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Seniorenheim in Niedersachsen: Die Kosten für die Pflege werden die nächsten Jahre steigen.

© Sina Schuldt/dpa

Mehr als eine Billion Euro: Die Pandemie treibt die Sozialausgaben auf Rekordniveau

Noch nie hat die Bundesrepublik so viel Geld für Sozialleistungen ausgeben wie in der Coronakrise. Der Aufwärtstrend wird sich den nächsten Jahren forstsetzen.

Die Corona-Pandemie kommt den Staat teuer zu stehen. Die Sozialausgaben haben sich im Jahr 2020 deutlich erhöht, auf einen Rekordwert von 1,1 Billionen Euro. Das sind etwa 74 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor, ein Anstieg von 7,1 Prozent. Damit fließt erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung in die Sozialausgaben, etwa in die Arbeitslosen- oder Krankenversicherung. Das geht aus einem Entwurf des Sozialberichts der Bundesregierung hervor, den das Kabinett diesen Monat beschließen will und der dem Tagesspiegel vorliegt. Der Bericht wird alle vier Jahre erstellt.

Für den Anstieg des Sozialbudgets wird in dem Papier die Pandemie verantwortlich gemacht. „Sie führt zu wegfallenden Einnahmen und steigenden Leistungen insbesondere für die Stabilisierung des Arbeitsmarktes und die Bekämpfung der gesundheitlichen und sozialen Folgen“, heißt es.

Gemeint sind Instrumente wie das Kurzarbeitergeld oder der erleichterte Zugang zur Grundsicherung, für die zuletzt die Vermögensprüfungen gelockert wurden. Bemerkbar macht sich auch der einmalige Kinderbonus von 150 Euro auf das Kindergeld. Die größten Steigerungen im Vergleich zu 2019 gibt es bei der Arbeitslosenversicherung mit einem Zuwachs von 28,2 Milliarden Euro, den Rentenkassen (plus 13,5 Milliarden Euro) und der Krankenversicherung (plus 9,9 Milliarden Euro). Den größten Posten im Sozialbudget machten mit 466 Milliarden Euro die Bereiche Krankenversorgung und Invalidität aus.

Ausgabensteigerung höher als das Wirtschaftswachstum

Zugleich hat wegen des Lockdowns und der gesunkenen Nachfrage das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3,4 Prozent abgenommen. Die sogenannte Sozialleistungsquote, das Verhältnis zwischen Sozialausgaben und BIP, lag damit erstmals bei einem Spitzenwert von 33,6 Prozent. 2019 waren es noch 30,3 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2009, auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, lag die Quote bei 30,8 Prozent, also fast drei Punkte unter dem Wert von 2020. 1991 lag ihr Anteil an noch bei einem Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung.

Damit setzte sich in der Corona-Pandemie in jahrelanger Aufwärtstrend der Sozialausgaben fort, der die kommenden Jahre noch deutlich zunehmen dürfte. Zwar wird für 2022 wegen der zu erwartenden Erholung der Wirtschaft mit einem leichten Rückgang der Sozialleistungsquote gerechnet. Für 2025 wird aber ein erneuter Anstieg auf 32 Prozent erwartet – eine Gesamtsumme von 1,28 Billionen Euro. „Dies liegt vor allem daran, dass die Ausgabensteigerungen in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung relativ stärker zunehmen als das angenommene Wirtschaftswachstum,“ heißt es in dem Papier. Das aktuelle Rekordhoch liege nicht nur an der geschrumpften Wirtschaft, sondern auch an den „Leistungsverbesserungen im Gesundheitssystem“ der vergangenen Jahre.

Arme in der Krise besonders verwundbar

Das bestätigt der Volkswirt Georg Cremer, Ex-Generalsekretär des Deutschen Caritasbundes und Experte für Sozialpolitik. „Der langfristige Zuwachs der Sozialausgaben liegt an der Verbesserung der Leistungen. So haben mehr Demenzkranke Zugang zu Pflege als früher“, sagt er. Eine zentrale Rolle spiele auch die demografische Entwicklung. „Die Menschen werden älter, beziehen also länger Rente oder brauchen mehr Pflege.“

Insofern ließen sich von den aktuellen Zahlen zum Sozialbudget keine Aussagen über eine Zunahme der Armut während der Pandemie ableiten, sagt Cremer. Die finanzielle Ungleichheit sei zuletzt leicht rückläufig gewesen, weil etwa Selbstständige Gewinneinbußen hinnehmen mussten. Dennoch seien Arme in der Krise „besonders verwundbar“ gewesen. „Wer einen Minijob hat, kann kein Kurzarbeitergeld beantragen, wenn die Schulen geschlossen sind, fällt das kostenlose Mittagessen aus“, sagt Cremer.

Wie die Sozialausgaben künftig finanziert werden können, ist ein zentraler Streitpunkt im Bundestagswahlkampf. Cremer meint, es werde „eine Mischung aus verschiedenen Instrumenten geben müssen – von mehr ergänzender betrieblicher und privater Altersvorsorge bis zu einer weiteren Anhebung des Renteneintrittsalters“. Auch brauche es Investitionen in die Bildung, um junge Menschen fit für den Arbeitsmarkt zu machen. „Das ist nicht nur eine ökonomische Frage“, sagt Cremer, „sondern auch eine der Gerechtigkeit.“

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