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Kopftuch und Bundesadler an einer Behörde: Schwieriges Verhältnis.

© Martin Schutt/dpa

Gastbeitrag zum Urteil des Verfassungsgerichts: Die Neutralität des Staates ist durch das Kopftuch nicht tangiert

Rechtsreferendarinnen darf das Tragen eines Kopftuchs verboten werden. Das Urteil könnte zu einem Berufsverbot für Richterinnen führen. Ein Gastbeitrag.

Frauke Brosius-Gersdorf ist Professorin für Öffentliches Recht an der Leibniz Universität Hannover

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein Verbot für Rechtsreferendarinnen, ein islamisches Kopftuch im Dienst zu tragen, verfassungsgemäß ist. Das Tragen des Kopftuchs beeinträchtige das Prinzip weltanschaulich-religiöser Neutralität.

Nach Ansicht des Gerichts in Karlsruhe unterscheidet sich das Gericht damit von der Schule, wo die Rechtsprechung Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs erlaubt. Der Grund hierfür sei, dass der Staat auf das „äußere Gepräge“ der Justiz besonderen Einfluss nehme – wie durch die Robenpflicht oder die Gestaltung des Gerichtssaals, sodass ihm abweichende Verhaltensweisen der Amtsträger „zurechenbar“ seien.

Das Bundesverfassungsgericht verkennt das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot. Das Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität verbietet dem Staat, sich mit einer bestimmten Religion oder Religionsgemeinschaft zu identifizieren.

Die Referendarin macht von ihrer Religionsfreiheit Gebrauch

Das Neutralitätsgebot ist ein Identifizierungsverbot. Der Staat identifiziert sich aber nicht mit der Religionsausübung seiner Beschäftigten, die Grundrechtsausübung ist (Artikel 4 Grundgesetz) und nicht mit dem Handeln des Staates gleichgesetzt werden kann.

Nur, wenn der Staat das Installieren oder Tragen religiöser Symbole selbst anordnet – wie beim Kruzifix in Bayerischen Amtsstuben –, identifiziert er sich und verletzt das Neutralitätsgebot. Das Kopftuch der Rechtsreferendarin hat der Staat aber nicht angeordnet, sondern es beruht auf einer autonomen Entscheidung der Referendarin, die damit von ihrer Religionsfreiheit Gebrauch macht.

Der Staat macht sich das Tragen des Kopftuchs nicht zu eigen und identifiziert sich nicht mit ihm. Insoweit bestehen – anders als das Bundesverfassungsgericht meint – keine Unterschiede zwischen der Religionsausübung von Referendarinnen im Gericht und von Lehrerinnen in der Schule. Hier wie dort ist das Tragen eines islamischen Kopftuchs kein Fall für das Neutralitätsgebot des Staates.

Staatsbedienstete müssen Mäßigung und Zurückhaltung wahren

Dass sich der Staat nicht mit der Religionsausübung seiner Beschäftigten identifiziert, zeigt auch die Parallele zu (partei-)politischen Äußerungen. Politische Äußerungen seiner Beschäftigten im Dienst wie das Tragen einer Plakette „Atomkraft Nein Danke“ macht sich der Staat auch nicht zu eigen. Er identifiziert sich nicht mit ihnen. Verbote solcher politischen Äußerungen können deshalb unstreitig nicht zum Schutz des Neutralitätsgebots gerechtfertigt werden.

Richter des Verfassungsgerichts in Karlsruhe.

© Uli Deck/dpa

Dass das muslimische Kopftuch von Rechtsreferendarinnen – anders als Karlsruhe meint – nicht gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstößt, heißt nicht, dass für die Religionsausübung von Staatsbediensteten keine Grenzen gelten. Beschäftigte unterliegen bei der Ausübung eines öffentlichen Amts einem Mäßigungsgebot (für Beamte: Artikel 33 Grundgesetz).

Sie müssen bei der Erfüllung ihres Amts diejenige Mäßigung und Zurückhaltung wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten des Amts ergibt.

Das Mäßigungsgebot zielt auf Beschränkung im Einzelfall

Dieses Mäßigungsgebot kommt als Schranke für die Grundrechtsausübung im öffentlichen Dienst zum Tragen und kann deshalb Eingriffe in die Grundrechte der Religions- und Berufsfreiheit der Staatsbediensteten, ebenso wie ihrer Meinungsfreiheit bei politischen Äußerungen, rechtfertigen. Das Mäßigungsgebot gestattet aber kein generelles Verbot der Religionsausübung im Dienst, sondern zielt auf eine (Selbst-)Beschränkung im Einzelfall.

Das Tragen eines islamischen Kopftuchs im öffentlichen Dienst ist mit dem Mäßigungsgebot grundsätzlich vereinbar. Etwas anderes gilt nur, wenn Beschäftigte im Einzelfall in Wahrnehmung ihres Amts für ihren Glauben werben oder durch ihr Auftreten andere zu beeinflussen versuchen.

Sprengkraft weit über den Fall hinaus

Auch wenn das Bundesverfassungsgericht unmittelbar nur über das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen entschieden hat, hat seine Entscheidung Bedeutung weit über den Fall hinaus. Die eigentliche Sprengkraft liegt in den Konsequenzen für die juristischen Berufe der Richterin und Staatsanwältin.

Kommt ein Berufsverbot für Richterinnen mit Kopftuch?

© picture alliance / Oliver Berg/dpa

Auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte der Staat nicht nur Rechtsreferendarinnen, sondern auch Richterinnen und Staatsanwältinnen das Tragen eines islamischen Kopftuchs zum Schutz des Neutralitätsgebots untersagen. Das liefe auf ein „Berufsverbot“ hinaus.

Es bleibt zu hoffen, das Karlsruhe die Entscheidung korrigiert

Letztlich ist aber offen, ob nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch ein Kopftuchverbot für Richterinnen und Staatsanwältinnen zulässig ist. Auch deshalb bleibt zu hoffen, dass Karlsruhe seine Entscheidung bald korrigiert und einer Verletzung des Neutralitätsgebots durch die Religionsausübung von Beschäftigten der Justiz den Rücken kehrt.

Nur wenn das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung ändert, kann man jungen Musliminnen mit dem Wunsch, Richterin oder Staatsanwältin zu werden oder ein Verwaltungsamt zu bekleiden, weiterhin zum Studium der Rechtswissenschaft raten. Bis dahin werde ich etwas ratlos vor meinen muslimischen Studentinnen stehen.

Frauke Brosius-Gersdorf

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