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Hurra, wir haben ein Programm! Oskar Lafontaine, Klaus Ernst, Gesine Lötzsch und Gregor Gysi (v.l.). Foto: dapd

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Linkenparteitag in Erfurt: Die Reihen geschlossen

Nato, Drogen, Banken: Die Linke beschließt erstmals seit ihrer Gründung ein Grundsatzprogramm – der Parteitag gerät zur großen Einigkeitsdemonstration.

Von Matthias Meisner

Er ist wieder da als Retter der Partei. Am frühen Samstagnachmittag tritt der Delegierte mit der Nummer 279 ans Mikrofon zwei in der Erfurter Messehalle. „Mein Name ist Oskar Lafontaine“, meldet er sich mit einer Intervention zum Thema Krieg und Frieden zu Wort. Der linke Parteiflügel der Linken hat sich gerade gerüstet, in der Diskussion um das Grundsatzprogramm Verschärfungen durchzusetzen. Beantragt ist der sofortige Austritt Deutschlands aus der Nato, die Forderung nach Beendigung nicht nur von Kampfeinsätzen der Bundeswehr, sondern von Auslandseinsätzen überhaupt. „Ich bitte euch, die Debatte nicht mehr aufzumachen“, sagt der frühere Parteivorsitzende. „Jetzt geht es darum, die Partei zu einen.“ Die Genossen sollten sich auf ihn ruhig verlassen: „Mit mir gibt es da keine Schlupflöcher.“

Bis dahin ist auf dem Treffen in Erfurt alles glatt gelaufen – mal abgesehen von einem eigenwilligen Beschluss zur Drogenpolitik am Samstagvormittag. In der Entwurfsfassung des Programms ist von einer „Legalisierung weicher Drogen“ die Rede gewesen. Der Ostthüringer Frank Tempel, Polizist und drogenpolitischer Sprecher der Fraktion, stört sich an diesem aus seiner Sicht veralteten Terminus. Und setzt die Streichung des Wortes „weich“ durch. Die Nachricht, dass die Linkspartei auch harte Drogen wie Heroin erlauben wolle, droht zur zentralen Botschaft des Erfurter Parteitages zu werden, bis die Spitzen die Reißleine ziehen. Am späten Samstagabend, mit dem Rest der Programmdebatte ist der Parteitag schon durch, lassen sie einen präzisierenden Satz in die Endfassung stimmen: „Das bedeutet die Entkriminalisierung der Abhängigen und die Organisierung von Hilfe und einer legalen und kontrollierten Abgabe an diese.“ Damit sei gesagt, was die Linke meine, erklärt Fraktionschef Gregor Gysi. Und Parteichef Klaus Ernst versichert, selbstverständlich solle Drogenhandel weiter unter Strafe stehen und verfolgt werden.

In den zentralen Punkten aber bleibt der 40-seitige Programmtext, wie er ist: geprägt von Oskar Lafontaine, der ihn im Frühjahr vergangenen Jahres gemeinsam mit seinem damaligen Ko-Chef Lothar Bisky vorgelegt hatte. An keinem der Fixpunkte wird die Debatte wieder aufgeschnürt, egal ob es um Frieden, ein von Teilen der Partei gefordertes bedingungsloses Grundeinkommen, den öffentlichen Beschäftigungssektor oder „Haltelinien“ als Bedingungen für Regierungsbeteiligungen geht. Immer, wenn es heikel werden kann, tritt ein Großkopferter ans Rednerpult, um den Sieg eines Flügels über den anderen abzuwenden. Fraktionsvize Ulrich Maurer etwa wirbt nachdrücklich für das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels: „Lasst uns da nicht Missverständnisse auch nur annäherungsweise aufkommen lassen.“

Einmal gibt es ein kurzes Aufbegehren sogar gegen Lafontaine und dessen Vorschlag nach einem Willy-Brandt-Korps für internationale humanitäre Hilfseinsätze. Die nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Katharina Schwabedissen kritisiert, Brandt stehe doch nicht nur für den Kniefall in Warschau, sondern auch für Berufsverbote, Notstandsgesetze und die Zustimmung zum Vietnam-Krieg, die „Ikonen der SPD“ dürften „nicht größer gemacht werden, als sie sind“. Der Parteitag aber einigt sich, über die Kritik erst gar nicht abzustimmen. Am Ende steht die breite Zustimmung. Am Sonntag stimmt der Parteitag ab über das Programm. Um elf Uhr wird das Ergebnis verkündet. 503 Delegierte habe ihre Stimmkarte zum Ja erhoben, vier zum Nein. Es gibt zwölf Enthaltungen, darunter die von der stellvertretenden Parteivorsitzenden Halina Wawzyniak. Sie hatte gemeinsam mit Bundesschatzmeister Raju Sharma einen alternativen Programmentwurf erarbeitet, ihn aber um des Parteifriedens willens in Erfurt gar nicht mehr als Antrag gestellt. Das von der Linken gezeichnete Gesellschaftsbild ist ihr zu negativ, ihre „persönliche Haltelinie“ an diesem Punkt erreicht. Das Programm hat 96,9 Prozent der Delegiertenstimmen bekommen. Es soll nun noch von den Mitgliedern in einer Urabstimmung bestätigt werden, kurz vor Weihnachten soll das Ergebnis vorliegen.

Die Abweichler sind in Erfurt in der Minderheit geblieben. Seit dem Rückzug Lafontaines aus der Führung hat sich die Partei nicht berappelt, das Signal der Geschlossenheit war zwingend. Gregor Gysi allerdings sieht seine Partei noch längst nicht heraus aus den Problemen. „Was schwächt uns?“, ist die zentrale Frage seiner Rede vom Samstag – eine Rede, die viel aufrüttelnder ist als die Einlassungen der Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, die den meisten Delegierten als viel zu schrill erscheinen. „Es ist eine Existenzfrage“, warnt Gysi seine Genossen. „Die Selbstbeschäftigung macht uns politisch kaputt.“ Es gebe im Land eine kapitalismuskritische Stimmung, aber „unsere Umfragewerte entsprechen diesem Fortschritt nicht“. Die Partei dürfe weder die Reformer aus dem Osten noch ihre radikalen Kräfte verlieren, sonst „wäre sie in der Gesellschaft irrelevant“. Gysi, selbst ernannter „Zentrist“ in der Linkspartei, will, dass die Flügelvertreter sich nicht gegenseitig besiegen. Hätte die Linke nur die Reformer, „wäre sie der SPD zu ähnlich“. Nur mit den Radikalen aber wäre sie „gesellschaftlich isoliert“. Und als Ost-Partei mit DDR-Zusammenhang oder traditionalistische Arbeiterpartei habe sie gleich gar keine Zukunft. Gegen den Klassenkampf spricht Gysi mit den Worten: „Natürlich brauchen wir den Markt. Wir wollen doch nicht die DDR zurück. Wir sind doch nicht doof. Der Staatssozialismus ist gescheitert.“

Das Schlusswort hält Lafontaine. Der amtierende Tagungspräsident Klaus Lederer kündigt ihn an als „Vorsitzenden“ – und fügt, nachdem er seinen Fehler bemerkt, rasch an: „der saarländischen Landtagsfraktion“. Aber Lafontaine hält die Rede eines Parteivorsitzenden: Nie sei die Linke mehr gefordert als jetzt, „die Themen unserer Partei liegen auf der Straße“. Die Linke habe „das modernste Programm im Hinblick auf die Herausforderungen der Diktatur der Finanzmärkte“ beschlossen. Den „aufrechten Gang“ der Genossen mahnt er an, fordert für die Führung „die Solidarität der gesamten Partei, auch dann, wenn sie Fehler macht“.

Die Rede Lafontaines endet mit den Worten: „Wir müssen jetzt die Reihen schließen. Wir sind gefragt wie noch niemals in der Geschichte.“ Die Delegierten danken mit stehenden Ovationen. Noch hat der Satz gefehlt „Nur wenn wir uns selbst begeistern, können wir auch andere begeistern“, mit dem Lafontaine 1995 in Mannheim Rudolf Scharping vom SPD-Thron stürzte. Aber er lässt sich mitdenken.

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