Jugoslawien zu erhalten, obwohl die inneren Spannungen dafür längst zu groß waren. Aber dann wurde die reale Lage erkannt. Es kam zur Anerkennung Sloweniens, Kroatiens und dann der anderen Republiken. Dennoch mußten erst 200 000 Menschen sterben, ehe die Nato bereit war, in Bosnien zu intervenieren.

Kosovo wird besetzt, Serbien nicht. Sie aber sagen: Serbien ist die Wurzel des Übels. Wie kommt die Demokratie nach Serbien?

Wir hoffen, daß die Serben zur Einsicht gelangen, daß sie so keine Zukunft haben. Ich weiß nicht, wie schnell es zu Änderungen kommt. Vielleicht sehr schnell, es kann aber auch Jahrzehnte dauern. Die Serben müssen von dem Irrglauben abkommen, daß niemand, nicht einmal eine Großmacht Serbien besiegen könne. Solange sich das nicht ändert, gibt es für den Balkan keine Zukunft.

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