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Steigende Meeresspiegel, Extremwetter, Artensterben - Wissenschaftler warnen vor den Folgen der Erderwärmung.

© Getty Images / iStockphoto

Die Psychologie des Klimawandels: Warum wir viel über die Erderwärmung wissen, aber wenig tun

Die Gefahren der Erderwärmung sind bekannt. Trotzdem tun viele Menschen: nichts. Welche psychologischen Effekte stecken dahinter?

Die Zahlen, sie scheinen nicht zusammenzupassen. Zum Beispiel beim Fliegen: Fast die Hälfte der Deutschen kann sich vorstellen, der Umwelt zuliebe auf Flugreisen zu verzichten. Trotzdem steigt die Zahl der Flugreisen weiter an. Oder beim Fleisch: Gut 60 Prozent wären bereit, deutlich weniger davon zu essen, doch der Fleischkonsum in Deutschland bleibt konstant. Man sieht es auch bei großen Autos: Ein Viertel der Deutschen wäre dafür, SUVs komplett zu verbieten. Aber die Spritschlucker boomen im Verkauf.

Anspruch und Wirklichkeit, so scheint es, klaffen beim Klimaschutz weit auseinander. An Wissen über die Folgen der Erderwärmung mangelt es nicht: Forscher warnen vor immer schneller steigenden Meeresspiegeln, vor einer Zunahme von Wetterextremen und dem Aussterben von Tierarten. Und sie sagen: Es muss gehandelt werden und zwar schnell.

Die Art mit diesem Wissen umzugehen ist unterschiedlich. „Ein Großteil der Menschen in Deutschland nimmt den Klimawandel als ernste Bedrohung wahr. Viele schaffen es aber bislang nicht, ihr Verhalten dementsprechend zu ändern“, sagt Torsten Grothmann vom Lehrstuhl für Ökologische Ökonomie der Universität Oldenburg. Nur: Welche psychologischen Effekte führen dazu, dass Menschen zwar viel wissen, aber wenig tun? Eine Spurensuche in der Umweltpsychologie.

Wie unser Gehirn funktioniert

Ein Teil der Erklärung liegt in der Evolution. In der Frühphase ihrer Entwicklung bestand die tägliche Herausforderung der Menschen im Überleben. Die Gefahren waren konkret und unmittelbar. „Wir haben evolutionär nicht gelernt, mit einer Bedrohung wie dem Klimawandel umzugehen“, sagt Gerhard Reese, Professor für Umweltpsychologie an der Uni Koblenz-Landau. „Wenn wir in Gefahr sind, von einem Tiger gefressen zu werden, haben wir Reaktionsmuster. Wir können wegrennen. Für den Klimawandel gibt es kein Skript.“ Einige menschliche Denkmuster, die im Laufe der Evolution nützlich für das menschliche Überleben waren – etwa weil sie uns geholfen haben, Informationen zu filtern oder schnell zu reagieren – sind im Bezug auf den Klimawandel sogar hinderlich.

Dazu zählt unsere Wahrnehmung, dass die Gegenwart wichtiger ist als die Zukunft. US-Wissenschaftler untersuchten die Gehirnaktivität ihrer Probanden in einem MRT-Gerät. Sie stellten eine starke Gehirnaktivität fest, wenn die Personen an sich selbst in der Gegenwart dachten. Doch wenn sie an sich selbst zehn Jahre in der Zukunft dachten, war die Gehirnaktivität schwächer, ähnlich wie beim Gedanken an einen Fremden, zum Beispiel einen Schauspieler. Wissenschaftler sehen das als gehirnphysiologische Bestätigung für die Theorie, dass die meisten Menschen weniger motiviert sind, Dinge zu tun, von denen sie erst später profitieren werden. Sie messen der Belohnung, die sie in der Zukunft erwartet, einen geringeren Wert bei.

Eine weitere Falle ist der „unrealistische Optimismus“. Studien haben gezeigt, dass Menschen für ihr eigenes Leben optimistischer sind als für andere. „Beim Klimawandel denken viele: Es wird mich schon nicht betreffen, vielleicht muss ich gar nicht aktiv werden“, sagt Reese. Dazu kommt der sogenannte „Zuschauereffekt“ – also das Gefühl, dass schon jemand anderes die Gefahr abwenden wird, zum Beispiel die Politik.

Gefühl ist wichtiger als Wissen

Schuld an der Inaktivität vieler Menschen sind auch die Verarbeitungsprozesse im Gehirn. „In unserem Gehirn laufen zwei Verarbeitungsprozesse gleichzeitig: Einerseits der erfahrungsbasierte, der schnell und emotional verläuft. Andererseits der analytische, langsamer und weniger emotional“, erklärt Wissenschaftler Grothmann. Analytisch kämen viele Menschen zu dem Schluss, dass der Klimawandel eine Bedrohung darstelle. „Ihre persönlichen Erfahrungen sagten ihnen aber lange, dass noch nicht viel Schlimmes passiert ist.“ Und wenn beide Verarbeitungsprozesse zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, setze sich meist die erfahrungsbasierte Einschätzung durch. Mittlerweile verändere sich allerdings auch hierzulande die Erfahrung: Insbesondere die vergangene Dürre in Deutschland sei bei vielen im Bewusstsein geblieben. „Das Betroffenheitsgefühl hat zugenommen.“

Eine Frage des Standpunktes

Wie Menschen mit dem Wissen um den Klimawandel umgehen, hängt auch von ihrem ideologisch Standpunkt ab. Ein hohes Wissen über den Klimawandel führt nicht unbedingt dazu, dass er als ein höheres Risiko wahrgenommen wird. Grothmann berichtet von einer US-Studie, die zeigte, dass Menschen, die den dortigen Republikanern nahestanden, mit zunehmendem Wissen über den Klimawandel die Bedrohung sogar geringer einschätzten. Das wirkt zunächst unlogisch, liegt aber an der Art, wie wir Informationen verarbeiten. „Wissen strömt nicht einfach in unser Gehirn ein und wird 1:1 in unserem Gedächtnis abgebildet. Es wird verzerrt, verdreht, ausgewählt, gefiltert“, sagt der Wissenschaftler. Am Ende werde das gespeichert, was unseren Wert- und Normvorstellungen entspricht. Was dem widerspricht, wird verdrängt oder bezweifelt. „Bei vielen Republikanern gehört es eben zur Ideologie, dass es den Klimawandel entweder nicht gibt oder dass er nicht vom Menschen verursacht wird. Bei Anhängern der AfD ist es ähnlich.“

Dass es Leute gibt, die den Klimawandel leugnen oder zumindest behaupten, er sei nicht vom Menschen verursacht, hat aber nicht immer mit Parteiideologie zu tun. „Bei anderen ist es eine Abwehrreaktion, weil sie die Klimakrise überfordert und sie daher so tun, als ob es sie nicht gibt“, sagt Grothmann. Evolutionär gesprochen sei das so etwas wie Totstellen oder eine Fluchtreaktion.

Der Herdentrieb

Der am meisten unterschätzte Faktor für das menschliche Verhalten sind Wissenschaftlern zufolge aber die sozialen Normen. „Wir orientieren uns ganz entscheidend daran, wie sich andere Menschen um uns herum verhalten“, sagt Grothmann. „Noch immer ist ein konsumorientierter, CO2-intensiver Lebensstil die Norm. Das dient vielen als Rechtfertigung: Warum soll ich darauf verzichten, in den Fernurlaub zu fliegen, wenn alle um mich herum das weiterhin tun?“

Der Umweltpsychologe Immo Fritsche von der Universität Leipzig beobachtet, dass eine Bedrohung wie der Klimawandel die Bedeutung sozialer Normen sogar noch erhöht. „Wenn sich Menschen in starken Bedrohungssituationen persönlich hilflos fühlen, dann werden kollektive Zugehörigkeiten wichtiger“, sagt er. Das heißt: Sie orientieren sich eher an ihrer Gruppe. Seine Forschung zeigt, dass Menschen, die vorher über den Klimawandel nachgedacht haben, intoleranter wurden gegenüber sozialen Abweichungen in Gruppen und bereit waren, Verstöße gegen gesellschaftliche Normen stärker zu sanktionieren.

Er machte einen Versuch: Den Probanden wurde erzählt, dass eine radikale Aktionsgruppe gegen einen sexistischen Professor vorgeht. Bei einem Teil der Probanden, wurde dazu gesagt, dass die Mehrheit der Studenten die Aktion gut findet. Der andere Teil der Probanden erfuhr, dass die Mehrheit der Studenten das ablehnt. „Diejenigen, die vorher über den Klimawandel nachgedacht hatten, haben sich eher der Meinung der Mehrheit angeschlossen“, berichtet Fritsche. Die Leute folgten in Bedrohungssituationen stärker ihrer eigenen Gruppe. Das wiederum bedeutetet: „Die Linken werden linker und die Rechten rechter“, sagt Fritsche. Die Bedrohung durch den Klimawandel führe also zu einer stärkeren Polarisierung in der Gesellschaft.

Was tun?

Um Menschen dazu zu bringen, sich klimaschützend zu verhalten, ist es aus Sicht von Grothmann enorm wichtig, dass beunruhigende Klimaprognosen immer gleichzeitig mit Lösungen präsentiert werden. „Alarmismus und Sensationalismus sind oft alles andere als produktiv, weil sie zu Überforderungsgefühlen und nicht zum Handeln führen“, sagt er. Je größer das Ungleichgewicht zwischen dem wahrgenommenem Risiko und den wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten, desto wahrscheinlicher seien Abwehrreaktionen wie Leugnen oder Wegschieben. Auch dass manche Menschen eine regelrechte „Klimaangst“ entwickeln, kann laut Grothmann damit zusammenhängen, dass die Risiken als übermächtig, die eigenen Handlungsmöglichkeiten aber als stark begrenzt und die Politiker als unwillig oder unfähig wahrgenommen werden.

Der Schlüssel, Menschen zum Handeln zu bewegen, liegt Wissenschaftlern zufolge darin, die sozialen Normen zu ändern – eben weil Menschen sich gern an anderen orientieren. Dafür nützt es allerdings nichts, wenn die Mehrheit zwar für Klimaschutz ist, aber wenig tut. Hier kann die Politik eingreifen, indem sie umweltfreundliches Verhalten fördert oder Gesetze erlässt. Die Infrastruktur muss sich so verändern, dass klimaschützendes Verhalten einfach ist – etwa dass es als Alternative zu Flugreisen Nachtzüge in den Süden gibt. Wichtig sind auch Vorbilder wie der Bürgermeister, der überall hin mit dem Rad fährt. Fritsche sagt, dass es zudem sinnvoll sei, wenn jeder sein eigenes klimafreundliches Verhalten gegenüber Freunden kommuniziert – zum Beispiel wenn man sein Auto abgeschafft hat.

Ausschlaggebend ist auch, dass Menschen ein Gefühl von „kollektiver Wirksamkeit“ entwickeln. Also, dass sie glauben, dass die Gruppe, der sie sich zuordnen, effektiv etwas zum Klimaschutz beitragen kann. „Vielen Menschen fehlt nämlich das Gefühl, selbst etwas verändern zu können“, sagt Umweltpsychologe Reese. „Wenn ich weniger fliege oder kein Fleisch mehr esse, sehe ich keine Konsequenzen. Das kann demotivieren.“

Umweltpsychologe Fritsche hält vor diesem Hintergrund die Fridays-for-Future-Bewegung für sehr wertvoll. Sie schaffe eine soziale Norm und vermittele ein Gefühl von „kollektiver Wirksamkeit“. Zum anderen zeige sie: „Unsere Jugend ist betroffen.“ Denn junge Menschen werden die Folgen des Klimawandels stark zu spüren bekommen. Und dieses Bewusstsein führt am Ende eben eher zu Solidarität als Bilder von Eisbären, denen zwar die Lebensgrundlage wegschmilzt – die aber auch weit weg sind.

Service
Nachrichten über den Klimawandel können auch Kinder beunruhigen. Wie sollten Eltern damit umgehen? „Wenn Kinder bis etwa zehn Jahre Nachrichten von Katastrophen im Fernsehen mitbekommen, dann sollten Eltern mit dem Kind nur dann darüber reden, wenn das Kind von sich aus Fragen stellt“, sagt Psychotherapeut und Trauma-Experte Christian Lüdke. „Je kleiner Kinder sind, desto mehr gucken sie auf die Reaktion ihrer Eltern. Wenn die Eltern stabil bleiben, ist es für die Kinder auch in Ordnung.“ Bei Kindern unter zehn Jahren sollten Eltern negative Gefühlsreaktionen laut Lüdke deshalb für sich behalten, weil es die Kinder sonst verunsichere.

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