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Die SPD im freien Fall: Spricht einer aus, was viele denken?

Der SPD-Konservative Johannes Kahrs kritisiert Parteichef Beck: Die Kanzlerfrage habe sich schon erledigt. So kommt richtig Fahrt in die Debatte der Partei über Sinn und Unsinn einer Kanzlerkandidatur des SPD-Vorsitzenden.

Dass sich der Hamburger SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs zu den am häufigsten zitierten SPD-Politikern zählen darf, hat zwei Gründe. Der erste: Kahrs ist einer der Sprecher des im „Seeheimer Kreis“ organisierten rechten SPD-Flügels. Der zweite: Kahrs liefert zuverlässig jene Sorte Äußerungen, die Aufsehen garantieren, aber nicht immer politisch klug sind.

Sein Talent zur griffigen Formulierung hat Kahrs jetzt am Rande einer Veranstaltung in Neustadt/Holstein erneut unter Beweis gestellt. Bei dem Treffen mit einigen sozialdemokratischen Senioren der „Arbeitsgemeinschaft 60plus“ ging es eigentlich um Rechtsextremismus, aber Kahrs nutzte die Gelegenheit, um die Debatte seiner Partei über Sinn und Unsinn einer Kanzlerkandidatur des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck so richtig in Fahrt zu bringen.

Nach einem Bericht des „Flensburger Tageblatts“ warf er dem SPD-Chef vor, die Sozialdemokratie mit der Öffnung zur Linkspartei in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise gestürzt zu haben. Beck habe seinen erklärten Abgrenzungskurs gegenüber den Linken „aus opportunistischen Gründen“ verlassen, wurde Kahrs zitiert. Und weiter: „Dafür muss er büßen. Damit hat sich die Kanzlerfrage schon erledigt.“

Der gewählte Vertreter des rechten SPD-Flügels verkündet das Aus für eine mögliche Kanzlerkandidatur des Parteivorsitzenden, obwohl dieser über das Recht des ersten Zugriffs verfügt: In den Augen vieler Sozialdemokraten hat die Außendarstellung der SPD damit einen neuen Tiefstand erreicht. Und so wies SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen Kahrs’ Äußerungen im Deutschlandfunk als unangemessen zurück, obwohl SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am Vortag ein Ende der Kanzlerkandidatendebatte angemahnt hatte. Beck genieße „die ganz klare Unterstützung der Partei“, versicherte Annen. Kahrs „häufig wechselnde Meinung“ über Becks Führungsqualitäten sei „wirklich nicht wesentlich“.

Tatsächlich ist Kahrs für seine schnellen Positionswechsel berüchtigt. SPD-intern wird er als „unguided missile“ verspottet. In Parteikreisen wurde am Donnerstag daran erinnert, dass Kahrs der hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti erst geraten hatte, sich mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, um sie wenig später eindringlich vor einem derartigen Tabubruch zu warnen.

Dennoch räumen führende SPD-Politiker ein, dass die jüngsten Äußerungen des „Seeheimer“-Sprechers mehr sind als bloße Wichtigtuerei. Denn Kahrs hat ausgesprochen, was viele Genossen denken und bisher nur unter der Maßgabe der Anonymität sagen wollen: Dass Beck als Kanzlerkandidat nach seinem Kursschwenk im Umgang mit der Linkspartei nicht mehr in Frage kommt und die Partei Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier aufstellen muss. Dieser Überzeugung sind neben vielen Seeheimern auch etliche Mitglieder des reformorientierten SPD-Netzwerks. Anders als Kahrs plädieren sie aber für öffentliche Zurückhaltung, um Beck als Parteichef nicht vollends zu demontieren und Steinmeiers Chancen auf eine Kandidatur nicht zu schmäleren. Genau das müsse sich Kahrs vorwerfen lassen, hieß es aus Fraktionskreisen. Kahrs selbst ließ am Donnerstag ein eher halbherziges Dementi verbreiten. Er habe definitiv nicht gesagt, dass Kurt Beck für die Öffnung zur Linkspartei „büßen“ müsse. Vielmehr habe er auf Nachfrage erklärt, dass es derzeit nicht danach aussehe, dass Beck derjenige Kandidat sei, der am ehesten die Bundestagswahl gewinnen könne.

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